| # taz.de -- Bob Dylan wird 80: „Der bedeutendste Poet der Moderne“ | |
| > Mysteriös, göttlich und unerreichbar – anlässlich seines 80. Geburtstages | |
| > erzählen acht Künstler:Innen aus ihrem Leben mit Bob Dylan. | |
| Bild: Bob Dylan im Jahr 1970 | |
| „Im Mai 1998 spielten wir mit BAP zweimal unmittelbar vor Bob Dylan. Vom | |
| ersten Abend habe ich noch den Satz eines Banausen, der auf der VIP-Tribüne | |
| neben mir stand, im Ohr: ‚Unfassbar, der Alte covert doch tatsächlich ’ne | |
| Guns-N‘-Roses-Nummer!' (gemeint war ‚Knockin‘ On Heaven’s Door'). Ich s… | |
| mich nicht gezwungen, den Mann aufzuklären. Geärgert hat mich aber, dass | |
| Dylan ausgerechnet für diesen Song den meisten Applaus erhielt, meines | |
| Erachtens hatte er bedeutendere Perlen auf der Setlist. | |
| Ich überlegte, wie ich den nächsten Auftritt ungestörter genießen könnte. | |
| Die Idee kam mir, als ich die Bühne inspizierte und feststellte, dass es, | |
| wie oft auf Festivals, Monitormischpulte beidseits der Bühne gab. Und da | |
| Dylan als Topact gesetzt war, entwickelte ich meinen Plan: Nach unserem Gig | |
| ging ich flott wieder zurück auf die Bühne hinter das verwaiste | |
| Monitorpult. Es war ein perfekter Abend, ich saß kaum zehn Meter vom | |
| Meister entfernt. Bob spielte nur wenige Songs vom Vorabend. | |
| Als hätte er was von meinem Separee gewusst, brachte er als Erstes,To Be | |
| Alone with You‘. Für mich hatte dieses Konzert etwas von einer Meditation. | |
| Dylan hat nicht nur mein Leben entscheidend beeinflusst, er hat den Rock | |
| ‚n‘ Roll insgesamt – jedenfalls was die Texte betrifft – vor dem Verbl�… | |
| bewahrt. Für mich ist er der bedeutendste Poet der Moderne, wirkmächtig wie | |
| kein Zweiter.“ Wolfgang Niedecken, 70, ist Gründer der Kölner Band BAP | |
| ## „Meine Jugend wäre unerträglich gewesen“ | |
| „Bob Dylan war immer alles für mich, neben Leonard Cohen. Zu beiden habe | |
| ich fromm gebetet, sonst wäre meine Jugend unerträglich gewesen. Mir fällt | |
| dazu natürlich immer ein, was Cohen über Bob Dylan gesagt hat: Es ist, als | |
| würde vor dem Mount Everest eine Tafel stehen, auf der geschrieben ist: | |
| Höchster Berg der Welt. Oder so ähnlich. Bob Dylan sagt, was | |
| selbstverständlich die Wahrheit ist, die aber keiner außer ihm sagen | |
| könnte. Leonard sagt noch einiges mehr, was die Wahrheit vielleicht gar | |
| nicht braucht, was aber besonders schön ist. Oder so ähnlich.“ Die | |
| Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, 74, lebt in Wien und München | |
| ## „Dylan zu kopieren, ist mir nie gelungen“ | |
| „Niemand von uns hätte jemals an Dylan vorbeikommen können. Als wir 1966 | |
| den Hootenanny-Club in Ostberlin gründeten, konnte jeder kommen und singen, | |
| was er wollte. Viele Jungs haben Dylan-Songs gesungen. Das hat der FDJ | |
| nicht gefallen. Als ich schon jahrelang beruflich unterwegs war, hatte ich | |
| für kurze Zeit den Wunsch, einmal Dylan zu kopieren, seinen näselnden, | |
| leiernden Gesang, es ist mir nie gelungen. Also bleibt mir heute nur der | |
| Wunsch: Werden Sie 100 Jahre alt und bleiben Sie gesund, Herr Zimmerman! | |
| Und danke für Ihre Worte und Ihre Musik. Die Liedermacherin und Lyrikerin | |
