# taz.de -- Kommentar Grüne Rhetorik und Realität: In Love with Habeck | |
> Die Deutschen und Grünen-Chef Habeck – das passt gut. Doch die Ökopartei | |
> operiert in einem Widerspruch, über den zu wenig geredet wird. | |
Bild: Lässig, zugewandt und optimistisch: Robert Habeck ist der Mann der Stunde | |
Die Deutschen und Robert Habeck, das ist Liebe. Der Vorsitzende der Grünen | |
weckt gerade große Gefühle. Begeisterte BürgerInnen rennen der Partei die | |
Bude ein, wenn Habeck auftritt. Journalisten – in der Tat: meistens Männer | |
– schreiben ihn zum nächsten Kanzler hoch. Im Politbarometer verdrängte | |
Habeck neulich Angela Merkel in der Liste der wichtigsten PolitikerInnen | |
von Platz Eins, was eine groteske Kluft zwischen gefühlter und | |
tatsächlicher Macht dokumentiert. | |
Habeck verkörpert die perfekte Mischung aus Zukunftsoptimismus, | |
Zugewandtheit und Lässigkeit, die das Land aus der jahrelangen | |
Merkel-Lethargie reißen könnte. Aber Verliebtheit, das wird manchmal | |
vergessen, macht bekanntlich blind. Die coolen Grünen operieren in einem | |
Dauerwiderspruch, über den zu wenig geredet wird. Habecks | |
Alles-ist-möglich-Rhetorik erzeugt Erwartungen, die seine Partei in der | |
realen Politik nicht erfüllt beziehungsweise erfüllen wird. | |
Habeck fordert im Bund [1][mit großer Geste Enteignungen], um den | |
Mietenirrsinn in Städten einzudämmen. Aber in Schleswig-Holstein, wo die | |
Grünen zusammen mit CDU und FDP in einem Jamaika-Bündnis regieren, schaffen | |
sie die Mietpreisbremse und die abgesenkte Kappungsgrenze für | |
Mieterhöhungen [2][vorzeitig ab]. Kurz: Als Oppositionspartei im Bund | |
präsentieren sie sich als Vorkämpfer für MieterInnenrechte, um sie in der | |
Regierungspraxis zu planieren. | |
Die Liste solcher Beispiele ist lang. Wenn die Grünen mit den Konservativen | |
regieren, wird ihr utopistischer Überschuss, von dem sie im Bund | |
profitieren, in Windeseile zerrieben. Die Industriepolitik Winfried | |
Kretschmanns unterscheidet sich nicht groß von der Konservativer. Das, was | |
der Daimler will, ist in Baden-Württemberg heilig. In Hessen winken die | |
Grünen, die selbst ernannte Bürgerrechtspartei, ein Gesetz durch, das der | |
Polizei das Eindringen in Smartphones per Staatstrojaner erlaubt. | |
## Es käme eine Art Öko-Groko | |
Im Bund sähe es in einer schwarz-grünen Koalition nicht anders aus: | |
Annegret Kramp-Karrenbauer freut sich bestimmt schon darauf, mit den Grünen | |
Hartz IV abzuschaffen, um eine sanktionsfreie, 30 Milliarden Euro teure | |
Grundsicherung einzuführen. Und die humane Flüchtlingspolitik, die die | |
Grünen fordern, wäre sicher der Knüller auf jedem CSU-Parteitag. | |
Enteignungen mit der CDU? Selten so gelacht. | |
Im Ernst: Schwarz-Grün wäre eben nicht der gesellschaftliche Aufbruch, der | |
Spirit, den Robert Habecks Prosa verspricht. Sondern ein Bündnis mühsam | |
ausgehandelter, kleinteiliger Kompromisse mit riesigem Konfliktpotential. | |
Schwarz-Grün wäre eine Art Öko-Groko. Sie würde ein paar mehr | |
klimaschutzpolitische Akzente setzen als das aktuelle Bündnis, dafür gäbe | |
es weniger Sozialpolitik, weil die SPD fehlte. | |
Als die Grünen 2017 über Jamaika verhandelten, wurde deutlich, wie niedrig | |
ihre Schmerzgrenze liegt. Progressive Steuerpolitik, etwa die | |
Vermögenssteuer, schmissen sie aus Rücksicht auf CDU und FDP von Anfang an | |
in die Tonne. Glaubt man führenden Christdemokraten, waren die Grünen in | |
der Flüchtlingspolitik bereit, einen Großteil ihrer Positionen abzuräumen. | |
Das progressive Potential von Schwarz-Grün oder Jamaika wird also allgemein | |
überschätzt, übrigens auch in der Klimaschutzpolitik. | |
Die SPD, die seit Jahren an der Seite der CDU regiert, bekommt die | |
Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ständig vorgehalten, durchaus | |
zu Recht. Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Geschmeidigkeit der | |
Grünen im Moment komplett unter dem öffentlichen Radar bleibt. | |
## Das eine versprechen, das andere tun | |
Dabei haben sie ja oft kein Problem damit, das eine zu versprechen und das | |
andere zu tun. In Bayern haben sie sich über Markus Söders böse Sprüche | |
empört („Asyltourismus“), dennoch hätten sie nach der Wahl liebend gern m… | |
ihm koaliert. Bei der SPD würden Journalisten ein solches Verhalten schnell | |
als Opportunismus beschreiben, bei den Grünen heißt es dann gerne, dass | |
Pragmatismus eben nötig sei. | |
Damit hier kein Missverständnis entsteht: Eine Oppositionspartei muss | |
natürlich ihr Profil schärfen, wo sie kann. Regieren – also: gestalten – | |
ist allemal besser, als in der Opposition zu versauern. Und Kompromisse in | |
einer Koalition sind nichts Verwerfliches, sondern der Treibstoff der | |
Demokratie. Selbstverständlich müssen die Grünen über Schwarz-Grün | |
nachdenken, wenn andere Machtoptionen ausfallen. Aber darauf hinweisen, | |
dass die gerade zu besichtigende Verliebtheitsphase nicht ewig anhält, das | |
darf man schon. | |
Dem aufregenden Flirt, dem ersten Rausch folgt zwangsläufig die | |
Ernüchterung. Spätestens dann, wenn der Alltag gemanagt werden muss, wenn | |
anstrengende Absprachen und Kompromisse anstehen, wenn Versprechen nicht | |
eingehalten werden, dann erkennt man den wahren Charakter des oder der | |
Angebeteten. Den Deutschen und Robert Habeck steht diese Ernüchterung noch | |
bevor. | |
10 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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