# taz.de -- Geflüchteter erhält Silvio-Meier-Preis: Der stille Held von Kreuz… | |
> Ein junger Flüchtling aus Gambia rettet einem Mann das Leben, gerät dabei | |
> selbst in Gefahr. Für seine Courage wird Wahab Camara heute | |
> ausgezeichnet. | |
Bild: Die Tat geschah im Görlitzer Park in einer Herbstnacht, hier ist Camara … | |
Berlin taz | Wahab Camara ist ein stiller, in sich gekehrter Typ. Fragt man | |
ihn etwas, antwortet er knapp und leise, dann blickt er mit großen Augen | |
ins Leere oder starrt verlegen auf seine Hände. Als es um die Nacht geht, | |
in der er einem Menschen das Leben rettete und dabei fast sein eigenes | |
verlor, wirkt der 19-Jährige für einen Moment völlig ratlos, ob und wie er | |
davon erzählen soll. Dann nimmt einen tiefen Atemzug und beginnt. | |
„Es war Samstagnacht gegen 4 Uhr, der 27. Oktober. Ich kam von einer Party | |
im Yaam und ging durch den Görlitzer Park zum Bus.“ Der gebürtige Gambier | |
redet auf Englisch, erst stockend, dann immer flüssiger. „Ich sah eine | |
Gruppe von etwa zehn Männern, sie schlugen einen Mann, einige hatten | |
Messer. Er rief um Hilfe. Ich dachte, ich muss ihm helfen, sonst töten sie | |
ihn.“ | |
Camara erzählt seine Geschichte im Arbeitszimmer des Sozialarbeiters seines | |
Flüchtlingsheim. Das Marie-Schlei-Haus der Arbeiterwohlfahrt in | |
Reinickendorf ist ein Heim für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge – | |
Alleinerziehende mit Kindern, Beeinträchtigte, Menschen, die Gewalt erlebt | |
haben. Anwesend sind der Sozialarbeiter des Heims, Joachim Wagner, Camaras | |
Einzelfallhelfer vom Jugendamt, Nikolas Reinoso-Schiller, und die | |
Journalistin. | |
Die Gesprächssituation in dem kahlen Funktionsraum dürfte nicht gerade | |
einladend wirken auf einen jungen Erwachsenen, der vermutlich traumatisiert | |
ist von seiner Fluchtgeschichte (dazu weiter unten mehr), auf jeden Fall | |
aber sehr schüchtern, wie Reinoso-Schiller sagt. Doch als er einmal in | |
Fahrt gekommen ist, will die Geschichte heraus. | |
## Lunge angestochen | |
„Als ich auf die Gruppe zurannte, ließen die Männer von Aron ab und gingen | |
auf mich los.“ Aron ist der damals 23-jährige Mann, dem Camara zu Hilfe | |
kam. „Eine zweite Gruppe, die abseits gestanden hatte, kam von hinten, | |
einer stach mir mehrmals in Rücken und Seite. Ich fiel zu Boden.“ Camara | |
zieht sein T-Shirt hoch, zeigt eine Narbe unter der linken Achsel. Er habe | |
versucht aufzustehen, doch die Männer hätten ihn wieder und wieder | |
geschlagen, mit Steinen, mit Flaschen. „Dann kam die Polizei, sie rannten | |
weg.“ | |
Camara musste operiert werden, seine Lunge war vom Messer verletzt, zehn | |
Tage lag er im Krankenhaus. An dieser Stelle mischt sich Reinoso-Schiller | |
ein, der Betreuer will etwas loswerden: „Der Arzt sagte, er habe Aron das | |
Leben gerettet, der war auch schwer verletzt.“ Warum die Männer Aron | |
angriffen, ist unbekannt, bis heute sind sie nicht gefasst. Camara hat noch | |
immer an dem Vorfall zu knabbern, seine Betreuer versuchen gerade, einen | |
Therapieplatz für ihn zu bekommen. Für seine Heldentat bekommt er am | |
heutigen Donnerstagabend vom Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg den | |
Silvio-Meier-Preis verliehen (siehe Kasten). | |
Wieso macht man das, allein auf zehn aggressive, bewaffnete Männer | |
losgehen? „Ich dachte, vielleicht würde er umgekehrt auch mir helfen. Ich | |
dachte, ich muss mein Leben opfern, um ihm zu helfen“, erwidert Camara, | |
wiederholt den letzten Satz: „I sacrifice my life to help him.“ Aron hat | |
ihn besucht, als sie beide wieder aus dem Krankenhaus waren. „Wir sind | |
Freunde“, erzählt Camara, treffen sich regelmäßig. | |