| Bettina Wegner, 73, lebt in Berlin | |
| ## „Vier großartige Dylan-Konzerte“ | |
| „In Sachen Dylan habe ich mal etwas Lustiges erlebt. Das war bei einem | |
| kleinen Festival, um seinen 75. Geburtstag zu feiern. Beim Konzert einer | |
| deutschen Dylan-Coverband, die sich nicht über die alten Hits hinauswagte. | |
| Der etwa 60-Jährige neben mir sagte zu seiner Begleiterin: „Schön, dass sie | |
| die Lieder so spielen, wie man sie kennt, er selber macht das ja nicht | |
| mehr.“ Ich habe vier großartige Dylan-Konzerte erlebt. Zum Glück nur ein | |
| Mal spielte er,Blowin' in the Wind‘, aber ich erkannte es erst, als er die | |
| ersten Worte gesungen hatte, und auch da musste ich lachen.“ Franz Dobler, | |
| 62, lebt als Schriftsteller und DJ in Augsburg | |
| ## „Ich glaube, er versteht all dies gar nicht selbst“ | |
| „Dylans Verdienst ist die Entwicklung einer philosophischen Methode zum | |
| Anhören und Spielen von Songs, die ich als „Grammatik des Sinns“ bezeichne. | |
| Sie besteht außerhalb der Sphäre der verständlichen Sprache. In seinen | |
| Songs überschneiden sich Sinn, Sound, Melodie, Singstimme, einzelne Worte, | |
| Satzkonstruktionen und ihre Metrik. Alles (Klang-)Elemente, die sich wie in | |
| einem Kaleidoskop zusammenbringen lassen, um einen Nachklang zu erzeugen. | |
| Dylan bringt all diese Dinge in seinen Songs deckungsgleich, um bei den | |
| Hörer:innen unerwartete Regungen auszulösen. Ähnlich wie der | |
| französische Maler Paul Cézanne dazu imstande war, eine Landschaft zu | |
| erschaffen, indem er bestimmte Formen und Farben durch Pinselstriche | |
| bildlich so darstellt, dass auch die Betrachter:innen diese | |
| Formensprache kapieren. Dylans Texte sind zwar allgemein verständlich, sie | |
| haben viele Alltagsbezüge, vollkommen ergründen lassen sie sich jedoch | |
| nicht. | |
| Also wundern wir uns, wie mysteriös Dylans Musik auf uns wirkt. | |
| Letztendlich ist dies ein Ideal aller Künstler:Innen, dass sie nicht nur | |
| eine Frage schlau beantworten, sondern damit weitere Fragen kreieren, die | |
| sie noch schlauer beantworten. Ich glaube, Dylan versteht all dies gar | |
| nicht selbst, er hat lediglich gelernt, wie er seine Songs kreativ umtanzen | |
| kann. Nämlich, indem er immer weiter an ihnen schraubt.“ Jeffrey Lewis, 45, | |
| lebt als Folkmusiker und Comiczeichner in New York | |
| ## „Er komponierte Welthits am Anfang der Karriere“ | |
| „Meine Tante schenkte mir viele Popalben, die sie selbst als junge Frau in | |
| den sechziger und frühen siebziger Jahren geliebt hatte. Am meisten | |
| bedeutete ihr Dylans Musik. Wenn sie mir von ihm vorschwärmte, kam sie | |
| zumeist auf seine Jugend zu sprechen. Dylans große Leistung war, dass er | |
| bereits Welthits komponiert hatte, als er mit knapp 20 Jahren am Anfang | |
| seiner Karriere stand und trotzdem wie ein vollendeter Künstler auftrat. | |
| Als ich ihn zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe, bei einer | |
| Liveübertragung 1980 im US-Fernsehen, bekam Dylan einen Grammy für „Gotta | |
| serve somebody“. Damals durchlebte er seine christliche Phase, wirkte | |
| ergraut und starrsinnig. Man merkte ihm das Alter an, er war damals 38. | |
