# taz.de -- Polizei kommt nachts vorbei: Die Grenzen der Polizei | |
> Die Polizei dringt nachts in eine Schutzeinrichtung für junge Flüchtlinge | |
> ein, um eine Adresse zu überprüfen. Rechtswidrig, sagt der Flüchtlingsrat | |
Bild: Blaulicht in Berlin | |
Rechtswidriges und unverhältnismäßiges Vorgehen – das ist der Vorwurf an | |
drei Polizist*innen, die Anfang Mai die Adresse eines Jugendlichen aus | |
Afghanistan überprüft haben. Dazu hatten sie sich nachts um vier Uhr | |
Zutritt zu seinem Zimmer in einer Jugendhilfe-WG verschafft. Demnach haben | |
die drei Beamt*innen in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai am Fenster der | |
Erdgeschosswohnung in Lichtenberg geklopft, nachdem sie dort Licht gesehen | |
hatten. | |
In der Wohnung leben drei Jugendliche im betreuten Jugendwohnen. Der | |
betroffene 18-Jährige öffnete daraufhin die Wohnungstür. „Als ich die | |
Polizei gesehen habe, habe ich Angst bekommen“, sagt er. „Sie sind einfach | |
in die Wohnung und in mein Zimmer reingegangen.“ | |
Die Beamt*innen hätten ihn dort nach seinem Namen und Papieren gefragt. Der | |
Jugendliche gibt an, dass er ihnen seine Duldung gezeigt habe. Er habe | |
erklärt, dass er – bevor er in Deutschland Asyl beantragt habe – eine Zeit | |
lang in Norwegen gelebt hatte. Daraufhin hätten die Polizist*innen ihm | |
gesagt, dass er nach Norwegen zurück müsse und sich am nächsten Tag bei der | |
Ausländerbehörde melden solle. Er müsse Deutschland verlassen, sonst würde | |
man ihn abholen und abschieben. | |
Die Polizist*innen hätten schließlich noch seinen Kleiderschrank geöffnet | |
und den Inhalt angesehen. Zudem hätten sie auf dem Weg nach draußen in das | |
Zimmer eines Mitbewohners geschaut. Beim dritten Zimmer hätten sie es | |
versucht, es aber unterlassen, da die Tür abgeschlossen gewesen sei. | |
## Polizei bestätigt den Einsatz | |
Die Polizei bestätigt diesen Einsatz im Wesentlichen. Die Polizist*innen | |
hätten in Amtshilfe für die Ausländerbehörde gehandelt, um die Adresse des | |
Bewohners zu überprüfen. Tatsächlich war einmalig ein Brief von der | |
Ausländerbehörde nicht beim Jugendlichen angekommen. Dass sie diese | |
Adressprüfung nachts durchführten, begründet die Polizei wie folgt: Sie | |
hätten die Anschrift im Vorfeld mehrfach angefahren, aber niemanden | |
angetroffen. Für die Polizei sei auch nicht ersichtlich gewesen, dass es | |
sich um eine Schutzeinrichtung handelt. Sie hätten erst im Gesprächsverlauf | |
gemerkt, dass der Jugendliche verlangsamt reagierte. | |
Der Jugendliche ist seit längerer Zeit in psychologischer Behandlung und | |
nimmt starke Medikamente, um schlafen zu können. Er befindet sich noch im | |
Asylverfahren. Daher droht ihm aktuell keine Abschiebung – abgesehen davon, | |
dass Berlin abgelehnte Asylbewerber*innen aus Afghanistan derzeit | |
eigentlich generell nicht abschiebt. Nach dem Einsatz klagte der 18-Jährige | |
über Schlafbeschwerden, sein psychischer Zustand habe sich verschlechtert. | |
„Das Vorgehen der Polizei war rechtswidrig und im Übrigen | |
unverhältnismäßig“, sagt Jenny Fleischer, Rechtsanwältin des Jugendlichen. | |
„Ein Brief, der nicht zugestellt werden konnte, rechtfertigt keine | |
nächtliche Durchsuchung in der privaten Wohnung.“ | |
Sie erwägt, die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme gerichtlich | |
feststellen zu lassen. „Es gibt mildere Mittel um eine Adresse zu | |
überprüfen. Selbst nachdem die Polizei den Jugendlichen unter seiner | |
Meldeanschrift angetroffen hatte, haben sie noch seinen Schrank und ein | |
anderes Zimmer durchsucht“, sagt sie. | |
## Flüchtlingsrat: „Rechtswidrige Bedrohung“ | |
Auch der Flüchtlingsrat kritisiert den Polizeieinsatz. „Dass die Polizei | |
mitten in der Nacht in eine Jugendhilfeeinrichtung eindringt, um einen dort | |
wohnenden schwer traumatisierten Jugendlichen zu Fluchtereignissen zu | |
befragen, ist ein ungeheuerlicher Skandal“, sagt Nora Brezger vom | |
Flüchtlingsrat Berlin. „Dies liegt nicht im Verantwortungs- und | |
Kompetenzbereich der Polizei. Ihm dann auch noch entgegen der Rechtslage zu | |
erzählen, er würde abgeschoben, kann nur als rechtswidrige Bedrohung und | |
Nötigung verstanden werden.“ | |
Jugendhilfeeinrichtungen seien Schutzräume, in die die Polizei nicht | |
eindringen dürfe. Die Meldeadresse mitten in der Nacht zu überprüfen sei | |
rechtlich nicht zulässig. Der Flüchtlingsrat fordert nun Innensenator | |
Andreas Geisel (SPD) auf, den Fall aufzuklären und dienstrechtliche | |
Konsequenzen für die beteiligten Polizisten zu veranlassen. Er solle | |
außerdem die Polizei anweisen, den besonderen Schutzzweck von | |
Jugendhilfeeinrichtungen zu respektieren. | |
Laut Träger steht der Name der Jugendhilfeorganisation deutlich an | |
Klingelschild und Briefkasten. Der Ausländerbehörde sei bekannt, dass der | |
Jugendliche in der Jugendhilfe-WG lebe. Dass die Polizei dies nicht gewusst | |
haben soll, sei nicht plausibel. Es habe in Wohngruppen des Trägers | |
ähnliche Vorfälle gegeben, darüber hinaus beklagt der Träger gehäufte | |
Personenüberprüfungen der bei ihnen untergebrachten Jugendlichen im | |
öffentlichen Raum. Auch der Träger kündigte an, rechtliche Schritte zu | |
prüfen. | |
Ein Sprecher der Innenverwaltung wies die Vorwürfe, dass die Polizei | |
rechtswidrig und unverhältnismäßig vorgegangen sei, zurück. „Maßnahmen um | |
festzustellen, ob sich jemand tatsächlich unter einer Meldeanschrift | |
aufhält, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass dies nicht der Fall ist, sind | |
auch in Jugendhilfeeinrichtungen legitim und angezeigt“, sagte er. | |
27 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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