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# taz.de -- Maßnahmen für Obdachlose: „Sie brauchen ein eigenes Zimmer“
> Jörg Richert, Vorstand der Karuna Sozialgenossenschaft, erklärt, warum
> seine Organisation in der Coronakrise Hotelzimmer für Obdachlose fordert.
Bild: Wasser wird knapp: improvisierte Waschstelle am Boxhagener Platz
taz: Herr Richert, die KARUNA Sozialgenossenschaft schlägt Alarm: Wenn die
Kommunen jetzt nicht richtig handelten, riskierten sie den Tod vieler
obdachloser Menschen, heißt es in einer Mitteilung. Warum sind Obdachlose
jetzt besonders gefährdet?
Jörg Richert: Viele Menschen, die auf der Straße leben, haben
Vorerkrankungen. Viele sind schon älter, viele rauchen auch – das alles
macht sie zu einer Hochrisikogruppe. Andererseits wissen obdachlose
Menschen oft gar nicht, dass es gegebenenfalls die Möglichkeit gibt, sich
auf das Coronavirus testen zu lassen. Einen Hausarzt haben sie nicht, die
Hotlines sind verstopft. Stundenlang in der Warteschleife auszuharren, das
können Obdachlose nicht leisten. Die wenigsten haben ja überhaupt ein
Telefon, allerdings wollen wir in den kommenden Tagen für die meisten hier
in Berlin eines organisieren.
Wie hilft ihre Organisation im Falle einer etwaigen Covid-19-Erkrankung
eines Obdachlosen?
Nehmen wir an, jemand liegt in seinem Zelt an der Rummelsburger Bucht und
bekommt Fieber. Dann kann er eine Notrufnummer anrufen, die wir geschaltet
haben. Wir schicken dann entweder einen Arzt hin oder fahren selbst mit dem
Karuna-Mobil vorbei, um die Person in Krankenhaus oder eine andere
Hilfseinrichtung zu bringen – unser Mobil ist mit seiner abgeschlossenen
Fahrerkabine gut dafür geeignet.
Das könnte sich erübrigen, wenn Ihre politische Forderung umgesetzt würde:
Sie wollen, dass Obdachlose in Berlin und allen anderen deutschen
Großstädten in Hotels untergebracht werden.
Ja, wir waren und sind auch schon mit Hotels im Gespräch. Es gibt von deren
Seite aus eine riesige Bereitschaft, denn die meisten Zimmer stehen leer
und die Betreiber erhoffen sich dadurch Einnahmen. Das ist ja vom Grundsatz
her völlig in Ordnung. Aber natürlich muss es vom Land finanziert werden.
Sehen Sie da beim Senat eine entsprechende Bereitschaft?
Die ist grundsätzlich auf jeden Fall da, wir haben uns ja auch schon
gemeinsam um die aktuelle Problematik gekümmert. Ich selbst war im Auftrag
der Sozialverwaltung unterwegs, um Möglichkeiten für eine Unterbringung
auszuloten. Daraus ist jetzt die vorläufige Lösung mit zwei ersten
Standorten entstanden. Heute Abend belegen wir 200 Plätzein der
Jugendherberge in der Kluckstraße in Tiergarten. Mit der anderen
Einrichtung, die noch angemietet wird, kommen wir auf rund 350 Plätze, aber
da draußen leben rund 2.000 Menschen! Für eine massive Ausweitung dieser
Maßnahme muss also einiges in Angriff genommen werden, das muss mit Geld
unterlegt werden, die Abgeordneten müssen Beschlüsse fassen.
Wie soll denn die Idee mit den Hotels konkret aussehen?
Was wir brauchen, sind Ein-Bett-Zimmer, auch Zwei-Bettzimmer für obdachlose
Paare. Betreut würden die Menschen in den Hotels von einem sozialen Träger,
so wie die Tamaja GmbH es jetzt in der Jugendherberge macht. Bei einem
großen Hotel könnte ein Träger beispielsweise auch nur eine Etage
übernehmen.
Muss man die Menschen dann überwachen, damit das funktioniert?
Nein, das ist Unsinn, wir haben da gute Erfahrungen. In den
Notübernachtungen gibt es ja oft nur Streit, weil die Leute dort in großer
räumlicher Enge zusammen sind. Da sagen dann viele: Das ist mir zu viel
Stress, da kann ich gar nicht mehr schlafen und bleibe lieber unter der
Brücke. Wenn sie einen eigenen Raum haben, können sie zur Ruhe kommen,
ausschlafen, regelmäßig essen und dadurch auch psychisch und körperlich
heilen. Deswegen werben wir dafür, dass auch nach der Pandemie keiner mehr
auf der Straße leben muss. Spezielle Hotels für Obdachlose zu gründen, ist
eine viel schlauere Lösung.
Sie gehen als davon aus, dass die meisten Obdachlosen das Angebot annehmen.
Das wollte auch die Senatsverwaltung wissen, daraufhin haben wir eine
Umfrage auf der Straße gemacht. Zehn Leute haben abgewunkenn, 77
signalisierten, dass sie das annehmen wollen. Die Situation ist eine ganz
andere als bei der Kältehilfe. Die Menschen sorgen sich, sie haben Angst
vor einer Ansteckung, und die Veränderungen, die sie gerade erleben, also
dass wir hier abends eine richtige Geisterstadt haben, setzen psychisch
noch mal einen drauf.
Werden denn die vorhandenen Notübernachtungen zurzeit noch genutzt?
Viele sind mittlerweile heruntergefahren worden, oder die Belegung wurde
ausgedünnt, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Es ist aber nicht so,
dass die Unterkünfte pauschal von den Gesundheitsämtern geschlossen worden
wären. Die Sozialverwaltung hat den Trägern vermittelt, dass jede
Einrichtung selbst entscheiden muss, wie sie mit dem Problem am besten
umgeht. Wie gesagt: Die beste Versorgung ist jetzt ein Bett in einem
eigenen Zimmer und eine eigene Toilette – das können Hotels und auch viele
moderne Jugendherbergen bieten.
Ist eigentlich die gesellschaftliche Solidarität in dieser
Ausnahmesituation gewachsen? Ich habe zumindest in meinem Umfeld
beobachtet, dass Obdachlosen, die betteln, im Moment eher etwas gegeben
wird.
Ich weiß ich nicht, ob man das generell sagen kann. Letzten Freitag haben
wir 300 Essen am Boxhagener Platz ausgegeben, der Bedarf ist also nicht
geringer geworden. Die ganze Hilfsstruktur ist ja mittlerweile
zusammengeschmolzen, oft stehen die Menschen vor geschlossenen Türen. Ihre
Beobachtung will ich aber nicht in Abrede stellen – es gibt durchaus große
Hilfsbereitschaft, auch von Unternehmen. Gerade sammeln wir Essenstüten bei
Supermärkten ein und von den Berliner Wasserbetrieben haben wir zehntausend
Liter Wasser in sogenannten Notfallbeuteln erhalten. Obdachlose fragen uns
jetzt vermehrt nach Wasser, weil viele Orte, an denen sie sich sonst
waschen können, nicht mehr zugänglich sind.
1 Apr 2020
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Obdachlosigkeit
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