# taz.de -- Debütalbum von Billie Eilish: Innere Dämonen für die ganze Famil… | |
> Billie Eilish wird als neuer Star am Firmament des Teenpop gehandelt – | |
> und ist jetzt schon mehr als das. Über eine, die kein Idol sein will. | |
Bild: Wirkt wie die personifizierte Lässigkeit: Billie Eilish aus Kalifornien | |
Mütter und Väter gehen mit ihren Kindern zu Konzerten der US-Sängerin | |
Billie Eilish, weil sie glauben, dass „die Kids“ Billie Eilish hören. | |
Insgeheim machen sie das aber auch, weil sie die Musik vor allem selbst gut | |
finden. Denn Billie Eilish ist mit ihren 17 Jahren zwar eine Teenagerin, | |
aber ein geleckter Teeniestar ist sie nicht. Sie ist nicht der Superstar | |
für „die Millennials“, wie es einige Zeitungen schreiben. Sie ist ein | |
Superstar für alle. | |
Jungen Menschen soll Eilishs Musik aus der Seele sprechen. Den Älteren | |
gibt sie mit ihren Songs das Gefühl, dass sie nur Billie Eilishs Musik zu | |
hören brauchen, um ganz nah dran zu sein an „der Jugend“. Um endlich wieder | |
verstehen zu können, was ihre Kinder beschäftigt, wenn sie zu Hause | |
rebellieren oder sich nicht anpassen wollen. Dadurch können die Alten | |
selbst ihre Jugend reanimieren. | |
Dabei singt Eilish nur über ihre innere Zerrissenheit, ständig thematisiert | |
sie ihre depressiven Phasen. Sie singt darüber, nicht perfekt zu sein, und | |
wirkt dabei irgendwie cool. Während sie das singt, sieht sie nicht perfekt | |
aus im Sinne eines von der Werbebranche und Modelshows reproduzierten | |
Schönheitsideals, sondern, so würde sie es womöglich selbst sagen: „wild, | |
bro“. Ihre Haare sind silbrig-bläulich gefärbt, am Körper schlabbert teure, | |
aber zerschlissene Streetwear. Alles wirkt modisch, aber auch gleichzeitig | |
so, als würde Eilish ihr Stardasein nicht so ernst nehmen. Als bräuchte sie | |
gar keine Stylistinnen und Stylisten, die sie für lauernde Paparazzi | |
aufhübschen oder für das nächste Fotoshooting präparieren. | |
Billie Eilish hat so was nicht nötig, sie ist weder disneyfiziert wie | |
Britney Spears noch fernsehgerecht wie Selena Gomez. Eilish passt sich | |
nicht an, die Promo-Glitzerwelt ist ihr schnuppe, so zumindest wirkt ihr | |
Image. Möglicherweise läuft es folgendermaßen: Sie steht auf, nimmt in | |
ihrem Zimmer Songs auf, die sie sofort auf Soundcloud lädt, schnappt sich | |
dann ein Kleidungsstücke aus dem Schrank und lässt sich noch etwas | |
verschlafen ablichten. Dabei setzt sie ihr süffisantes Grinsen auf. Doch so | |
einfach ist das natürlich nicht. | |
## Hype, Follower, Deals, Deals, Deals | |
„When we all fall asleep, where do we go?“ ist das Debütalbum von Eilish | |
und es ist megaerfolgreich. Gerade ist sie damit auf Welttournee. Ein | |
Superlativ jagt den nächsten: Beim [1][Streamingdienst Spotify], der vor | |
allem in Europa populär ist, hören bereits knapp 38 Millionen Menschen ihre | |
Musik. | |
Allein 14 Millionen Streams wurden in der Veröffentlichungswoche in | |
Deutschland generiert. Und 17 Millionen Menschen sehen sich | |
[2][Eilish-Fotos auf Instagram] an: Da steht sie in zerschlissener Jeans | |
vor einem Auto, mal posiert sie im XXL-Bugs-Bunny-Shirt vor einer Wand. | |
Billie Eilishs Debütalbum wird interessanterweise mit DIY-Ästhetik | |
promotet. Eilish ist, trotz all der zur Schau gestellten Unangepasstheit, | |
trotz der trashigen Fotos, vor allem Produkt, Teil eines Unternehmens, in | |
das ihre ganze Familie involviert ist. | |
Eilishs Eltern sind Schauspieler in Los Angeles, und in Los Angeles denkt | |
man groß, so scheint es. Eilish tanzte, Eilish sang und 2015, 13 Jahre war | |
sie da, produzierte Billie Eilish zusammen mit ihrem Bruder den Song „Ocean | |
Eye“. Er landete auf Soundcloud, wie viele Songs von jungen Musikerinnen | |
und Musikern. Aber er wurde zum Hit. Dann ging ein Hype los, Follower, | |
Deals, Deals, Deals. Und Family-Business. Eilishs Bruder produziert weiter | |
ihre Songs, bedient auf ihrer Tour diverse Instrumente. Ihre Mutter sitzt | |
bei Interviews dabei. Ihr Vater begleitet die Künstlerin auf Tour. | |
## Weltschmerz-Störsignal | |
Finanziert wird diese DIY-Familien-Ästhetik mittlerweile vom Majorlabel | |
Interscope. Es spielt scheinbar keine Rolle, wie real Eilishs Mitwirken am | |
Ende ist. Viel wichtiger ist, dass ihre Musik etwas transportiert. Es ist | |
ein Melange aus dem Emorap von Lil Peep, dem Neoromantic-Nebelschwaden-Pop | |
von Lana Del Rey und dem seltsamen HipHop des Rapkollektivs Odd Future. | |
Eilishs Stil ist jedenfalls nicht poliert. Störsignale fiepen zwischen den | |
klar für Konzerte in großen Hallen produzierten Basslines. Eilishs Stimme | |
klingt mal verzerrt, mal wie ein Flüstern, mal wie ein Hauchen. | |
Geheimnisvoll traurig, wütend geheimnisvoll. | |
„When we all fall asleep, where do we go?“ klingt nach einem inneren Dämon, | |
der krasser zu sein scheint als der einer durchschnittlichen Teenagerin. | |
Aus einigen Songs von Eilish tönt Weltschmerz. Auf „Should see me in a | |
crown“ schließlich dringt ein Sound durch, der klingt, als würde Eilish | |
ein Messer über Metall reiben. Was sie damit vorhat? Wir wissen es nicht. | |
Doch solche Momente erzeugen Spannung. | |
Ihr Sound, ihr Auftreten, ihre Bewegungen, all das ist nicht aus einer | |
Hitfabrik zusammenchoreografiert. Eilish schafft es, sowohl auf ihrem Album | |
als auch in ihrer öffentlichen Darstellung, Nähe zu erzeugen, nahbar zu | |
bleiben. Das unterscheidet sie von anderen Teeniestars, die zu großen | |
Idolen stilisiert werden. Eilish, so wirkt es, will gar kein Idol sein. Sie | |
will einfach nur ihre düsteren Songs singen, zu denen man tanzen und weinen | |
kann. Durch diese Haltung schafft sie es, ob nun freiwillig oder | |
unfreiwillig, jungen Menschen beizubringen, dass sie nicht perfekt sein | |
müssen. Dass „perfekt“ überhaupt keine Kategorie ist, über die sich | |
Teenager Gedanken machen sollten. | |
12 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Jetzt-doch-bei-Spotify/!5551222 | |
[2] https://www.instagram.com/wherearetheavocados/?hl=de | |
## AUTOREN | |
Johann Voigt | |
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