| # taz.de -- Streit um Enteignungen: Venceremos, Markus! | |
| > Markus Söder wettert gegen „sozialistische Ideen“ in der Wohnungspolitik. | |
| > Braucht es mehr Gründe, um endlich über Enteignungen nachzudenken? | |
| Bild: Stellt sich in der Enteignungs-Debatte dümmer, als er ist: Markus Söder | |
| Berlin taz | Glaubt man liberalkonservativen Vordenkern, ist es nur noch | |
| eine Frage der Zeit, bis ein neuer, vorzugsweiser grüner Erich Honecker die | |
| Macht übernimmt. „Enteignungen sind sozialistische Ideen“, echauffiert sich | |
| Bayerns Ministerpräsident Markus Söder über [1][Einlassungen von | |
| Grünen-Chef Robert Habeck], der sich „notfalls“ Enteignungen großer | |
| Wohnungskonzerne vorstellen kann. Wer das Eigentum nicht mehr respektiere, | |
| so Söder, „ändert unsere Gesellschaft von Grund auf“. Bei der CSU wähnt … | |
| sich in der DDR. | |
| Söder stellt sich dümmer, als er ist. Selbstverständlich kennt er die | |
| bayerische Verfassung, welche die von ihm verteufelten Enteignungen | |
| ausdrücklich erlaubt. Eigentum verpflichte gegenüber der Gesamtheit, heißt | |
| es darin. Und: Offenbarer Missbrauch des Eigentumsrechts genieße keinen | |
| Rechtsschutz. Nähme sich Söder selbst beim Wort, müsste er zurücktreten, | |
| weil er qua Amt eine Idee vertreten muss, die er mit einer Diktatur | |
| verbindet. | |
| Enteignungen, die mit angemessenen Entschädigungen einhergehen, sind in der | |
| Bundesrepublik seit Langem gelebte Praxis. Wenn es um Dörfer geht, die für | |
| die Braunkohle abgebaggert werden, haben liberalkonservative Spitzenleute | |
| damit kein Problem. Nur jetzt, da Instrumente gesucht werden, die den | |
| Mietenirrsinn in den Städten stoppen könnten, wird plötzlich gegen „eine | |
| Debatte aus der sozialistischen Mottenkiste“ (Christian Lindner) | |
| mobilisiert. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak raunt bedeutungsschwanger, er | |
| sei „fassungslos darüber“, dass bei den Grünen „jetzt die Maske gefallen | |
| ist“. | |
| Das Motiv ist durchschaubar: Söder, Lindner und Ziemiak nutzen die | |
| Gelegenheit, die bürgerlichen Grünen zu diffamieren, die zusehends in | |
| konservative Wählermilieus einbrechen. Doch das „Hilfe, die DDR kommt | |
| zurück“-Narrativ taugt heute nicht mehr zur Mobilisierung von Mehrheiten – | |
| und ist kein ernsthaftes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das | |
| Gezeter verhilft den erfolgreichen Grünen nur zu noch mehr Aufmerksamkeit. | |
| ## Ahistorische Bullshit-Vergleiche | |
| Eine große Mehrheit der Deutschen hält Enteignungen im Immobiliensektor für | |
| legitim, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov. Was | |
| Söder und Co diffamieren, ist also die Position des Mainstreams. | |
| Rote-Socken-Kampagnen mögen in den 1990er-Jahren einmal funktioniert haben, | |
| heute führen sie ins Abseits. Ebenso wie in der Klimaschutz- und | |
| Umweltpolitik begeben sich die nörgelnden Liberalkonservativen freiwillig | |
| in die Nische. Warum nur? | |
| Neulich hat [2][die konservative Welt Rouzbeh Taheri interviewt], den | |
| Mitinitiator des Berliner Volksbegehrens, das die große | |
| Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen enteignen möchte. Als die Interviewer | |
| ihn fragten, ob er Verhältnisse wie in der DDR wolle – niedrige Mieten, | |
| aber verfallende Bestände – platzte ihm der Kragen. Man solle ihm nicht mit | |
| der „DDR-Keule“ kommen. Einen Mietendeckel habe es lange Jahre in der | |
| Bundesrepublik gegeben. Und die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten | |
| Enteignungen in Artikel 15 „explizit vorgesehen“. | |
| Abgesehen davon, dass auch Welt-Journalisten einmal kurz darüber nachdenken | |
| könnten, was ahistorische Bullshit-Vergleiche in einer dauergereizten | |
| Gesellschaft anrichten: Taheri, der [3][Schreck der Deutschen Wohnen], hat | |
| Recht. Die Wohnungsnot ist zu einer der wichtigsten sozialen Fragen des 21. | |
| Jahrhunderts geworden – und es ist nur angebracht, über kluge | |
| Vergesellschaftung nachzudenken. Selbst Boris Palmer, nicht als | |
| linksradikaler Spinner bekannt, will in Tübingen Grundstückseigentümer dazu | |
| zwingen, Wohnungen zu bauen. | |
| Land und Boden sind nun mal ein begrenztes, nicht vermehrbares Gut. Die | |
| Idee des freien, komplett ungeregelten Marktes wirkt hier besonders | |
| dysfunktional. Die bayerische Verfassung hält wahre Horrorszenarien für | |
| reiche Investoren bereit, weil ihre AutorInnen um diese Problematik | |
| wussten. „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen | |
| überwacht“, steht darin. Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen | |
| Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, seien „für die | |
| Allgemeinheit nutzbar zu machen“. | |
| Es gibt also viel zu tun, gerade für den bayerischen Regierungschef. | |
| Venceremos, Markus! | |
| 8 Apr 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-um-Wohnungsbau/!5586082 | |
| [2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article187567178/Hohe-Mieten-Rouzbe… | |
| [3] /Deutsche-Wohnen-Chef-im-Interview/!5583589 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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