| # taz.de -- Kommentar EU-China-Gipfel: Ein Weckruf für Europa | |
| > Ist die Kritik der Europäer an Chinas neuer Seidenstraße berechtigt? Oder | |
| > ist die Aufregung deshalb so groß, weil sie die Entwicklung verschlafen | |
| > haben? | |
| Bild: Rom, 23. März: Staatspräsident Xi auf Werbetour für die „Belt and Ro… | |
| Die Wiederbelebung der Seidenstraße – was romantisch nach Marco Polo und | |
| Kamelkaravane klingt – nimmt rasant Konturen an. Mit dem antiken | |
| Handelsweg, der einst den Fernen Osten mit Europa verband, hat Chinas | |
| jüngstes Prestigeprojekt freilich nichts zu tun. Vielmehr haben die | |
| Chinesen untertrieben. Was Peking vorschwebt und bereits umsetzt, ist ein | |
| gigantisches und umfassendes Handelssystem, das von Südasien über Afrika | |
| bis nach Europa und Amerika reichen soll. Auch die Arktis und Südamerika | |
| sollen einbezogen werden, also praktisch die ganze Welt. Und das alles | |
| unter der Ägide Chinas. | |
| Vor drei Jahren hat die chinesische Führung ihr Projekt erstmals | |
| vorgestellt. Mit Milliarden Dollars hat der Wirtschaftsgigant China | |
| inzwischen 65 Länder geködert – [1][zuletzt sogar das EU-Kernland Italien]. | |
| Nachdem der chinesische Premierminister Li Keqiang beim [2][China-EU-Gipfel | |
| am Dienstag] bereits kräftig die Werbetrommel gerührt hat, lädt Peking | |
| bereits für Ende April zum nächsten Belt-and-Road-Gipfel, so der offizielle | |
| Name von Chinas ehrgeizigem Programm. | |
| Einige deutsche Unternehmer sind denn auch schon aufgesprungen, umgarnen | |
| geradezu die kommunistische Führung in Peking. Siemens-Chef Joe Kaeser | |
| traut den Chinesen bereits zu, dass sie mit ihrer Initiative einmal | |
| „wichtiger werden als die Welthandelsorganisation“. Kaeser ist für seine | |
| schmeichelnden Worte in Richtung der KP bekannt. Auch die Commerzbank hält | |
| in diesen Tagen in Frankfurt eine Konferenz zu der neuen Seidenstraße ab. | |
| In Washington und Paris, aber auch in Brüssel und Berlin schrillen dagegen | |
| die Alarmglocken. [3][Einige Staaten in Asien und Afrika] hätten sich | |
| bereits von China finanziell abhängig gemacht, sagen Kritiker. | |
| Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) warnt vor einem bösen Erwachen, Chinas | |
| Investitionen würden jede Menge Gefahren bergen. Die EU bezeichnet China | |
| als „Systemrivalen“. Und die US-Regierung unter Donald Trump hat den | |
| Chinesen bereits den „Wirtschaftskrieg“ erklärt – nicht zuletzt auch weg… | |
| der Seidenstraße. | |
| ## Deutschland profitiert von Chinas Aufstieg | |
| Ist das Misstrauen gegen China berechtigt? Besteht die Gefahr, sich mit den | |
| Milliardengeldern allzu abhängig zu machen von einem Regime, das für | |
| Demokratie und Menschenrechte nur wenig übrig hat? Wird China gar zu einer | |
| Bedrohung für Europa? Muss Peking daher gestoppt werden? Oder zeigt das | |
| forsche Auftreten der Chinesen den Europäern nicht vielmehr, dass sie die | |
| Entwicklungen in Afrika und Zentralasien, aber auch den Ausbau der | |
| Infrastruktur auf dem eigenen Kontinent verschlafen haben? | |
| Tatsächlich ermöglichen chinesische Gelder in Zentralasien, in Afrika, aber | |
| auch in den osteuropäischen Ländern und nicht zuletzt in Griechenland | |
| Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, die sonst in absehbarer Zeit | |
| nicht stattgefunden hätten, in einigen Ländern wohl nie stattfänden. | |
| Das mag einige Unternehmen in Deutschland und Regierungen in Europa jetzt | |
| wurmen. Die Chinesen sind ihnen zuvorgekommen. Nachdem die deutschen | |
| Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten kräftig in China investiert | |
| haben, merken sie nun, dass sie den Hinterhof vor allem in Südosteuropa | |
| vernachlässigt haben. Doch ist es wirklich zu spät? Mitnichten. | |
| Insbesondere für die deutsche Wirtschaft ergeben sich mit Chinas | |
| Seidenstraßenprojekt auch demnächst noch jede Menge Vorteile. | |
| China ist außerhalb der EU Deutschlands größter Außenhandelspartner. Anders | |
| als etwa die Amerikaner, die sehr viel Industrie und Arbeitsplätze an China | |
| verloren haben, besteht für die Deutschen wenig Anlass, über die Geschäfte | |
| mit der Volksrepublik zu klagen. Im Gegenteil: Kein anderes Land hat in den | |
| letzten zwei Jahrzehnten so sehr von Chinas wirtschaftlichem Aufstieg | |
| profitiert wie Deutschland. | |
| ## Ein Konkurrent, gar ein Systemrivale? | |
| Wenn China nun wirtschaftlich im Ausland expandiert, um die heimischen | |
| Produktionsstätten weiter auszulasten, und womöglich weiter kräftig wächst, | |
| sichert das auch den Absatz all der Waren, die deutsche Unternehmen an die | |
| Chinesen verkaufen. Außerdem ist Deutschland dank der neuen Handelswege nur | |
