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# taz.de -- Klassische Musik gegen Atomkraft: a-Moll statt Atommüll
> Seit zehn Jahren spielen bei den Asse-Konzerten Musiker ohne Gage. Damit
> protestieren sie die Lagerung von Atommüll in dem Bergwerk Asse II.
Bild: Droht abzusaufen: das marode Atommülllager Asse bei Remlingen
WOLFENBÜTTEL taz | Die „Asse-Konzerte“ feiern Jubiläum: Vor zehn Jahren
wurde die Konzertreihe mit vornehmlich klassischer Musik aus der Taufe
gehoben – als einzige in Deutschland, die sich ausdrücklich gegen die
Nutzung von Atomkraft wendet und für einen anderen Umgang mit radioaktiven
Abfällen wirbt.
Beim ersten Konzert am 9. August 2009 gab das Braunschweiger Ensemble „Der
Guelfen Freüdenspiel“ in der evangelischen Kirche St. Barbara im Kreis
Wolfenbüttel ein Konzert mit Werken des italienischen Barockkomponisten
Guiseppe Torelli. An demselben Ort, dieses Mal mit der Hamburger
Violinistin Annegret Siedel, starten die „Asse-Konzerte“ am 5. Mai nun in
ihre elfte Spielzeit.
2009 war auch das Jahr, in dem die dramatische Situation im Atommülllager
Asse erstmals in den Blick einer größeren Öffentlichkeit rückte. Weitgehend
unbeachtet waren in das frühere Salzbergwerk Asse II zwischen 1967 und 1978
rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven sowie chemischen
Abfällen eingelagert worden. Darunter sind rund 100 Tonnen radioaktives
Uran, 87 Tonnen strahlendes Thorium, 28 Kilogramm Plutonium und 500
Kilogramm extrem giftiges Arsen.
Teilweise kippten Gabelstapler die Fässer einfach über Abhänge oder
quetschten sie in bereits volle Hohlräume. Bis heute halten sich Gerüchte,
dass dort auch Kadaver von Affen und anderen Säugetieren vermodern, mit
denen in der Vergangenheit radioaktive Versuche gemacht wurden. Unklar ist
auch, ob entgegen offizieller Beteuerungen auch hoch radioaktiver Müll
verklappt wurde.
## Der Salzstock löst sich auf
Seit 1988 fließt eine erhebliche Menge salzhaltige Lauge – täglich zwischen
12.000 und 14.000 Litern – aus dem Deckgebirge ins Bergwerk und droht, das
Salz und den Atommüll aufzulösen. Wegen des hohen Drucks, der auf dem
Salzstock lastet, würde dann die radioaktive Pampe nach oben ausgepresst.
Die Nachbarschächte Asse I und Asse III waren schon früher voll Wasser
gelaufen und aufgegeben worden.
2010 wurde nach einem Vergleich verschiedener Varianten zur Stilllegung der
Asse beschlossen, dass die Abfälle nach Möglichkeit geborgen und an die
Oberfläche geholt werden sollen. Passiert ist seitdem ziemlich wenig. Zwar
hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), seit ihrer Gründung im
Jahr 2016 Betreiberin der Atommüllkippe, eine Kammer mit Atommüll angebohrt
und den Baugrund für einen weiteren Schacht erkundet – eine Gesamtplanung
für die Rückholung der teils wohl schon korrodierten Fässer gibt es bislang
aber nicht.
Völlig unklar ist zudem, was mit den zurückgeholten Fässern danach
passieren soll. Der Schacht Konrad bei Salzgitter, der gegenwärtig zum
Bundesendlager für schwach und mittel radioaktiven Abfall ausgebaut wird,
kann den Asse-Müll schon aus Platzgründen nicht aufnehmen. Einige Experten
und Umweltschützer bezweifeln denn auch, dass dieses Konzept überhaupt noch
ernsthaft verfolgt und stattdessen insgeheim eine Flutung des Bergwerks
favorisiert wird.
