# taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Die Enteignung | |
> Ein hartes Wort mit „-ung“ verdrängt die wachsweichen Wohlfühlbegriffe | |
> aus den Debatten der linken Mitte. Sogar die Generation Erbe mag es. | |
Bild: Die Eigentumsfrage treibt Linke durchaus noch um | |
Die SPD forderte sie bis 1959 in ihrem Grundsatzprogramm. Robert Habeck – | |
der Mann, den die linksliberale Erbengeneration mit Eigentumswohnung | |
anhimmelt – [1][will sie auch], als letztes Mittel jedenfalls. Und | |
inzwischen hat jeder gemerkt, dass das Wort „Enteignung“ sogar [2][im | |
Grundgesetz steht]: Artikel 14, Absatz 3, Satz 1. Die kühle deutsche | |
Nachsilbe „-ung“ markiert entweder einen Befehl (Achtung), einen Vorgang | |
(Einigung), etwas Bürokratisches (Satzung) oder eben das Signal, dass es | |
ans Eingemachte geht. Linke Veteranen der siebziger Jahre werden sich an | |
„Vergesellschaftung“ oder „Sozialisierung“ erinnern. | |
In den vergangenen 30 Jahren dominierten in der linken Mitte wachsweiche | |
Wohlfühlwörter wie Gerechtigkeit, Modernität und Chancen, von denen man nie | |
wusste, ob sie von der Bertelsmann-Stiftung diktiert waren. Jetzt kehrt ein | |
hartes Wort mit „-ung“ zurück, eine Ansage. Linken – zumindest denen, die | |
die öffentliche und veröffentlichte Meinung bestimmen – wird vorgeworfen, | |
dass sie sich zu sehr um Identität, Gendersternchen, Vätermonate und | |
anderes „Gedöns“ (Gerhard Schröder) gekümmert hätten. Die von | |
Basisinitiativen forcierte Enteignungsdebatte zeigt, dass die | |
Eigentumsfrage Linke durchaus [3][noch umtreibt]. | |
Der Wohnungsmarkt funktioniert nicht, weil es kein Gleichgewicht von | |
Angebot und Nachfrage mehr gibt. Große Wohnungsunternehmen streichen | |
Monopolgewinne ein (auch so ein schönes hartes Wort). Wenn der Markt nicht | |
funktioniert, kann der Staat eingreifen, das wissen sogar die Anhänger | |
Ludwig Erhards. Oder, wie Marx-Kenner sagen würden: Der Tauschwert der Ware | |
Wohnung ist inzwischen um ein absurd Vielfaches höher als der | |
Gebrauchswert. Mit dem Gebrauchswert hat das, was man inzwischen an Miete | |
zahlt, nichts mehr zu tun. | |
Es gab bereits einmal in Deutschland eine Massenbewegung für Enteignungen. | |
1926 sprachen sich fast 15 Millionen von 40 Millionen wahlberechtigten | |
Deutschen in einer Volksabstimmung für die Enteignung der | |
Fürstenbesitztümer aus. Ziemlich bemerkenswert, weil sich noch acht Jahre | |
zuvor die Deutschen von den Fürsten ziemlich klaglos hatten regieren | |
lassen. Es gibt durchaus Parallelen: Großbesitzer von Boden und Wohnraum | |
sind immerhin die Fürsten dieser Tage. | |
12 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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