# taz.de -- Betreibergesellschaft rüstet ab: Gorleben auf Stand-by | |
> Bis auf einen kleinen Rest wird die hohe Schutzmauer am Endlager | |
> abgerissen. Doch der Dauerkonflikt um den Standort ist noch nicht | |
> beendet. | |
Bild: Widerstand gegen das Gorlebener Atommülllager: Die Republik freies Wendl… | |
Göttingen taz | Zum vorerst letzten Mal können angemeldete Besucher diesen | |
Montag in das Erkundungsbergwerk Gorleben einfahren. Über Tage beginnt | |
zugleich der Abriss der rund zwei Kilometer langen und bis zu fünf Meter | |
hohen Mauer um das Bergwerk, die in den achtziger Jahren als Abschottung | |
gegen DemonstrantInnen gebaut wurde. | |
Ein rund zehn Meter langes Stück soll als politisches Denkmal erhalten | |
bleiben. Das Teilstück wird dem Landkreis Lüchow-Dannenberg und der | |
örtlichen Anti-Atomkraft-Bürgerinitiative übergeben. Damit will die | |
Betreibergesellschaft, die bundeseigene Bundesgesellschaft für Endlagerung | |
(BGE), ein Zeichen der Versöhnung setzen. Ein weiteres Kapitel im | |
Gorleben-Konflikt wird damit beendet, zu Ende ist die Geschichte aber noch | |
lange nicht. | |
Im Februar 1977 benannte der damalige niedersächsische Ministerpräsident | |
Ernst Albrecht das Dorf im Wendland als Standort für ein „Nukleares | |
Entsorgungsendzentrum“: Eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage, ein | |
Endlager, ein Zwischenlager und eine Brennelementefabrik sollten dort | |
entstehen. Im strukturschwachen und konservativen Kreis Lüchow-Dannenberg, | |
so das Kalkül, würden die Leute nichts gegen diese Fabriken haben. Und erst | |
recht nichts gegen die versprochenen Arbeitsplätze. | |
Doch es gab offenbar noch einen anderen Aspekt. Der – inzwischen gestorbene | |
– Geologe Gerd Lüttig erinnerte sich in einem taz-Gespräch an eine Sitzung, | |
in der Albrecht nach seinen Angaben sagte: „Jetzt haben wir dieses | |
Morsleben (DDR-Endlager, Anm. d. Red.) direkt an der Zonengrenze. Wenn das | |
mal absäuft, dann haben wir im Helmstedter Raum die verseuchten Wässer. Ich | |
möchte jetzt die Ostzonalen mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als | |
Gegengewicht. Mal sehen, was herauskommt.“ | |
## Standort war „politisch nicht durchsetzbar“ | |
Mit Blick auf den Widerstand hatte sich Albrecht verrechnet. Schon am Abend | |
der Standortbenennung versammelten sich in Gorleben Hunderte empörter | |
Menschen. Drei Wochen später demonstrierten 20.000 auf dem geplanten | |
Baugelände. Eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben, schrieb Albrecht an | |
Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), sei „politisch derzeit nicht | |
durchsetzbar“. Zwei Ausstellungen in Hannover und Lüchow erinnern zurzeit | |
an die damaligen Ereignisse. | |
Atommüllfrei blieb die Region aber nicht. Im Gorlebener Wald entstanden | |
zwei Atommüllzwischenlager und eine Pilotkonditionierungsanlage – sie | |
sollte radioaktive Abfälle endlagergerecht verpacken und defekte | |
Castorbehälter reparieren. | |
Der unterirdische Salzstock wurde seit den 1980er Jahren als mögliche | |
Lagerstätte für Atommüll geprüft. Die Bergleute trieben Schächte in den | |
Boden, legten unterirdische Gänge und Hohlräume an, die eigentlich viel zu | |
groß waren für eine bloße Prüfung. Das vorgebliche Erkundungsbergwerk nahm | |
