# taz.de -- Cat Power covert Bob Dylan: Just like a woman | |
> US-Sängerin Cat Power widmet sich mit ihrem neuen Album dem legendären | |
> Londoner Bob-Dylan-Konzert von 1966 – und spielt es Song für Song nach. | |
Bild: Chan Marshall alias Cat Power | |
Wenn man Dinge noch mal neu aufnimmt, entstehen zwangsläufig | |
Verschiebungen. Das ist dann auch banalerweise einer der, wenn nicht der | |
eigentliche Reiz von Coverversionen bereits veröffentlichter Songs: Man | |
hört an ihnen Vertrautes, das ist ja oft schön, aber dieses Vertraute | |
erscheint noch einmal anders und im besten Fall neu. Was variiert wird, | |
fällt auf. Auch minimale Abweichungen stechen bei Songs, die man in- und | |
auswendig kennt, sehr ins Auge oder eben ins Ohr. | |
US-Künstlerin Chan Marshall hat unter dem Namen Cat Power seit 2000 bereits | |
drei Alben mit Coverversionen kanonischer wie auch randständiger Stücke | |
veröffentlicht. Am Anfang waren diese Unternehmungen immer wieder mal | |
dekonstruktiv gebaut. Wenn man beispielsweise „Satisfaction“ von den | |
Rolling Stones auf eine Akustikgitarre reduziert und jede Virilität mitsamt | |
dem Refrain („I can’t get no …“) durchstreicht, wird aus Mick Jaggers | |
männlichem Brunftschrei ein eher depressives Klagelied. Ob der Song damit | |
zur Kenntlichkeit entstellt wurde, es könnte zumindest sein. Sehr gelungen | |
klang diese Interpretation so oder so. | |
In anderen Fällen hat die 51-jährige Marshall Lieder von einem Genre in ein | |
anderes, also in ihre Singer-Songwriter-Zeugenschaft, überführt. Frank | |
Oceans „Bad Religion“, ursprünglich eine fette Neosoul-R&B-Ballade, wurde | |
auf [1][Catpowers Album „Covers“ 2022] zu einem weltabgewandten Stück | |
Indiepop umgedeutet, mit neuen Melodien und neuem Arrangement und behutsam | |
geändertem Songtext: „Praise the Lord / Hallelujah, little girl“ statt | |
„Allahu akbar“. Und eine Ergänzung, die es im Original nicht gibt: „All | |
just stuck in the mud / Praying to the invisible above“. | |
Durch Verschiebungen und Ergänzungen entstehen nicht nur [2][neue Formen | |
von Schönheit], sondern auch andere Reibungen und Bedeutungen. Und der | |
Raum, in dem Letztere sich entfalten, weitet sich aus – siehe | |
„Satisfaction“ – je kanonischer und semantisch aufgeladener die Musik ist, | |
die da neu- und nachgebaut wird. | |
## Der Rimbaud lesende Rockstarliterat | |
Mit dem Doppelalbum „Cat Power Sings Dylan“ zieht Chan Marshall nun ein von | |
Mythen sehr umranktes Ereignis, Bob Dylans Royal-Albert-Hall-Konzert von | |
1966, in den eigenen Kosmos hinein. Die Legende will, dass Dylan sich an | |
jenem Abend des 17. Mai 1966 unter Protest seines Publikums vollends vom | |
Folksänger in einen Rimbaud lesenden Rockstarliteraten und also in [3][ein | |
Künstlergenie verwandelt] hat. | |
Dylan-Fans sollen auf der gesamten Tour gemurrt haben, wenn der Folkie nach | |
der ersten Hälfte des Abends von der Akustikgitarre zur Elektrischen griff, | |
ins Bandformat wechselte und seine frühen Songs mit hörbarem Spaß an der | |
Sache zerlegte. [4][„One Too Many Mornings“ etwa, vom 1964 erschienenen | |
The-Times-They-Are-a-Changin’-Album], das von einem sanften Folk-Stück in | |
ein schleppendes Rockding verwandelt wurde. | |
Zur Legendenbildung beigetragen hat das auf dem Mitschnitt des | |
Royal-Albert-Hall-Konzerts dokumentierte Gezanke: [5][Die Menge buht, die | |
Band stachelt das hörbar an („Play fucking loud“). Am Ende brüllt ein | |
Idiot aus dem Publik „Judas!“ Richtung Bühne, und Dylan kontert sehr | |
erfreut über die Steilvorlage mit „I don’t believe you. You’re a li]ar�… | |
