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# taz.de -- Neue Bücher über Bob Dylan: Das Wesen der Klappstühle
> Bob Dylan gibt es nur einmal, aber er hat viele Stimmen. Zum 80.
> Geburtstag des US-Musikers: ein Wegweiser durch den Dschungel neuer
> Bücher.
Bild: Bob Dylan bei einem Interview im Londoner Savoy Hotel am 27. April 1965
Aus Anlass von Bob Dylans 80. Geburtstag am Montag haben die Verlage eine
wahre Veröffentlichungsoffensive gestartet. Als würde der US-Künstler ein
zweites Mal mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, wird geklotzt statt
gekleckert. Eigentlich ist Kapitalismus ja eher selten langweilig, nur
manchmal, wenn die Businesspläne zu vollgestopft sind und auch noch Stefan
„Pilotenhemd“ Aust über Dylan schreiben muss, möchte man Reißaus nehmen.
Wobei, der Künstler und seine Musik können für all das nichts. Womöglich
möchte er ebenfalls Reißaus nehmen. „World’s best Grand Dad“ ist der Sl…
des Bumperstickers auf der Stoßstange seines Autos. Es gibt keinen Star,
der ähnlich rigoros deutlich macht, dass er mit all seinen
Persönlichkeitsanteilen gefälligst in Ruhe gelassen werden möchte,
Informationsbedarf der Öffentlichkeit hin oder her.
Wer Dylans singuläre Karriere dennoch Revue passieren lassen will, sollte
unbedingt einen Blick in die neue Biografie des britischen Autors Paul
Morley werfen. „You Lose Yourself, You Reappear. Bob Dylan and the Voices
of a Lifetime“ bekommt das Kunststück hin, fliehende Lebenslinien
aufzusammeln, auseinanderzudröseln und in Ellipsen weiterzudenken.
Morley hat tatsächlich noch einige entlegene Fakten zutage gefördert, –
etwa eine Reise Dylans nach England im Jahr 1962, bei der dieser die
britische Folkszene und ihre damalige Ikone [1][Shirley Collins] aus der
Nähe begutachtet hat. Die Pandemie hätte Morleys Buchidee beinahe
zunichtegemacht, und so ist auch diese zusätzliche Mühe als Erzählstrang
eingeflossen in die kenntnisreiche, elegant und zugleich mit viel
britischem Understatement geschriebene Auseinandersetzung über Dylans Leben
und Werk.
## Sprechen in Zungen
Bob Dylan gibt es zwar nur einmal. Aber er hat [2][viele Stimmen], wie
Morley überzeugend belegt: Das Sprechen in Zungen, die Anverwandlung und
Variation bekannter Themen, nicht zuletzt Dylans enzyklopädisches Wissen
über Pop-, Folk- und Jazzmusik, was in Musik und Texte seiner eigenen Songs
einfließt, haben ihm geholfen schwer ausrechenbar zu bleiben.
„Manchmal ist es so, als kippe er den Inhalt des Paradieses in einen Song,
manchmal werden die Songs nur von dem Kram aus seinen Hosentaschen
bevölkert, der sich in ihnen angesammelt hat.“ Morley, der seine Laufbahn
als Musikjournalist ursprünglich für das britische Musikmagazin NME als
Chronist der (Post-)Punkszene in Manchester begann, hat eine ungewöhnliche
Fan-Geschichte. Erst über den Umweg Glamrock, Marc Bolan und David Bowie
kam Morley zu Dylans Musik. Auch diese Kehrtwendung blitzt immer wieder im
richtigen Moment in dem kurzweilig zu lesendem Buch auf.
„Du weißt schon, dass Stagger Lee ein schlechter Mann war und Frankie ein
gutes Mädchen. … Du hörst die dumpfen Trommeln und halblauten Pfeifen …
Nichts davon war mir unverständlich – kein Kunstgriff, keine Techniken,
keine Geheimnisse und Mysterien – und die vielen verlassenen Landstraßen,
auf denen diese Songs unterwegs waren“, schreibt Dylan in seiner
„Nobelpreis-Vorlesung“, die nun in neuer Auflage als zweisprachige Ausgabe
erhältlich ist und schleunigst Schullektüre werden sollte.
## Nicht nur eine Richtung
„In Amerika gibt es nicht nur eine Richtung“ haben Deleuze/Guattari einst
in „Rhizom“ postuliert. Erst durch den Wirkungszusammenhang vervielfältigt
sich Dylans Tun. Die Verkoppelungen von Zeichen und Materie in seinem
Gefüge sind mannigfaltig, genau wie die Songs, die ihm im Laufe seiner
langen Karriere untergekommen sind. In der Nobelpreis-Dankesrede erklärt
der Künstler sehr anschaulich das On-the-road-Sein, die Beweglichkeit, die
ihm die unglaublich seltsame alte Musik einflößte und die Wurzellosigkeit
seiner Karriere über Jahrzehnte begleitete. „Don’t take root“ ist ein
feststehender Begriff in den USA, schlag bloß keine Wurzeln.
Dylan beginnt seine Dankesrede mit Musik, die ihn geprägt hat, erst später
steigt er in die Literatur ein. Chronologisch war’s genau andersrum. Schon
in der Elementary School galt er als belesener Schüler. „Amerika ist
Scharnier und Mechanismus der Umkehrung.“ (Deleuze/Guattari).
Wer Dylans Schlagfertigkeit und [3][Geistesgegenwart] nachvollziehen will,
sollte zu dem vom deutschen Dylanologen Heinrich Detering herausgegebenen
Band „Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist“ greifen: Dieser versammelt
Interviews aus allen Phasen von Dylans Vita. Legendäre wie vergessene
Gespräche, einen Einakter über Dylan von Sam Shepard (der ihn bei der
Rolling Thunder Tour 1975/76 begleitet hat) und das Protokoll einer
bizarren Pressekonferenz.
## Geniale Ablenkungsmanöver
Man muss allerdings über die Flickenteppichhaftigkeit der Übertragung
hinwegsehen – sie ist vielen verschiedenen Übersetzer:Innen und mancher
Schludrigkeit geschuldet. Dylan, der Star, war und ist ein schwieriger
Gesprächspartner, jenseits aller Tricks, Mythen und Halbwahrheiten lassen
sich in seinen direkten Antworten auf mehr oder weniger sinnvolle Fragen
dennoch schlaue Gedanken, geniale Ablenkungsmanöver und bissige Bemerkungen
bei ihrer Formulierung beobachten.
Worte sind wichtige Werkzeuge für Bob Dylan. Trotzdem sollten Sound,
Melodien und Wellenförmigkeit von Dylans Popleidenschaft nie unterschätzt
werden. Bevor er über den Blues wusste, entdeckte er in Minneapolis
1959/60, gerade ausgezogen von zu Hause, das Nachtleben im
Vergnügungsviertel Dinky Town für sich, machte Bekanntschaft mit Dope und
ließ sich von Keller zu Keller treiben:
„In Minneapolis spielte man den Sound des Nordwestens. Bands wie Dick Dale
und the Ventures, the Kingsmen, the Castaways spielten dort oft. Alles
Hochspannungs-Bands. Es war voll von Surf und Rockabilly – die
Fender-Verstärker aufgedreht auf zehn, mit viel Hall. Tremolo-Systeme –
auch die Gitarren waren von Fender – Esquire, Broadcaster, Jaguar. Die
Verstärker auf Klappstühlen – selbst die Stühle sahen aus wie von Fender.�…
24 May 2021
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## AUTOREN
Julian Weber
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