# taz.de -- Studie zu Flucht und Migration: Was die Deutschen denken | |
> Die Mehrheit der Deutschen sieht Migration als Chance, insbesondere auf | |
> dem Arbeitsmarkt. Kritik gibt es an der Uneinigkeit der Regierung. | |
Bild: Immerhin mehr als die Hälfte der Befragten sieht Migration als Chance | |
BERLIN taz | Wenn es um das Thema Migration geht, dominieren in Politik, | |
Medien und den sozialen Netzwerken selten gemäßigte Positionen. | |
[1][Begriffe wie Willkommenskultur und Heimat] sind in Folge dessen zu | |
politischen Kampfbegriffen geworden. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist jetzt | |
in einer Studie der Frage nachgegangen, wie die Deutschen den Themen Flucht | |
und Migration gegenüberstehen. | |
Die Ergebnisse zeigen: Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) | |
begreift Migration sogar als Chance – gerade auf dem Arbeitsmarkt. | |
Grundsätzlich zeichnet die Studie ein differenziertes Bild bezüglich Fragen | |
der Einwanderung. Die Gesellschaft unterteilt sich nämlich nicht in | |
ausschließliche Befürworter*innen oder Gegner*innen von Migration. Diese | |
Positionen vertreten nur jeweils ein Viertel der Deutschen. Knapp die | |
Hälfte (49 Prozent) lässt sich demnach als „bewegliche Mitte“ beschreiben, | |
die mehrheitlich offen für die Aufnahme von Geflüchteten ist, aber auch die | |
Herausforderungen sieht, die ein solcher Zuzug mit sich bringt. | |
Besonders bei qualifizierten Arbeitskräften zeigten sich die Befragten | |
offen. 63 Prozent sind der Meinung, Deutschland brauche ausländische | |
Fachkräfte, um dem Mangel auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. Eigentlich | |
ausreisepflichtige Migrant*innen, die gut integriert sind und einen Job | |
oder eine Ausbildung haben, sollten deshalb laut 78 Prozent der Befragten | |
in Deutschland bleiben dürfen. Befürchtungen, dass dies zu einer erhöhten | |
Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt führen könnte, teilen nur 30 Prozent der | |
Teilnehmenden. | |
Bei der Aufnahme von Geflüchteten ist sich die Mehrheit der Deutschen | |
ebenfalls einig: Deutschland müsse künftig genauso viele oder sogar mehr | |
Menschen aufnehmen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Diese | |
Meinung vertreten gut 70 Prozent. 62 Prozent haben auch kein Problem damit, | |
Geflüchtete in ihrer Nachbarschaft aufzunehmen. Jedoch sinkt die Akzeptanz | |
vergleichsweise für Menschen, die vor Armut oder aus wirtschaftlichen | |
Gründen fliehen: Mehr als die Hälfte (57 Prozent) ist dagegen, mehr | |
Geflüchtete aus diesen Gründen aufzunehmen. | |
## Gesellschaft einiger als die Bundesregierung | |
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Die Bevölkerung hat ihr Urteil über die | |
Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, offenbar | |
bereits gefällt. Währenddessen diskutieren Politiker*innen weiter, auch | |
innerhalb der Bundesregierung. | |
Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, sagte | |
der taz, Deutschland sei schon lange ein Einwanderungsland, „auch wenn sich | |
Teile des Landes mit diesem Umstand schwertun“. Ein Fokus der | |
SPD-Fachkräftestrategie sei es deshalb, Einwanderung von qualifizierten | |
Ausländer*innen zu erleichtern und „für bereits Eingewanderte die | |
Anerkennung ihrer Qualifikationen“ zu verbessern. | |
Eine Sprecherin aus dem CSU-geführten Innenministerium teilte auf | |
taz-Anfrage mit, man verantworte vorrangig Integrationsmaßnahmen, die sich | |
„an Personen mit einem Aufenthaltstitel und an Asylbewerber mit guter | |
Bleibeperspektive, also nicht an ausreisepflichtige Ausländer“ richteten. | |
Die gegensätzlichen Positionen der Bundesregierung offenbaren sich derzeit | |
auch dadurch, wie schwer sie sich damit tut, ein [2][geplantes | |
Einwanderungsgesetz] auf den Weg zu bringen. Diese Uneinigkeit bei der | |
Migrationsfrage bewerteten die Studienteilnehmenden ebenfalls: Über zwei | |
Drittel, nämlich 68 Prozent, stimmten folgender Aussage zu: „Die | |
Bundesregierung hat keinen Plan, wie es mit den Flüchtlingen, die in | |
Deutschland sind, weitergehen soll.“ 72 Prozent warfen der Politik | |
insgesamt vor, keine Visionen für Deutschland zu haben. | |
## Sorgen vor allem wegen Rechtsextremismus | |
Kein gutes Zeugnis – insbesondere vor dem Hintergrund der Sorgen, die die | |
Bürger*innen in der Studie bezüglich Zuwanderung äußerten. Sie sorgten sich | |
nicht etwa vorrangig um die Kosten der Integration (61 Prozent) oder | |
Zunahme von Kriminalität und Terroranschlägen (73 Prozent). Am meisten | |
befürchteten die Deutschen eine Zunahme von Rechtsextremismus und | |
rassistischer Gewalt. Ganze 86 Prozent stimmten diesen Ängsten zu, 81 | |
Prozent äußerten sich darüber hinaus besorgt über die zunehmende Spaltung | |
der Gesellschaft. | |
Für Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der Grünen, ein Zeichen | |
dafür, dass die Bundesregierung an der Gesellschaft vorbei regiere: „Die | |
Mehrzahl der Menschen in Deutschland betrachtet die Vielfalt unserer | |
Einwanderungsgesellschaft positiv und lässt sich nicht von einer spaltenden | |
Minderheit anstecken“, sagte sie der taz. Umso wichtiger sei es nun, | |
Rassismus entgegenzutreten und Täter konsequent zu verfolgen. „Um das | |
Sicherheitsgefühl zu verbessern und der Spaltung entgegenzuwirken, ist es | |
auch die Aufgabe der Bundesregierung, sachlich richtig und nachhaltig zu | |
informieren.“ | |
20 Mar 2019 | |
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[1] /Interview-mit-Journalistin-Ferda-Ataman/!5578306 | |
[2] /Kritik-am-Fachkraefteeinwanderungsgesetz/!5557901 | |
## AUTOREN | |
Leonie Schöler | |
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