| # taz.de -- Pro und Contra Mieter-Begehren: Ist mit Enteignung zu drohen sinnvo… | |
| > Zehntausende sind am Samstag gegen zu hohe Mieten auf die Straße | |
| > gegegangen. Würden ihre Forderungen tatsächlich helfen? | |
| Bild: 6. April, Berlin: Im Sonnenschein gegen den #Mietenwahnsinn | |
| Ja | |
| [1][Die Forderung, die Deutsche Wohnen und andere zu enteignen], bricht ein | |
| Tabu. Genau deshalb bringt sie jetzt die Politik in Schwung. Die muss sich | |
| endlich der verfehlten Wohnungspolitik annehmen, die Millionen Mieter nicht | |
| mehr schlafen lässt. Nach dem gleichen Prinzip funktionieren die | |
| [2][Fridays-for-Future]-Schülerstreiks. Streikten die SchülerInnen nicht | |
| während der Unterrichtszeit, würde sich niemand für sie interessieren. | |
| Das Gleiche gilt für die Wohnungspolitik. Im Unterschied zu Schülerstreiks | |
| sind Enteignungen sogar grundgesetzlich vorgesehen – aber bisher nur etwa | |
| für das Ausbaggern von Kohlegruben angewendet worden. Der neoliberale | |
| Mainstream hat die soziale Verpflichtung, die mit Besitz einhergeht, aus | |
| dem kollektiven Gedächtnis getilgt. In der Mieterstadt Berlin ist es normal | |
| geworden, Mieter zu schröpfen. Dabei hat sich die Politik hier erst von der | |
| Bau- und Wohnungswirtschaft schmieren lassen, gigantische Schulden | |
| angehäuft und dann als Ausweg die städtischen Wohnungsbaugesellschaften an | |
| skrupellose Firmen verkauft. Viele PolitikerInnen glauben immer noch, das | |
| Wohnungsproblem allein mit mehr Wohngeld oder einigen zusätzlichen | |
| Eigentumswohnungen lösen zu können. Die Forderung nach Enteignung setzt ein | |
| klares Zeichen, dass unsoziale Strukturen geändert werden müssen. | |
| Klar, durch Enteignungen werden keine zusätzlichen Wohnungen gebaut, derer | |
| es zweifellos bedarf. Aber: Für Millionen Mieter würden sie Schutz vor | |
| unendlich steigenden Mieten bedeuten. Es mag populistisch sein, doch | |
| signalisiert die Enteignungsforderung auch, dass der Markt nicht das | |
| alleinige Wort haben kann, wenn es um die Befriedigung von | |
| Grundbedürfnissen geht. Soziale Grenzen tun not, etwa der vorgeschlagene | |
| Maximalbesitz von 3.000 Wohneinheiten. Das wäre soziale Marktwirtschaft im | |
| eigentlichen Sinne. Darüber hinaus ist ein Wohnungsbauprogramm | |
| erforderlich. Ein solches ohne echte Sozialbindung des Eigentums würde aber | |
| letztlich nur wieder die Wohnungskonzerne stärken. | |
| Sven Hansen | |
| Nein | |
| Gar keine Frage, das Thema Wohnen ist jenes, das die Menschen in diesem | |
| Land umtreibt wie kein anderes. Mag das Londoner Unterhaus sich [3][um den | |
| Brexit balgen] oder Merkel Obama begrüßen – alles nebensächlich, wenn der | |
| Mensch nicht weiß, wo sein Platz in dieser Welt ist. Wo er und sie bleiben | |
| kann, ohne sich fragen zu müssen, wie lange noch. Je mehr das Grundrecht | |
| auf Wohnen von SpekulantInnen unterlaufen wird, desto tiefer spaltet sich | |
| dieses Land in Gewinner und Verlierer. Letztere sind bereits jetzt weit in | |
| der Überzahl. | |
| Gerade deshalb ist die politische Erzählung der Enteignen!-Bewegungen so | |
| trügerisch. Denn sie macht Betroffene zu AkteurInnen eines Projekts, das | |
| realistisch betrachtet keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Versprechen, den | |
| einen zu nehmen, um den anderen geben zu können, ist simpel. Aber simpel | |
| ist beim Thema Eigentum im Neoliberalismus leider gar nichts. | |
| Zum einen, weil allein am Beispiel der Stadt Berlin wohl jedem auffallen | |
| müsste, dass gerade diese Kommune sicher keine 30 Milliarden Euro hat, um | |
| für ihre Bewohner mal eben den global operierenden SpekulantInnen ganze | |
| Wohnviertel aus den Händen zu winden. In der Hauptstadt funktioniert nicht | |