| Erst sehr viel später habe ich verstanden, was meine Tante meinte, als ich | |
| D. A. Pennebakers 1967 fertiggestellten Dokfilm,Don't Look Back’ sah. | |
| Darin ist Dylan blutjung, sehr cool und hackt wie besessen auf einer | |
| Schreibmaschine; in dem Film inszeniert er sich nicht nur als der | |
| großartigste lebende Songwriter in englischer Sprache, sondern auch als | |
| eine Art Punk, dem es gelingt, einen Reporter des Magazins Life so lange zu | |
| provozieren, bis der einen Skandal herbeischreibt. Wie Dylan mit seiner | |
| Freundschaft zu Allen Ginsberg prahlt, lässt ihn als einen gefährlichen | |
| Halbstarken erscheinen. ‚Don't Look Back‘ machte mir sofort bewusst, dass | |
| Bob Dylan immer jünger bleibt als wir selbst.“David Grubbs, 52, ist Musiker | |
| und Professor an der City University of New York | |
| ## „Als wir uns trafen, war er erst 22 und ich 18 oder so“ | |
| „Ich traf Bob, als er auf einer seiner ersten Touren durch England im | |
| Londoner Savoy Hotel untergebracht war. Allen Ginsberg und Mason Hoffenberg | |
| holten mich ab, um ihn zu treffen, und Joan Baez war auch da. Ich | |
| vergötterte sie, aber vor allem vergötterte ich Bob. Er versuchte mich | |
| anzugraben, aber ich konnte nicht darauf eingehen, er war ja wie ein | |
| Heiliger für mich, ich war ein Fan. Später wurden wir Freunde, ich wurde | |
| erwachsener, er ja vielleicht auch. Als wir uns trafen, war er erst 22 und | |
| ich 18 oder so. Es gibt keinen anderen außer Bob, keinen! Er ist ein wahrer | |
| Poet!“ Marianne Faithfull, 74, britische Popikone, lebt in Paris | |
| ## „Was für eine Macht von diesem Typen ausging!“ | |
| „Bob Dylan zu entdecken war lebensverändernd. Vielleicht hat mich sogar | |
| eher die Idee Bob Dylan geprägt als seine Musik. Also der Gedanke, dass man | |
| alles sein kann, was man sein will, und dass man sich nie festnageln oder | |
| vereinnahmen lassen sollte. Als Teenager habe ich den Film ‚Don't Look | |
| Back‘ über Dylans Tour durch Großbritannien gesehen, den fand ich | |
| faszinierend. | |
| Was für eine Macht von diesem Typen ausging! Als würde ein Hurricane über | |
| England hinwegfegen – und das alles wegen eines Musikers, der Lieder mit | |
| der Gitarre spielt. In einem Interview wurde Dylan viel später einmal | |
| gefragt, ob es ihn eigentlich wundere, dass er zu einer solchen Ikone | |
| geworden sei. Er antwortete nur: ‚Nein. Weil ich ja weiß, was ich alles | |
| dafür getan habe.‘ Das leuchtete mir ein. Seit 60 Jahren veröffentlicht er | |
| kontinuierlich Musik und scheint dabei ausschließlich das zu machen, worauf | |
| er Lust hat. | |
| Auch auf die Gefahr hin, dass mal ein Album dabei ist, das nicht mehr jedem | |
| gefällt. Es ist beruhigend, dass Bob Dylan immer noch irgendwo da draußen | |
| existiert und an Songs arbeitet. Solange das der Fall ist, kann das alles | |
| hier gar nicht so schlimm sein.“ Stella Sommer, 33, ist Sängerin und | |
| Leaderin der Berliner Band Die Heiterkeit | |
| Protokolliert und übersetzt von Jens Uthoff und Julian Weber | |
| 24 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| Julian Weber | |
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