die Ausmaße eines Endlagers an, wie auch das Bundesamt für Strahlenschutz | |
als damaliger Betreiber einräumte. | |
Eine teilweise fehlende wasserdichte Tonschicht über dem Salzstock, | |
Gasvorkommen und Wassereinschlüsse darunter: Über fachliche Einwände gegen | |
die Eignung des Salzstocks setzten sich Bundesregierung und die | |
Nuklearbranche mehrfach hinweg. Was nicht passte, wurde passend gemacht. | |
Als die rot-grüne Bundesregierung und die Energiekonzerne im Jahr 2000 | |
erstmals einen zögerlichen Atomausstieg vereinbarten, beschlossen sie | |
gleichzeitig ein zehnjähriges Moratorium für die Erkundung in Gorleben. Die | |
Regierung übernahm jedoch den Begriff von der „Eignungshöffigkeit“ des | |
Salzstocks, also der Hoffnung auf seine potenzielle Eignung. 2010 ging die | |
Erkundung weiter, bis 2014 wurde gebohrt und gebuddelt. | |
Im Zuge des Neustarts der Endlagersuche war vorläufig Schluss. Um den | |
Gorleben-Konflikt zu beruhigen, beschloss der Bundestag, die Arbeiten | |
einzustellen. Zum Jahreswechsel 2018 ging das Bergwerk in den sogenannten | |
Offenhaltungsbetrieb über. „Der Erkundungsbereich wird außer Betrieb | |
genommen und abgesperrt“, erläuterte die BGE, der jetzige Betreiber. Alle | |
nicht mehr erforderlichen Maschinen und Fahrzeuge würden nach oben geholt. | |
Das Bergwerk wurde also auf Eis gelegt, nicht aber endgültig geschlossen. | |
Die Schächte wurden verschlossen, aber nicht zugeschüttet, wie es die | |
Atomkraftgegner verlangten. Die Option, die Erkundung in Gorleben eines | |
Tages fortzusetzen und doch Atommüll dort einzulagern, soll nicht verbaut | |
werden. | |
## Politisch verbrannt und geologisch ungeeignet | |
Von einem „Stand-by“-Betrieb spricht die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz | |
Lüchow-Dannenberg. Der „politisch verbrannte und geologisch ungeeignete“ | |
Salzstock bleibe damit bei der Endlagersuche im Rennen. Die vorgeblich | |
„weiße Landkarte“, die Grundlage für die Suche sein soll, habe mit Gorleb… | |
schon einen „dicken Fleck“. | |
Kaum neu gestartet, geriet die Suche bereits ins Stocken: Bayern verweigert | |
sich präventiv, andere Bundesländer und private Firmen mauerten bei der | |
Herausgabe notwendiger Daten. Die BGE hatte diese Daten im vergangenen Jahr | |
bei den Bergbehörden der Länder abgefragt, um zunächst bestimmte Gebiete | |
als Endlagerstandorte ausschließen zu können – etwa wenn dort die Gefahr | |
von Erdbeben besteht oder der Untergrund bereits durch frühere | |
Bergbautätigkeiten und Bohrungen „verritzt“ ist. Bis 2031 soll der Standort | |
für ein Endlager feststehen, doch dürfte dieser Zeitplan kaum zu halten | |
sein. | |
Mit dem Abbau der symbolträchtigen Betonmauer und ihrer Ersetzung durch | |
einen „für Industrieanlagen üblichen Zaun“ will die BGE ein | |
Entspannungssignal senden. Dass ein Eckstück der Mauer nun stehen bleibt, | |
geht auf eine Idee der BI zurück: „Als Mahnmal für eine verkorkste | |
Atommüllpolitik und als Warnung, dass Gorleben als mögliches Endlager nicht | |
aufgegeben wurde. Aber auch als Meilenstein für einen erfolgreichen Kampf | |
‚David gegen Goliath‘, so die Bürgerinitiative. | |
14 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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