Vorgeschlagen für die Auszeichnung hat ihn Petra Stürmann, die Mutter einer | |
Freundin von Aron. Sie kümmere sich seither rührend um den jungen Helden, | |
erzählt sein Einzelfallhelfer: gebe ihm Deutschunterricht, begleite ihn zu | |
Anwaltsterminen, versuche ein WG-Zimmer, einen Ausbildungsplatz für ihn zu | |
bekommen. „Sie ist meine deutsche Mutter“, sagt Camara. | |
## Mutter ermordet | |
Seine eigene wurde in Gambia ermordet, als er 15 Jahre alt war. Sie war | |
Christin, der Vater Muslim, sie lebten getrennt. Irgendwann, berichtet | |
Camara, habe der Vater gewollt, dass er zu ihm käme. Die Mutter wollte | |
nicht, der Vater kam mit zehn Männern, ihn zu holen. „Ich rannte weg zu | |
Freunden.“ Es kam zu Kämpfen „zwischen Christen und Muslimen“, bei denen | |
die Mutter getötet wurde. „Mein Onkel rief mich an, ich müsse das Land | |
verlassen.“ | |
Er ging ins Nachbarland Senegal, „Da ging mir das Geld aus.“ Er suchte | |
Arbeit, ging nach Mali, Burkino Faso, Niger, Libyen. Dort betrog ihn ein | |
Mann um seinen Lohn, stach ihm in die Hand – Camara zeigt die Narbe – und | |
ließ ihn ins Gefängnis werfen. Auch dort wurde er misshandelt, Camara hebt | |
sein Bein, noch mehr Narben. Ob von Polizisten oder Milizen, weiß er nicht. | |
Aus dem Gefängnis konnten er und seine Mitgefangenen ausbrechen, ein Mann | |
versteckte ihn zwei Tage, besorgte ihm einen Platz auf einem Schlauchboot, | |
das in Seenot geriet. Helikopter haben sie entdeckt, 30 Minuten später | |
waren Seenotretter da, Dänen, glaubt Camara, die sie nach Sizilien | |
brachten. Nach kurzer Verschnaufpause ging es weiter nach Deutschland: „Ich | |
hatte gehört, das man hier ein gutes Leben haben kann“, sagt er. Seine | |
Tante lebt seit vielen Jahren in Hamburg. | |
Im Januar 2017 kam er als sogenannter unbegleiteter minderjähriger | |
Flüchtling nach Berlin, lebte in verschiedenen Einrichtungen der | |
Jugendhilfe, zuletzt in einer WG in Kreuzberg. Dafür ist er inzwischen zu | |
alt, im März musste er ins Marie-Schlei-Haus umziehen. Er besucht einen | |
berufsqualifizierenden Lehrgang in der August-Sander-Schule, einer | |
Berufsschule nahe der Oberbaumbrücke, dort lernt er Koch. Nachmittags | |
trifft er sich mit Freunden, meist anderen Gambiern. Sie hängen im Görli | |
ab, am Wochenende oft im Yaam. Was Jugendliche eben so machen. „Ich würde | |
so gerne wieder in Kreuzberg leben“, sagt Camara. „Aber finden Sie mal ein | |
Zimmer für einen Flüchtling“, wirft Reinoso-Schiller ein. | |
## Suche nach einem Ausbildungsplatz | |
Über seinen Asylantrag ist noch nicht entschieden, bis Februar 2020 hat er | |
eine Aufenthaltsgestattung. „Es wäre gut für sein Verfahren, wenn er einen | |
Ausbildungsplatz hätte“, sagt Wagner, der Sozialarbeiter. Solche | |
Integrationsleistungen fänden durchaus Beachtung bei den Asylentscheidern. | |
Deshalb sei es auch so gut, dass er den Preis bekommt, ergänzt | |
Reinoso-Schiller, „als Anerkennung von Berlin“. | |
Das mit der Ausbildung ist allerdings schwierig. „Dafür muss sein Deutsch | |
besser werden“, sagt Reinoso-Schiller, das hätten auch die Leute von Arrivo | |
gesagt, dem Ausbildungsprogramm des Senats für Geflüchtete. Trotzdem hätten | |
er und Camaras „deutsche Mutter“ es geschafft, ihrem Zögling ein | |
Bewerbungsgespräch zu besorgen, erzählt der Jugendhelfer, der sich | |
amtlicherseits noch eine Weile um den jungen Erwachsenen kümmern darf. Doch | |
beim Gespräch mit einem Tiefbauunternehmer habe Camara kaum die Zähne | |
auseinander bekommen – zurückhaltend wie er sei. „Er muss mehr aus sich | |
herauskommen, das weiß er auch, nicht wahr, Wahab?“ Camara lächelt | |
schüchtern zurück. | |
20 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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