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# taz.de -- Nachruf auf Lilo Wollny: Mutter des Widerstands
> Mit 93 Jahren ist Lilo Wollny gestorben. Wie eine einfache Hausfrau den
> Anti-AKW-Protest vor allem im Wendland prägte.
Bild: Wollny 2001 bei einer Kundgebung in Gorleben
Als Atomkraftgegner am 3. Mai 1980 die Bohrstelle 1004 über dem Gorlebener
Salzstock besetzen und die „Republik Freies Wendland“ ausrufen, deckt Lilo
Wollny ein paar Dörfer weiter in ihrem Haus den Esstisch. „Wir hatten an
dem Wochenende Konfirmation und jede Menge Verwandtschaft zu Besuch“,
erinnerte sich Wollny später. Mit der Besetzung wollen Umweltschützer die
Erkundung des unterirdischen Salzstocks auf seine Eignung als Atommüllkippe
stoppen.
Montagmorgen ist die Verwandtschaft abgereist. Lilo Wollny fährt auf den
besetzten Platz und fragt, was es für sie zu tun gibt. „Die brauchten noch
jemanden für die Verpflegung“, erzählte sie. „Ich wurde also die Küchenf…
und habe mit dafür gesorgt, dass Hunderte Menschen über einen Monat lang
jeden Tag was zu essen hatten.“
Engagiert und kompromisslos, unermüdlich und immer da, wo sie gebraucht
wurde. Dabei humorvoll, bescheiden und sich selbst zurücknehmend – so hat
Lilo Wollny von Beginn an den Protest gegen die Gorlebener Atomanlagen
mitgeprägt. Der Widerstand war ihr Leben. Am Donnerstag ist sie mit 93
Jahren gestorben, wie am Wochenende bekannt wurde.
Im Elb-Dörfchen Vietze zieht Lilo Wollny mit ihrem Mann nach dem Zweiten
Weltkrieg fünf Kinder groß. Sie schmeißt Haushalt und Garten, leitet eine
kleine Bäckerei und übersetzt für US-Soldaten, die in der Gegend
stationiert sind. 1977 dann erklärt der damalige niedersächsische
Ministerpräsident Ernst Albrecht Gorleben zum Standort für ein „nukleares
Entsorgungszentrum“.
Aus der Küchenfee wird nach kurzer Zeit die Sprecherin der Bürgerinitiative
Umweltschutz, später auch deren Vorsitzende. Sie moderiert den
vielstimmigen Widerstand, liest und diskutiert sich in geologische und
physikalische Prozesse ein und steht Journalisten aus der ganzen Welt Rede
und Antwort. Eine Hausfrau und Mutter als Leitfigur des Widerstands? Das
interessiert viele Medien.
Für die Grünen im Bundestag
Nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 zieht Lilo Wollny als Parteilose für
die Grünen in den Bundestag ein, nach drei Jahren wechselt sie in die
Kommunalpolitik. 1998 erscheint ihr Buch „Es wird wie ein Kartenhaus
zusammenbrechen“, eine Abrechnung mit den Lügen und Tricks der Atomlobby.
„Die Arrangements der Atomwirtschaft und Politik bergen ein derart
zerstörerisches Potenzial, dass einem allein schon das Zuhören den Atem
nimmt“, sagte Wollny.
Einschüchtern ließ sie sich nie. Am 4. Juni 1980 soll die „Republik Freies
Wendland“ geräumt werden. 5.000 Atomkraftgegner stehen und sitzen rund
10.000 Polizisten und Grenzschützern gegenüber. Hubschrauber donnern über
die Baumwipfel, viele Beamte sind vermummt. Auch Wollnys Küchencrew ist im
Einsatz: „Wir kochten noch Tee und Suppe, als die Räumung schon begonnen
hatte.“
„Ein starkes Herz des Widerstands hat aufgehört zu schlagen“, erklärte am
Wochenende die Bürgerinitiative. „Wir werden ihren Scharfsinn und Humor
vermissen.“
3 Nov 2019
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Gorleben
Anti-AKW-Proteste
Nachruf
Zeitgeschichte
Wendland
Anti-Atom-Bewegung
Anti-Atom-Bewegung
Atomenergie
Asse
Gorleben
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