| mal die Anmeldung eines Neugeborenen, so klamm ist die Stadt. | |
| Zum anderen, weil mit [4][Enteignen!] Hoffnung auf etwas geweckt wird, was | |
| rechtlich nicht einzulösen ist. Mag sein, dass die Massenproteste den Druck | |
| auf die Politik erhöhen. Aber viele jener, die in München, Berlin oder Köln | |
| auf die Straße gehen, sind nicht in irgendeiner Zukunft, sondern genau | |
| jetzt von Verdrängung betroffen. Ihre Zeit läuft ab, und zwar Tag für Tag. | |
| Die Enttäuschung dieser Menschen ist vorprogrammiert. PolitikerInnen wie | |
| Grünen-Chef Robert Habeck oder Justizministerin Katarina Barley bleiben | |
| denn auch stramm im Konjunktiv, wenn sie über Enteignungen sprechen. Sie | |
| sorgen bereits vor für den Tag, an dem sie einräumen müssen, wie leer ihre | |
| verführerische Drohung war. | |
| Anja Maier | |
| 7 Apr 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mietendemo-und-Enteignungs-Begehren/!5583053 | |
| [2] /SchuelerInnenstreik-Fridays-For-Future/!5581752 | |
| [3] /Kommentar-Brexit/!5583122 | |
| [4] /Protest-gegen-Immobilienkonzerne/!5586044 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| Sven Hansen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Mieten | |
| Berlin | |
| Deutsche Wohnen & Co enteignen | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Mieten | |
| Mieten Bremen | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Berlin Werbefrei | |
| Liebig34 | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Mietendeckel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Liebeserklärung: Die Enteignung | |
| Ein hartes Wort mit „-ung“ verdrängt die wachsweichen Wohlfühlbegriffe aus | |
| den Debatten der linken Mitte. Sogar die Generation Erbe mag es. | |
| Enteignung von Immobilienfirmen: Nervöses Kapital | |
| Erstmals trafen der Konzernboss der Deutsche Wohnen und ein Vertreter der | |
| Enteignungs-Initiative aufeinander. Es kam zum heftigen Schlagabtausch. | |
| Wohnungen in Bremen: Kein Friede den Palästen | |
| Die Linkspartei will den Wohnungsbau-Konzern Vonovia großflächig enteignen. | |
| Für SPD und Grüne ist Verstaatlichung aber nur ein letztes Mittel. | |
| Bauen in Berlin: Auf der Spur des Geldes | |
| Vom Kosmosviertel bis nach Dahlem: Mit dem Hauptausschuss unterwegs auf | |
| Baustellen-Rundfahrt. | |
| Werbeslogan „Be Berlin“ hat ausgedient: Berlin FIRST! | |
| Bis Ende des Jahres soll die Hauptstadt einen neuen Slogan bekommen. Na | |
| endlich. Die taz-Redaktion macht schon mal Vorschläge fürs neue Motto. | |
| Widerstand gegen Vermieter: Den Ruf ramponieren | |
| Im Kampf gegen Miethaie will eine Initiative die Reputation von Vermietern | |
| wie der Padovicz-Gruppe schädigen. Dabei helfen soll eine Task Force. | |
| Streit um Enteignungen: Venceremos, Markus! | |
| Markus Söder wettert gegen „sozialistische Ideen“ in der Wohnungspolitik. | |
| Braucht es mehr Gründe, um endlich über Enteignungen nachzudenken? | |
| Initiative für Wohnungs-Enteignungen: Was im Grundgesetz steht | |
| Ein Volksbegehren in Berlin verlangt, Wohnungskonzerne zu | |
| vergesellschaften. Ist das erlaubt? Sprechen wir dabei über Enteignung? | |
| Deutschlandweite Mietenproteste: „Die soziale Frage unserer Zeit“ | |
| Politiker*innen von SPD und Grünen fordern mehr bezahlbare Wohnungen. Der | |
| Deutsche-Wohnen-Vorsitzende will mehr staatliche Förderung. | |
| Berliner Mietmarkt: Mieten macht mächtig | |
| In Berlin sollen große Immobilienfirmen enteignet werden, so wollen es | |
| MietaktivistInnen. Sie initiieren ein Volksbegehren. Haben sie eine Chance? | |
| Deutsche-Wohnen-Chef im Interview: „Das wird immer falsch interpretiert“ | |
| Das linksalternative Milieu sei ihm nicht völlig fremd, sagt Michael Zahn, | |
| Chef der Deutsche Wohnen. Doch fürs Enteignungsvolksbegehren hat er kein | |
| Verständnis. |