Vor diesem Hintergrund wollen die jeweils etwa einstündigen „Asse-Konzerte“
ein „klingendes Zeichen“ setzen und gegen die Lagerung atomaren Mülls in
der Asse protestieren, sagt eine der Veranstalterinnen, die Hildesheimer
Professorin für Pädagogik und Soziale Arbeit, Ruth Jäger.
Sie verweist darauf, dass in der Samtgemeinde Asse eine Erhöhung der
Schilddrüsenkrebserkrankungen zu verzeichnen ist, ebenso eine Verringerung
der Anzahl von Mädchengeburten. Beides Phänomene, die aus radioaktiv
verstrahlten Gebieten wie rund um Tschernobyl bekannt seien.
Bis heute hat es in Kirchen und Sälen der Region 55 „Asse-Konzerte“
gegeben. An die 200 Musikerinnen und Musiker waren daran beteiligt,
darunter „Stars“ wie die auch international bekannte Cembalistin und
Pianistin Christine Schornsheim aus München oder der Solo-Kontrafagottist
des Gewandhausorchesters Leipzig, Eckhard Kupke.
Alle Künstlerinnen und Künstler verzichten auf eine Gage, betonen Jäger und
die Braunschweiger Psychotherapeutin Elisabeth Jürgens, Co-Organisatorin
der Reihe. Die Spenden, um die beim Einlass gebeten wird, gingen komplett
an regionale Bürgerinitiativen wie den „Asse-II-Koordinationskreis“, einen
Dachverband regionaler Asse-Kritiker. Die „Asse-Konzerte“ seien völlig
unabhängig von Wirtschaft, Parteien und staatlichen Zuschüssen.
Auch vom sogenannten „Asse-Fonds“ gebe es kein Geld. Der 2016 aufgelegte,
millionenschwere Fonds soll Nachteile ausgleichen, die der Region durch das
marode Atommülllager entstanden sind. So sind in umliegenden Gemeinden in
den vergangenen Jahren beispielsweise die Immobilienpreise gesunken, viele
Einwohner zogen weg. Eine Stiftung regelt die Vergabe des Geldes aus dem
Fonds. Etliche Vereine und Initiativen haben inzwischen die Finanzierung
von Projekten beantragt und bewilligt bekommen.
Nach dem Auftaktkonzert von Annegret Siedel sind dieses Jahr bis zum
Oktober fünf weitere Konzerte in Sälen oder Kirchen in der Umgebung des
Atommülllagers Asse geplant. Dabei soll es mehr als nur Klassik zu hören
geben.
## Braunschweigs OB sagt ab
Am 16. Juni spielen und singen der Jazzchor Celle und die Hallenser
Saxofonistin Gerlinde Poldrack Jazzklassiker und Popsongs. Das
Abschlusskonzert 2019 ist zwei reisenden Narren gewidmet: Don Quixote und
Pierrot Lunaire, der Karlsruhe Bassbariton Claus Temps sowie Heike
Bleckmann am Klavier veranstalten diesen Liederabend.
Konzertorte sind neben Wittmar in diesem Jahr Wolfenbüttel sowie die
Asse-Dörfer Remlingen, Groß Denkte, Kissenbrück und das
Till-Eulenspiegel-Museum in Schöppenstedt. „Musiziert wird dort, wo die
Auswirkungen des atomaren Mülls für jeden Bürger spürbar sind“, heißt es…
der Ankündigung.
Nur im nahen Braunschweig wird es im Jubiläumsjahr kein Konzert geben.
Oberbürgermeister Ulrich Markurth (SPD), sagt Organisatorin Jäger, habe der
Vergabe der repräsentativen „Dornse“ im Altstadtrathaus für diesen Anlass
widersprochen.
3 May 2019
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Asse
Schwerpunkt Atomkraft
Atommüllendlager
Klassische Musik
Konzert
Schacht Konrad
Gorleben
Schwerpunkt Fridays For Future
Gorleben
Asse
Schacht Konrad
Atommüllentsorgung
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