Eigentlich alles an sich nicht sonderlich aufregend. Ein Sänger | |
experimentiert künstlerisch und kommerziell sehr ertragreich mit neuen | |
Formaten, und einige alte Fans finden das erst mal noch doof. Die | |
Rock-Geschichtsschreibung jazzt derartige Vorgänge gerne retrospektiv zu | |
irgendwie magischen Momenten hoch, in denen sich ganze Epochen irgendwie | |
verdichten sollen. | |
## 330 Kilometer nördlich von London | |
Auf „Sings Bob Dylan“ spielt Chan Marshall das sogenannte „Royal Albert | |
Hall Concert“ Stück für Stück nach. Eigentlich fand der Abend in der Free | |
Trade Hall in Manchester statt, circa 330 Kilometer nördlich von London. | |
Die falsche Ortsangabe geht auf einen Bootleg-Titel zurück, offiziell | |
erschienen ist der Mitschnitt des „Royal Albert Hall Concert“ erst 1998. | |
Cat Power trat dann allerdings wirklich in der Royal Albert Hall in London | |
auf. Eine Arbeit am Mythos, aber auf eine angenehm unaufgeregte Art. Man | |
hätte bei dieser Wahlverwandtschaft mit Überraschungen rechnen können. Eine | |
der künstlerischen Verbindungen zwischen Bob Dylan und Chan Marshall | |
besteht schließlich im fröhlichen Umschreiben und Neuarrangieren von | |
bestehendem Material. | |
Im Fall von Dylan seit über 60 Jahren immer wieder aufs Neue das eigene, | |
aber auch Songs aus dem Great American Songbook natürlich. Im Falle von Cat | |
Power die Songs von anderen und in diesem Fall eben die von Bob Dylan. Die | |
eigentliche Überraschung auf diesem Cat-Power-Album ist, dass es nicht | |
wirklich eine gibt. Die Tonalität ist natürliche eine andere – | |
Frauenstimme, Männerstimme, und so komisch wie Dylan singt sonst eh | |
niemand. Die Schönheit des Ansatzes liegt in der Differenz der Stimmen. | |
Ohne Dylans damals noch nasal akzentuiertes Krächzorgan und mit Marshalls | |
inzwischen sehr warmer Tonalität stattdessen wirken die Songs nun sehr | |
umarmend und gar nicht mehr spröde. Dylans damalige Performance betonte in | |
fast allem die Distanz zu denen, die ihm zuhörten. Chan Marshall hingegen | |
singt zugewandt wie jemand, der die Distanzen auflösen will. | |
Wenn man genau hinhört, gibt es dann doch Abweichungen. Die | |
Schrumm-schrumm-Gitarre in „Mr. Tambourine Man“ ist durch Fingerpicking und | |
von einem sehr verhaltenen Keyboard ersetzt worden. Und die | |
Unterschiedlichkeit der Stimmen schlägt dann auch bis in die Semantik der | |
Songtexte durch. | |
## Kein Protestbewegungsdienstleister | |
„Just Like a Woman“ klingt nicht mehr wie eine formvollendet | |
passiv-aggressive Pimmelei („She takes just like a woman / Yes, she does, | |
she makes love just like a woman / Yes, she does, and she aches just like | |
a woman / But she breaks just like a little girl“). Sie klingt wie das | |
Porträt eines widersprüchlichen Menschen. | |
Die von Dylans Versuch, eben kein Entertainer und | |
[6][Protestbewegungs-Dienstleister] zu werden, befeuerte | |
Publikumsverachtung ist denn auch verschwunden. Am Ende kräht auch bei | |
Marshall einer zitierend „Judas“ in den Raum, was noch einmal besonders | |
idiotisch anmutet, weil es beim Reenactment, das am 5. November 2022 live | |
aufgenommen wurde, ein Stück zu früh kommt, vor „Ballad of a Thin Man“ und | |
nicht vor „Like a Rolling Stone“. | |
Was Chan Marshall dann nicht mit dem entsprechenden Zitat beantwortet, | |
sondern nur noch mit einem forciert-erschöpften „Jesus …“. Ein sehr sch�… | |
Album. | |
11 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
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