| # taz.de -- Corona und Hilfe für Obdachlose: Der Himmel hilft | |
| > Ein Kreuzberger Restaurant bekocht Obdachlose. Die Hilfe wird dringend | |
| > gebraucht, auch wenn die HelferInnen selbst nicht wissen, wie es | |
| > weitergeht. | |
| Bild: Essen aus dem Foodtruck: Für viele Obdachlose bleibt das die einzige war… | |
| Geschlossene Türen, keine Gäste – die Coronapandemie hält die Gastronomie | |
| in Schach. So auch das Restaurant Kreuzberger Himmel, das von ehemaligen | |
| Geflüchteten betrieben wird. Die MitarbeiterInnen machen das Beste aus der | |
| Situation und versorgen Obdachlose mit warmen Mahlzeiten. | |
| Layali Jaafar rührt kräftig in den hohen Töpfen. Sie kocht kiloweise Nudeln | |
| – entweder mit viel Gemüse oder mit Hackfleisch. Vor gut drei Jahren ist | |
| sie mit ihrer Familie aus dem Irak, wo sie auch schon als Köchin gearbeitet | |
| hat, nach Deutschland geflüchtet. In Berlin konnte die Mutter zweier Kinder | |
| mit Hilfe des Vereins Fuß fassen. | |
| Gegründet wurde [1][Be an Angel e. V]. im Jahr 2015, um Geflüchtete nach | |
| ihrer Ankunft in Deutschland zu unterstützen. Mit dem Kreuzberger Himmel | |
| hat der Verein im Jahr 2018 einen Ort der Begegnung für Einheimische und | |
| Geflüchtete geschaffen. 20 MitarbeiterInnen aus sechs Nationen arbeiten | |
| hier. Knapp 200 Geflüchteten konnte der Verein weiterhelfen und ihnen | |
| Arbeits- oder Ausbildungsplätze vermitteln. | |
| Layali Jaafar hievt den schweren Topf von der Feuerstelle und schüttet das | |
| dampfende Wasser aus. Wenn sie dabei erzählt, wie gut sich ihr Sohn in | |
| seiner Ausbildung als Zahnarzthelfer behaupten kann und wie gut es ihr tut, | |
| endlich wieder in ihrem Job zu arbeiten, leuchten ihre Augen. „Mir wurde | |
| bei meiner Ankunft in Deutschland sehr geholfen – und jetzt können wir | |
| helfen“, sagt sie. | |
| ## Ein Tropfen auf dem heißen Stein | |
| Seit über drei Wochen beliefert der Kreuzberger Himmel nun mehrmals täglich | |
| unterschiedliche Anlaufstellen für Obdachlose. Etwa 500 Gerichte pro Woche | |
| werden ausgegeben. Der Kreuzberger Himmel ist durch die Coronapandemie | |
| finanziell ziemlich schlecht aufgestellt. Das Restaurant hat | |
| durchschnittlich 35.000 Euro Fixkosten im Monat, ohne Einkäufe. Ein | |
| Großhändler, der anonym bleiben möchte, verkauft ihnen die Lebensmittel zum | |
| Einkaufspreis. | |
| Als [2][Soforthilfe des Senats] haben sie 15.000 Euro für 3 Monate bekommen | |
| – was aber ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Auch dass das Restaurant | |
| Speisen zum Mitnehmen verkauft, bringt finanziell wenig. | |
| Yousef Sprecher ist der Geschäftsführer des Kreuzberger Himmels. Seit der | |
| Corona-Ausbruch den Alltag bestimmt, transportiert er die warmen Mahlzeiten | |
| in großen Wärmebehältern zu den Ausgabestandpunkten. „Niemand sollte Hunger | |
| leiden müssen“, sagt der Mann, der seinen Nachnamen offiziell geändert hat, | |
| als er aus Syrien in Deutschland ankam. | |
| Sprecher war in Aleppo über sieben Jahre mit einer eigenen Firma in der | |
| Immobilienbranche tätig. „Als ich gekidnappt wurde, wusste ich, dass es | |
| Zeit ist, mein Land zu verlassen“, sagt er und lädt die großen | |
| Wärmebehälter mit den Nudeln in sein rotes Auto. Zuerst sei er in einem | |