| noch elf Tage mit dem Güterzug von China entfernt. Ein Containerschiff | |
| braucht fünf Wochen. Der Ausbau der „Seidenstraße“ dürfte die beiden | |
| Exportweltmeister noch näher zusammenrücken lassen. | |
| Keine Frage, China betreibt seine wirtschaftliche und geopolitische | |
| Expansion aggressiv und zielstrebig. Dass das Land dabei in erster Linie | |
| auf den eigenen Vorteil bedacht ist, können die USA und Europa anderen am | |
| wenigsten vorwerfen. Die Europäer waren bei ihrer wirtschaftlichen | |
| Expansion selbst jahrzehntelang gnadenlos, die USA sind es derzeit mehr | |
| denn je. | |
| Ein Konkurrent, gar ein Systemrivale? Das ist China mit seiner autoritären | |
| Führung für die freie Welt auf jeden Fall. Aber das sollte für Deutschland | |
| und Europa erst recht Anlass sein, für gemeinsame Werte einzutreten und sie | |
| zu verteidigen. Das sollte aber auch heißen, Milliarden in eine eigene | |
| europaweite Infrastruktur zu investieren. Sprich: Südosteuropa kräftiger | |
| fördern. | |
| Für Deutschland und die übrige EU kann die Lehre daraus nur heißen, eine | |
| eigene Strategie für die Staatengemeinschaft zu entwickeln, die auch über | |
| zwei oder drei Regierungsperioden hinausreicht. Auch eine gemeinsame | |
| Industriepolitik ist nötig. Wie China sollten auch die Europäer | |
| Schlüsselindustrien definieren und sie entsprechend fördern. | |
| Jedes EU-Land für sich ist sicherlich zu klein, um gegen die Rivalen in | |
| Fernost und Nordamerika zu bestehen, auch Deutschland. Der Brexit und | |
| Austrittsbestrebungen in anderen EU-Ländern sind Gift und spielen China | |
| sicher in die Hände. | |
| Chinas Seidenstraße ist nicht zuletzt ein Weckruf – für eine gemeinsame | |
| langfristig angelegte europaweite Wirtschafts-, Finanz- und | |
| Industriepolitik. | |
| 13 Apr 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Chinas-Staatspraesident-in-Rom/!5581393 | |
| [2] /EU-China-Gipfel-vielleicht-ohne-Ergebnis/!5586335 | |
| [3] /China-als-Wirtschafsakteur-in-Afrika/!5532886 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
| ## TAGS | |
| China | |
| EU | |
| Seidenstraße | |
| Wirtschaftspolitik | |
| Expansion | |
| Produktion | |
| China | |
| Türkei | |
| China | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Eurokrise | |
| Peter Altmaier | |
| China | |
| China | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| AIIB | |
| Xi Jinping | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gipfel in Peking: Wo der Westen nicht investiert | |
| China investiert für den Bau der Neuen Seidenstraße viel Geld in | |
| Entwicklungsländern. Die EU hält da lange nicht mit. | |
| Zugverbindung zwischen China und Europa: Seidenstraße vollendet | |
| Der erste Güterzug auf der transeurasischen Schienenverbindung von China | |
| nach Europa erreicht die Türkei. Russland wird dabei umfahren. | |
| Lukrative Geschäfte: Chinatown Hamburg | |
| Hamburg soll ein wichtiger Umschlagsplatz im Projekt „Neue Seidenstraße“ | |
| werden. Das ist nicht ohne Risiko. | |
| Gruppenausstellung in Potsdam: Mindmap der Seidenstraße | |
| Austausch längs der neuen Wirtschaftsroute: Im KunstHaus Potsdam bringt | |
| Andreas Schmid Werke von Chinareisenden zusammen. | |
| Bertelsmann-Studie zum EU-Markt: Arme Länder profitieren nur wenig | |
| Der EU-Freihandel bringt vor allem den Ländern etwas, die viel exportieren. | |
| Ein Land gewinnt besonders – obwohl es nicht mal EU-Mitglied ist. | |
| Wirtschaftslobby gegen CDU: High Noon im Ministerium | |
| Ein offener Krach zwischen der CDU und den Wirtschaftsverbänden ist selten. | |
| Doch nun attackieren die Bosse Minister Peter Altmaier harsch. | |
| Internationaler Gipfel in Peking: China verspricht bessere Seidenstraße | |
| Präsident Xi kündigt auf dem Gipfel in Peking höhere Standards für das | |
| Riesenprojekt an. Die deutsche Politik bleibt skeptisch. | |
| Politologin über Seidenstraßen-Projekt: „Dahinter steckt Geopolitik“ | |
| China lockt mit Milliardeninvestitionen. Doch das Mega-Projekt birgt | |
| Chancen und Gefahren für die EU, sagt Politologin Nadine Godehardt. | |
| EU-China-Gipfel vielleicht ohne Ergebnis: Kein Wohlfühltreffen | |
| Die Europäer wollen auf dem Gipfel gegenüber China in Handelsfragen künftig | |
| härter auftreten. Zwischen den Gesprächspartnern herrscht Misstrauen. | |
| Chinas Entwicklungsbank für Asien: Grüne Rhetorik, dreckige Praxis | |
| Studien bescheinigen der von China gegründeten Asian Infrastructure | |
| Investment Bank (AIIB) niedrige Standards bei Großprojekten. | |
| Chinas Staatspräsident in Rom: Auf Seidenstraßen-Mission in Italien | |
| Xi Jinping reist nach Rom, um eine Absichtserklärung zur „Belt and Road | |
| Initiative“ zu unterzeichnen. Das Megaprojekt ist hoch umstritten. |