# taz.de -- Steuerpolitik der SPD: Liebäugeln mit der Millionärssteuer | |
> Ist die Vermögensteuer in Deutschland tot? Vielleicht doch nicht. Eine | |
> Anhörung im Willy-Brandt-Haus lässt aufhorchen. | |
Bild: Bescheidener Zweitwagen für Superreiche: Rolls Royce | |
BERLIN taz | Die SPD und die Vermögensteuer, das ist eine [1][lange, | |
wechselvolle Geschichte]. Mal lobten führende Sozialdemokraten sie als | |
Instrument für mehr Verteilungsgerechtigkeit, mal lehnten sie sie ab. | |
Ex-Parteichef Sigmar Gabriel erklärte die Steuer 2014 bei einer | |
Podiumsdiskussion mit dem Ökonomen Thomas Piketty für „tot“. Er habe | |
gelernt, dass jene „in Deutschland keine Chance“ habe. | |
Die Zeiten ändern sich. Die SPD robbt sich, so scheint es, langsam wieder | |
an die [2][Vermögenssteuer] heran. Kurz vor der Bundestagswahl 2017 | |
entschied ein SPD-Parteitag, die umstrittene Steuer nicht ins Wahlprogramm | |
aufzunehmen. Grund waren Bedenken, dass die rechtlichen Hürden zu groß sein | |
könnten. Der Parteitag beauftragte aber eine Arbeitsgruppe, die Chancen für | |
die Steuer zu prüfen. | |
Diese parteiinterne Kommission soll eine Empfehlung für den SPD-Vorstand | |
erarbeiten – und lud am Montag zu einer öffentlichen Expertenanhörung ins | |
Willy-Brandt-Haus ein. Die Kommission wird von dem hessischen | |
Noch-SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel geleitet. Der SPD-Parteitag | |
Ende des Jahres solle über das Thema entscheiden, kündigte Schäfer-Gümbel | |
an. | |
Wie sich die SPD positioniert, ist entscheidend. Die Vermögensteuer gilt | |
innerhalb der deutschen Linken als wichtiges Symbol. Sie wird immer wieder | |
gefordert, um die wachsende Vermögensungleichheit zu bremsen. Politisch | |
wäre sie nur mit einem rot-rot-grünen Bündnis zu realisieren, weil die | |
Union strikt dagegen ist. Linkspartei und Grüne sind für die Steuer. | |
Entschiede sich auch die SPD dafür, gäbe es in diesem Punkt einen Konsens | |
im linken Lager. | |
## Groteske Ungleichverteilung | |
Vermögen ist in Deutschland grotesk ungleich verteilt. Den vermögendsten 10 | |
Prozent der Deutschen gehören zwei Drittel des Haushaltsnettovermögens, | |
während die untere Hälfte fast nichts besitzt. Der Deutsche | |
Gewerkschaftsbund wirbt deshalb für die Wiedereinführung der | |
Vermögensteuer, die seit 1997 nach Kritik vom Bundesverfassungsgericht | |
nicht mehr erhoben wird. Die Steuer könne die Vermögensverhältnisse nicht | |
umkehren, sagte Raoul Didier vom DGB auf der Anhörung, sondern „bestenfalls | |
eine verzögernde Wirkung entfalten“. | |
Der DGB schlägt ein Modell mit einem Freibetrag von einer Million Euro und | |
einer progressiven, also langsam ansteigenden Belastung vor. Bei einem | |
Nettovermögen von 20 Millionen Euro wären 1,5 Prozent fällig, ab einem | |
Vermögen von 100 Millionen Euro gälte ein Steuersatz von 1,75 Prozent. Die | |
Rendite liegt bei solchen Vermögen weit höher. Superreiche würden also | |
weiter schnell reicher, sie müssten nur etwas von ihrem Gewinn abgeben. Für | |
den Staat kalkuliert der DGB Mehreinnahmen von 25 Milliarden Euro pro Jahr, | |
die den Bundesländern zugute kämen. | |
Rolf Rosenbrock, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, wies auf die | |
gesundheitspolitischen Schäden hin, die zu viel Ungleichheit in einer | |
Gesellschaft anrichtet. Je mehr Ungleichheit herrsche, desto schlechter sei | |
die Lebenserwartung, die Säuglingssterblichkeit steige, Straftaten wie Mord | |
und Totschlag auch, mehr Menschen säßen in Gefängnissen, die | |
Schulleistungen sänken, auch die seelische und geistige Gesundheit werde | |