| Flüchtlingsheim untergekommen und musste sich mit deutscher Bürokratie | |
| herumschlagen, sagt er und fährt los. Erster Halt: Berlin, Ostbahnhof. | |
| ## Für Obdachlose ist Corona doppelt schlimm | |
| Mit seinem Foodtruck betreibt Ghayth Nashed seit zwei Jahren den | |
| Cateringservice Bab al-Jinan. Auch sein Unternehmen liegt momentan brach. | |
| Und so hilft Nashed dem Kreuzberger Himmel beim Verteilen der Mahlzeiten. | |
| Vor dem Foodtruck hat sich bereits eine Schlange gebildet – alle halten den | |
| Mindestabstand von 1,50 Meter ein. „Ich lebe seit mehreren Jahren auf der | |
| Straße und schlage mich so durch“, sagt ein etwa 55-jähriger Mann, der | |
| seinen Namen nicht nennen möchte. Was gerade passiert, sei schlimm für die | |
| Menschen auf der Straße, berichtet er. | |
| Es gäbe nicht mehr genügend Anlaufstellen. „Corona ist für uns doppelt | |
| schlimm – Angst vor Krankheit und davor, nicht mehr über die Runden zu | |
| kommen, weil alles dicht ist“, sagt er leise. Dann ist er an der Reihe, | |
| sein Essen aus dem Foodtruck entgegenzunehmen. Durch die Einschränkungen | |
| liegt das öffentliche Leben brach. „Für Obdachlose Menschen bedeutet das, | |
| dass sie sich kaum noch selbst versorgen können“, sagt Christin Fritzsche | |
| von der Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe. | |
| Die betroffenen Menschen könnten aktuell kaum noch Pfandflaschen sammeln, | |
| Straßenzeitungen verkaufen oder andere Menschen auf der Straße und in der | |
| U-Bahn nach Geld oder Lebensmitteln fragen. „Das bedeutet, diese ganzen | |
| Einnahmen fallen einfach weg“, so Fritzsche. | |
| Zusätzlich ist das [3][Hilfesystem für Obdachlose] durch die | |
| Coronasicherheitsauflagen massiv eingeschränkt. Durch die Abstandsregelung | |
| ist es in den meisten Anlaufstellen für Obdachlose nicht mehr möglich, | |
| Menschen hineinzubitten und dort warmes Essen zu verteilen. | |
| ## Eine kleine Hilfe kann lebensrettend sein | |
| Stattdessen bekommen sie abgepackte Kaltverpflegung. „Initiativen wie vom | |
| Kreuzberger Himmel sind also hilfreich, damit die Menschen einmal am Tag | |
| eine warme Mahlzeit bekommen“, so Fritzsche. Yousef Sprecher steht mit | |
| Ghayth Nashed im Foodtruck und reicht eine Portion nach der anderen durch | |
| die Ausgabe und nimmt Ketchup- oder Mayonnaisewünsche entgegen. Ein | |
| Berliner-Bär-Tattoo kommt unter den hochgekrempelten Ärmeln zum Vorschein. | |
| „Nach Berlin zu ziehen, war das Beste, was mir je passiert ist“, lacht | |
| Sprecher. Vor drei Jahren hat er sich den Bären auf den Unterarm tätowieren | |
| lassen. | |
| „Der Berliner Bär ist ein Symbol für mich, dass es immer Hoffnung gibt, | |
| egal wie schwer das Leben wird“, erklärt Sprecher seine Motivauswahl. Und | |
| jetzt müsse man erst einmal denjenigen helfen, denen es aktuell schlecht | |
| gehe – das sei das Motto des Teams vom Kreuzberger Himmel, das sich selbst | |
| auch Sorgen um seine Zukunft macht. | |
| „Ich mache mir schon Gedanken, aber ich glaube fest daran, dass wir über | |
| die Krise hinwegkommen“, so Sprecher. „Ich weiß, dass eine kleine Hilfe f�… | |
| den anderen manchmal lebensrettend sein kann.“ | |
| 21 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Theodora Mavropoulos | |
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