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# taz.de -- Zivilcourage gegen Abschiebepolitik: Kein Abflug für Abschiebungen
> 2018 scheiterten 506 Abschiebungen an PilotInnen. Der Bundespolizei-Chef
> übt Kritik, Pro Asyl lobt die „Zivilcourage“.
Bild: Keine Erfüllungsgehilfen – viele PilotInnen verhindern Abschiebungen
BERLIN taz | Die algerische Familie saß Mitte Januar schon im Flieger, am
Morgen hatten Polizisten das Paar mit den zwei kleinen Töchtern aus Marburg
für ihre Abschiebung abgeholt. Dann aber entschied der Pilot: Dazu wird es
nicht kommen, weil die Mutter hochschwanger ist. Zu riskant seien die
Gesundheitsgefahren, auch durch die erlittenen Stunden des
Ausnahmezustands. Die Abschiebung scheiterte im allerletzten Moment.
Der Vorgang ist kein Einzelfall. Die Bundespolizei bestätigte am Sonntag
der taz, dass 2018 in 506 Fällen Abschiebungen scheiterten, weil PilotInnen
diese verhinderten. Und der Widerstand wächst: Noch 2016 verweigerten die
FlugzeugführerInnen 139 Abschiebungen, 2017 waren es schon 314.
Bundespolizeichef Dieter Romann übt am Vorgehen der PilotInnen Kritik.
Diese hätten zwar für die Sicherheit an Bord eines Fluges zu sorgen, sagte
er am Wochenende der Funke-Mediengruppe. Sie dürften aber auch den
„originären Hoheitsträger nicht an seiner hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung
hindern“ – also an der Ausführung der Abschiebungen. Seine Beamten würden
ja als Personenbegleiter im Flieger für Sicherheit sorgen, so Romann.
Lob für die PilotInnen kommt dagegen von Flüchtlingsverbänden. Günter
Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, sprach von „einem positiven
[1][Zeichen der Zivilcourage]“. Die Zahl der abgebrochenen Abschiebungen
sei „ein Zeichen, in welch erschreckendem Maße Menschen in Flugzeuge
verfrachtet werden, die nicht abgeschoben werden sollten“.
## Handlungsanweisung von Pilotenvereinigung
Vielfach handelten die PilotInnen, weil Betroffene gesundheitlich in Gefahr
seien. Es gebe einen Trend zu immer härteren Abschiebungen, so Burkhardt
zur taz. „Medizinische Gutachten werden ignoriert oder willfährige
Amtsärzte eingesetzt.“ Die PilotInnen würden sich diesem Druck offenbar
nicht beugen. „Sie lassen sich nicht zu Erfüllungsgehilfen einer
Abschiebemaschinerie machen.“
PilotInnen haben laut Luftsicherheitsgesetz in Flugzeugen die Hoheit über
die Sicherheit. Sehen sie eine Gefahr für einen Passagier oder Mitreisende,
können sie einschreiten. Sei die Maschine aber noch am Boden, habe im
Konfliktfall die Luftsicherheitsbehörde das letzte Wort, betont
Bundespolizeichef Romann, also seine Polizei.
Björn Reimer von der PilotInnen-Vereinigung Cockpit warnte davor, an der
Rechtslage zu rütteln. „Wir halten es für überzogen und einen
Schnellschuss, jetzt die Bordgewalt des Kapitäns in Frage zu stellen, denn
dies ist absolut ungerechtfertigt.“ Es gehe nur um einen sehr kleinen Teil
der Abschiebungen, der durch PilotInnen oder Fluggesellschaften verhindert
worden sei, etwa zwei Prozent.
„Wir sind davon überzeugt, dass unsere Kollegen eine Beförderung nur
ablehnen, wenn es Anzeichen für eine Gefährdung der Sicherheit des Fluges
oder anderer Fluggäste und Besatzungsmitglieder gibt“, so Reimer zur taz.
„Den Angriff durch Herrn Romann auf die Entscheidungsgewalt des
Flugzeugführers weisen wir entschieden als ungerechtfertigt zurück.“
In einer aktuellen Handlungsempfehlung von Cockpit an ihre Mitglieder heißt
es: „Deportees stellen eine potentielle Gefahr für die Flugsicherheit dar.“
Es müsse deshalb eine „Risikobewertung von einer kompetenten Stelle
erstellt“ und dem Flugzeugführer im Vorfeld mitgeteilt werden. „Der
Luftfahrzeugführer kann die Beförderung aus Sicherheitsgründen ablehnen.“
In einer älteren Fassung riet die Vereinigung ihren PilotInnen, „sich nur
an Abschiebungen zu beteiligen, bei denen der Abschübling freiwillig
fliegt“. Sei die Person gefesselt, unter Beruhigungsmitteln oder in
Begleitung mehrerer Polizisten, könne diese Freiwilligkeit bereits
„verneint“ werden. Es gebe keinen Zwang, Abschiebungen durchzuführen.
## Seehofer verschärfte Abschiebegesetz
Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfragen scheiterten
2018 die meisten Abschiebungen durch Lufthansa-Piloten: 141. Darauf folgen
Eurowings (131), Qatar Airways (48) und Alitalia (34). Daneben wurden auch
1.637 Abschiebungen wegen Widerstandshandlungen der Ausgewiesenen
abgebrochen, 107 aus medizinischen Gründen.
Laut Innenministerium scheiterten 2018 rund 27.000 von 57.000 geplanten
Abschiebungen – die weitaus meisten, weil die Betroffenen vorher
untertauchten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte auch deshalb
[2][kürzlich ein Gesetz für verschärfte Abschiebungen] durchs Kabinett
gebracht. Damit wird die Verhängung von Abschiebehaft erleichtert. Haft
droht auch, wenn sich Betroffene nicht genügend um fehlende Papiere
kümmern. Das Gesetz soll noch vor der Sommerpause durch den Bundestag.
Die Grünen-Migrationsexpertin Luise Amtsberg warf Seehofer vor, „allein vom
Ziel getrieben zu sein, die Abschiebezahlen zu steigern“. Es gelte aber
auch hier weiter die Wahrung der Menschenrechte. „Das sollte Horst Seehofer
endlich beherzigen.“ Auch der PilotInnen-Widerstand zeige „noch einmal
deutlicher, dass die derzeitige Abschiebepolitik in Deutschland Maß und
Mitte verloren hat“, so Amtsberg. Es seien deshalb freiwillige Ausreisen
stets Zwangsabschiebungen vorzuziehen.
5 May 2019
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Aktivistin-Elin-Ersson/!5581933
[2] /Kabinett-stimmt-fuer-Rueckkehr-Gesetz/!5586747
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Migration
Asyl
Asylrecht
Abschiebung
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