schlechter. | |
Deshalb sei für den Wohlfahrtsverband „jeder Schritt in der Steuerpolitik, | |
der die Ungleichheit vermindert, ein guter Schritt für Gesundheit, | |
Lebenserwartung und Lebensqualität“. Und dies sei kein „Aufruf zum | |
Kommunismus“, sagte Rosenbrock Das sorgte für wissende Lacher in der Runde. | |
Wirtschaftsverbände taten in der Vergangenheit gerne so, als triebe eine | |
Vermögensteuer deutsche Firmen in den Ruin. | |
## Sympathien für Wiedereinführung | |
In der SPD-Kommission gibt es große Sympathien für die Wiedereinführung der | |
Steuer. Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans ist offen für die | |
Idee, Juso-Chef Kevin Kühnert sowieso, auch SPD-Landeschefin Natascha | |
Kohnen hat im bayerischen Wahlkampf im vergangenen Jahr für eine | |
Millionärssteuer geworben. Bei der Anhörung wird dieses Liebäugeln immer | |
wieder deutlich. Schäfer-Gümbel bat zum Beispiel kritische | |
Verbandsvertreter ausdrücklich, sich auf das Gedankenspiel der Steuer | |
einzulassen – und auszuführen, welche Ausnahmen es für Unternehmen in | |
Krisensituationen geben müsse. | |
Der Bundesverband der Deutschen Industrie positionierte sich einmal mehr | |
gegen die Steuer – wie erwartet. Monika Wünnemann, beim BDI für Steuern und | |
Finanzpolitik zuständig, sagte, eine Wiedereinführung sei „sehr schädlich | |
für den Standort Deutschland“. Die Steuer sei international kein | |
Erfolgsmodell, Deutschland sei für Unternehmer sowieso schon ein | |
Hochsteuerland. Auch seien Ausnahmen für Unternehmen in einer Krise | |
verfassungsrechtlich schwer umzusetzen – es gebe eine „hohe | |
Streitanfälligkeit“. | |
Ähnlich argumentierte Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler. Er wies | |
zudem auf Probleme der Bewertung hin. Das Vermögen müsste für die | |
Steuererhebung nach dem Verkehrswert geschätzt werden. Bei Kunst, Gemälden | |
oder Bankschließfächern bedeute das einen „unverhältnismäßigen Aufwand�… | |
sagte Warneke. Außerdem würden Vermögende die Belastungen auf Mieter, | |
Konsumenten und Arbeitnehmer umlegen. | |
Ein flammendes Schlussplädoyer für die Vermögensteuer hielt der Unternehmer | |
Josef Rick. Rick, ein in der Immobilienbranche tätiger Multimillionär, | |
wetterte im ersten Stock des Willy-Brandt-Hauses gegen einen | |
„Steuerfeudalismus“, von dem Privilegierte wie er profitierten. Sein Sohn, | |
ein Assistenzarzt mit 60.000 Euro Einkommen, zahle mehr Steuern als er | |
selbst mit seinem Millioneneinkommen. | |
## Multimillionär geißelt „Steuerfeudalismus“ | |
Rick räumte auch mit ein paar Mythen mancher Wirtschaftslobbyisten auf. | |
Wenn er bei einem Geschäft nicht 20 Prozent Rendite sehe, lege er es | |
beiseite. Selbst mit einer Rendite von 10 Prozent würden in einer | |
Generation aus einem Vermögen von 10 Millionen Euro 175 Millionen Euro. Da | |
sei es ein leichtes, 10 bis 20 Millionen Euro abzugeben. Die „Partei von | |
August Bebel“ täte nicht schlecht daran, eine Steuerreform anzustoßen, von | |
der die unteren 90 Prozent profitierten, sagte er. „Ich wüsste sonst | |
niemanden, der das tun soll.“ | |
Das Klopfen auf den Tischen war lauter als bei allen anderen. | |
Schäfer-Gümbel dankte für Ricks „leidenschaftlichen Vortrag“. Er habe | |
gemerkt, so der SPDler, dass der eine oder andere leuchtende Augen bekommen | |
habe. | |
30 Apr 2019 | |
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[1] /Ex-NRW-Finanzminister-ueber-Steuern/!5546242 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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