# taz.de -- US-Singer-Songwriterin Cat Power: Zielloses Herumstreunen | |
> Cat Power kehrt mit dem mächtigen Album „Wanderer“ zurück. Nach einem | |
> Ausflug in elektronische Gefilde setzt sie wieder auf ihre Folk-Wurzeln. | |
Bild: Sommer 2018: Cat Power bei einem Konzert in London | |
Von einem Comeback oder einer Neuerfindung zu sprechen – als die wird | |
„Wanderer“, das neue Album von Chan Marshall alias Cat Power, vielerorts | |
gefeiert – ist im Fall ihrer an Zäsuren reichen Laufbahn eigentlich | |
unpassend. Allenfalls könnte man „Wanderer“ als Rekalibrierung bezeichnen. | |
Und die könnte sich als hinfällig erweisen, sobald sich die 46-jährige | |
US-Künstlerin das nächste Mal meldet. So gesehen ist „Wanderer“ vor allem | |
ein neues, ziemlich gutes Cat-Power-Album – und vielleicht einfach ein | |
weiterer Winkelzug in einer wechselvollen Karriere. | |
Nach ihrem letzten Album, dem erfolgreichen „Sun“ von 2012, bei dem | |
Marshall erstmals mit elektronischen Sounds experimentierte, nimmt sie mit | |
„Wanderer“ wieder vorlieb mit einer minimalistischen Instrumentierung: Mit | |
Gitarre, Klavier und zarten Percussions kreiert Chan Marshall ungewohnt | |
gelassen klingende Songs. | |
Darüber zerstritt sie sich mit ihrer langjährigen Plattenfirma Matador. Die | |
verlangte, so erklärte es Marshall, dass sie Popmusik im Stil von Adele | |
macht, der weißen Soul-Queen des Mainstream. Matador ließ nach der Trennung | |
schmallippig verlauten, die Zusammenarbeit mit Cat Power sei nicht einfach | |
gewesen. Das würden wohl viele unterschreiben, die über die Jahre mit Chan | |
Marsall zu tun hatten, inklusive der vielen KonzertbesucherInnen, die | |
abgebrochene Auftritte und Publikumsbeschimpfungen erleiden mussten. | |
Seit „Sun“ ist einiges bei ihr passiert, jenseits derartiger | |
Unwägbarkeiten. Marshall hat ein Kind bekommen, was bei vielen Menschen | |
nach sich zieht, sesshaft zu werden. Bei Marshall scheint es wiederum das | |
Gegenteil freizusetzen: Die neuen Cat-Power-Songs atmen den Geist des | |
Streunens, der Hobos genannten Saison-Wanderarbeiter, die auf Güterzügen | |
durch die USA ziehen. Das spiegelt nicht zuletzt Marshalls eigene | |
Rastlosigkeit. | |
## Krankheit, Alkoholproblem und Bühnenangst | |
Nomadisch war Marshall seit ihrer Jugend. Ihre religiöse Familie zog kreuz | |
und quer durch die Südstaaten. Platten kaufen durfte sie damals nicht, | |
immerhin war es ihr erlaubt, die ihres Vaters zu hören: Soul von Otis | |
Redding und Rock von den Rolling Stones. Ihre religiöse Prägung | |
abzuschütteln, ist offenbar kontinuierliche harte Arbeit. „Wenn man Kindern | |
von Teufel, Engeln und dergleichen erzählt, wird das Teil ihrer | |
Vorstellungswelt. Als Erwachsener muss man sich dann immer wieder vor Augen | |
führen, dass das nur Märchen sind“, sagte Marshall in einem Interview. | |
Als Teenie flüchtete sich Marshall ins Musikmachen, doch bald war ihr | |
Freundeskreis verdrogt – ein Grund für sie, sich nach New York abzusetzen. | |
Dort wurde sie 1994 von Steve Shelley (Sonic Youth) und Tim Foljahn (Two | |
Dollar Guitar) entdeckt. Ihr früher Output hatte eine punkige Anmutung, | |
unter anderem mit PJ Harvey wurde sie verglichen. Als sie 1998 mit „Moon | |
Pix“ einen Durchbruch hatte, stand sie bereits kurz davor, sich aus dem | |
Musikbusiness zurückziehen. | |
Zumindest hatte sie erst einmal genug davon, Songs zu schreiben. So | |
entstand „The Covers Record“ (2000). Coverversionen erwiesen sich als | |
Kunstform, für die Marshall ein besonderes Händchen hat. Das zeigt etwa ihr | |
Cover des Stones-Klassikers „Satisfaction“, bei dem sie den Refrain wegließ | |
und so dem total durchgenudelten Song ihren ganz eigenen Geist einhauchte. | |
Mit „Jukebox“ (2008) grub Marshall sich dann durch die US-Musiktradition, | |
Bob Dylan stellte sie neben Frank Sinatra. | |
Es folgte eine so produktive wie schwierige Zeit. Sie kämpfte mit einer | |
undiagnostizierten Immunschwächekrankheit, einem Alkoholproblem und | |
Bühnenangst. Marshall verkörperte eine Kaputtheit, die manch einer schick | |
fand, ihr grungiger Nihilismus rief die Modewelt auf den Plan. Dem Designer | |
Marc Jacobs galt sie als Muse, Karl Lagerfeld „entdeckte“ sie, als er sie | |
eine Zigarette rauchen sah und engagiert sie als Fürsprecherin für Chanel. | |
## Das Persönliche mit dem Gesellschaftlichen | |
Mit „The Greatest“ (2006) veröffentlichte Cat Power wieder | |
Eigenkompositionen, Songs mit reichlich Pop-Appeal. Ihre | |
Songwriterqualitäten hat sie sich bewahrt, nur klingt sie aktuell viel | |
reduzierter: klare Stimme vor gradlinigen Songs. „Wanderer“ lässt sich so | |
auch als Quintessenz des bisherigen Schaffens von Cat Power begreifen. | |
„You never need, you’re American / You never take what you say seriously / | |
You’re on the bed, on the ledge of things / You’ve got it made and when you | |
wake / It’s all in vain“ heißt es in „In Your Face“. Sie interpretiert | |
Americana neu, ohne der Nostalgie zu verfallen, wie sie in Songs von Lana | |
Del Rey steckt, mit der sie ein Duett singt: „Woman“. | |
Während Del Rey eine Zeit und ein Land bittersüß feiert, das es so nie | |
gegeben hat, verbindet Cat Power, wie schon auf dem Vorgängeralbum, das | |
Persönliche mit dem Gesellschaftlichen, Erinnerungen mit dem kollektiven | |
Gedächtnis – auf eine angenehm unaufgeregte Weise. Und wie ließe sich das | |
besser erreichen als durch zielloses Herumstreunen, wie sie es auf | |
„Wanderer“ tut? | |
15 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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und schön. |