| # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Die Kampfansage | |
| > Wanzen die Grünen sich an die CDU heran oder fordern sie sie heraus? | |
| > Richtig ist jedenfalls, das man Politik aus dem Kanzleramt heraus | |
| > anstreben sollte. | |
| Bild: Kampfansage an die CDU? Robert Habeck und Annalena Baerbock in Hannover | |
| Sind jetzt bestimmte Parteien und eine gesellschaftliche Mehrheit bereit | |
| für die Realität der Gegenwart? Das treibt mich um. Das soll nicht | |
| abgehoben klingen, sondern geht von einem Gedanken Hans Ulrich Gumbrechts | |
| aus, dass wir alle in einer gefühlten Gegenwart leben, die längst | |
| Vergangenheit ist. Das war schon bei Rot-Grün so, als wir nationalfixierte | |
| Stubenhocker nicht checkten, was längst in der Welt ablief und zu lange | |
| dachten, Hartz IV sei das planetarische Problem. Der Abstand wurde noch | |
| größer durch die Schaumgummi-Mauer aus vernünftigem Sprechen und | |
| Nicht-Handeln(-Können), mit der Merkel uns vor der Gegenwart schützte. Bis | |
| 2015. | |
| Seither spüren zunehmend Leute, dass es so nicht mehr lange gut geht. Das | |
| ist der Grund für den Bedarf an autoritären und nationalistischen | |
| Angeboten. Schutz vor der Welt durch Rückzug, rechts wie links. In | |
| Berlin-Kreuzberg verteidigen sie einen Aldi gegen böse Biolandwirtschaft. | |
| Die Rest-SPD sucht ihre Zukunft im vorglobalisierten Industriezeitalter. | |
| Und der Bedarf an All-Gendertoiletten ist eindeutig kleiner als der Bedarf | |
| von Unions-Leuten, das zu instrumentalisieren, um Leute abzulenken. | |
| Meine Hoffnung ist: Das derzeitige Dauergepupse nervt viele und bricht | |
| dabei das starre Denken auf, das auf einer heilen Welt im gemütlichen | |
| westdeutschen halblinks-halbrechts-Schema fixiert ist. Wie die Fridays for | |
| Future-Protagonistin Luisa Neubauer, 22, sagt: Es interessiert die | |
| Erderhitzung nicht, ob ökologische Zukunftspolitik liberal oder | |
| sozialdemokratisch genannt wird. Der Unterschied besteht ganz einfach | |
| darin, sie zu machen. | |
| Wenn man den an diesem Wochenende vorgestellten „Zwischenbericht“ zum | |
| vierten Grundsatzprogramm der Grünen mit diesem Ansatz liest, dann sind bei | |
| allem internen Wellness-Faktor und Beteiligungstralala radikale Befunde zu | |
| machen. Es geht den Grünen im Zeitalter von Annalena Baerbock und Robert | |
| Habeck nicht mehr darum, den Abstand zu ihren Idealen gering und zu | |
| Andersdenkenden groß zu halten, sondern den Abstand zu einer | |
| gesamtgesellschaftlichen Zukunft zu verringern. „Wir“ sind nicht Grüne und | |
| Eisbären, sondern meint normale Menschen. | |
| Die neue Mehrheitsgesellschaft auf der Suche nach einer politischen | |
| Vereinbarung für eine gemeinsame postfossile und europäische Zukunft. Und | |
| dann brechen die Grünen noch mit einem anachronistischen Denken, das ihre | |
| Gründergeneration – historisch verständlich – geprägt hat: Nicht das | |
| Private, sondern das Politische ist politisch. Schluss mit dem Moralisieren | |
| und Privatisieren: Wer die Erderhitzung bewältigen will, der braucht nicht | |
| fünf Prozent Superhumans, sondern 100 Prozent der Menschen, die | |
| emissionsfrei wirtschaften und leben. Und das geht nur mit ökologischer | |
| Modernisierung durch unternehmerische Innovation und Ordopolitik. Dafür | |
| braucht es eine demokratische Mehrheit. | |
| ## Politik aus dem Kanzleramt anstreben | |
| In dem Papier versprechen die Grünen im Habeck-Sound, aus dem „Zentrum der | |
| politischen Auseinandersetzung“ heraus, diese Mehrheit zu organisieren. | |
| „Bündnispartei“ ist der strategische Begriff, der einerseits den Osten | |
| historisch wertschätzen soll („Bündnis 90“: Veteranen könnten sich | |
| erinnern), aber vor allem die „Bündnisfähigkeit als dauerhaften Auftrag“ | |
| manifestieren. Übersetzung: Wir wollen die zentrale europäische und | |
| sozialökologische Kraft jeder Regierung im neuen Zeitalter nach dem | |
| halblinks-halbrechts werden, das SPD und Union repräsentierten. Wer jetzt | |
| denkt, das alles sei eine Kampfansage an die SPD und ein Ranwanzen an die | |
| Union? Weit gefehlt. | |
| Ich lese das als Kampfansage an die CDU um die Führung. | |
| Was auch sonst? Wenn man die Lage realistisch betrachtet, dann muss man | |
| Politik aus dem Kanzleramt heraus anstreben. Alles andere hieße, die Welt | |
| und auch sich selbst, weiterhin nicht ernst zu nehmen. | |
| 29 Mar 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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