| # taz.de -- Interview mit Journalistin Ferda Ataman: „Wir messen mit zweierle… | |
| > Integration befördert Rassismus, sagt Ferda Ataman. Sie fordert | |
| > Dankbarkeit gegenüber Migrant_innen – und eine ernsthafte | |
| > Auseinandersetzung mit dem Deutschsein. | |
| Bild: „Viele glauben, die Herkunft eines Menschen hätte Aussagekraft über d… | |
| taz: Frau Ataman, [1][neulich hat Dieter Bohlen] uns mitgeteilt, wie ein | |
| Mädchen aus Herne seiner Meinung nach aussehen kann und wen man nach der | |
| „eigentlichen“ Herkunft fragen muss. Eine Steilvorlage für Ihr Buch, oder? | |
| Ferda Ataman: Ja. Insofern danke, Dieter! Ich bin immer noch überrascht, | |
| wenn ich höre, dass man halt fragt, wenn jemand asiatisch aussieht. Es ist | |
| Zeit, dass wir „asiatisches Aussehen“ in den Katalog der Deutschen | |
| aufnehmen. Mein Buch heißt zwar „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier“, | |
| aber eigentlich geht es mir nicht darum, wer was fragt – sondern darum, wie | |
| wir das Deutschsein verstehen. | |
| Bei der Frage nach dem Woher sagen die einen wütend: Geht gar nicht. Die | |
| anderen werden sauer und sagen, das sei bloß freundliche Neugierde. Warum | |
| ist da so viel Emotion? | |
| Vermutlich, weil die sogenannte Rassismuskeule über der Frage schwebt und | |
| viele sich angegriffen fühlen. Der Punkt ist: Man verlässt die eigene | |
| Komfortzone. | |
| Wer verlässt seine Komfortzone? | |
| Die meisten Menschen denken von sich, dass sie nichts Böses tun. Und | |
| Rassismus gilt als böse. Eine vermeintlich harmlose Frage damit in | |
| Verbindung zu bringen ist unangenehm. Aber niemand hat gesagt, dass man | |
| nichts mehr fragen darf. Dass man ein bisschen sensibler sein sollte, ist | |
| aber nicht zu viel verlangt. | |
| Und wie kann diese Sensibilität aussehen? | |
| Man sollte sich bewusst machen, warum man diese Frage manchen Menschen nie | |
| stellt und anderen immer. Meine Schwiegermutter heißt Brigitte und wird nie | |
| gefragt. Dabei hat sie, die Wurzeldeutsche in der Familie, eine schlesische | |
| Migrationsgeschichte und sogar Fluchterfahrung. Ich werde ständig gefragt, | |
| obwohl ich keine eigene Migrationserfahrung habe. | |
| Und das nervt? | |
| Mich schon. Weil es dann vor allem um Klischees geht wie türkisches Essen | |
| oder Urlaub in Antalya oder um sehr persönliche oder politische Fragen: Was | |
| hältst du von Erdoğan, was vom Kopftuch, fühlst du dich hin und her | |
| gerissen? So etwas eignet sich nicht für Smalltalk. | |
| Warum wollen wir darüber [2][unbedingt sprechen]? | |
| Viele glauben, die Herkunft eines Menschen hätte Aussagekraft über die | |
| Person. Es gibt eine regelrechte Wurzelbesessenheit: Nenn mir deine | |
| Wurzeln, und ich sag dir, wer du bist. Manche reden ja auch noch von | |
| Völkerverständigung, wenn sie die offene Gesellschaft meinen, und von | |
| Ethnienvielfalt. | |
| Was ist daran problematisch? | |
| Ich finde das total rückständig: Wir glauben ernsthaft noch, dass Menschen | |
| bestimmten Stämmen angehören. Ohne es auszusprechen, sagen wir damit auch, | |
| dass es den Stamm der Deutschen gibt. Und manche finden: Weil der länger | |
| hier ist, hat er auch bestimmte Vorrechte. Genau da fängt der Rassismus an. | |
| Weil diese Annahme viele Menschen grundsätzlich ausschließt? | |
| Wir sind heute ein Einwanderungsland, aber wir haben es noch nicht | |
| verstanden. Stattdessen haben wir ein Bild von der deutschen | |
| Aufnahmegesellschaft, das sich seit den 50er Jahren nicht verändert hat. | |
| Dabei sind die Migrantinnen und Migranten längst Teil dieser | |
| Aufnahmegesellschaft. Es ist schräg, dass wir zur deutschen Leitkultur nur | |
| Weißwürste und Bier zählen und nicht so was wie Döner. Nirgendwo wird so | |
| viel davon gegessen wie in Deutschland. | |
| In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher erschienen, in denen die | |
| Autor_innen sich mit Zugehörigkeit und Ausgrenzung beschäftigen. Warum | |
| gerade jetzt? | |
| Weil wir uns in einem handfesten medialen und politischen Rechtsruck | |
| befinden. Für Leute, die das betrifft, ist das existenziell. Fünf Jahre, | |
| und eine rechtspopulistische Partei, die es vorher gar nicht gab, sitzt im | |
| Bundestag und in allen Landesparlamenten. Sie muss nicht mal anwesend sein, | |
| um den Diskurs zu bestimmen, sie wird überall mitgedacht. Wenn das in dem | |
| Tempo weitergeht …Uns geht der Arsch auf Grundeis. | |
| Sie schreiben, dass es [3][nicht erst seit den Erfolgen der AfD] in der | |
| zweiten und dritten Generation der Migrant_innen „brodelt“. Warum? | |
| Es brodelt, weil wir Ansprüche stellen. Und wir stellen sie, weil wir zu | |
| langsam Fortschritte machen. In den neunziger Jahren ist meine Mutter schon | |
| zu irgendwelchen Lichterketten gegangen, und heute muss ich mich mit den | |
| gleichen Debatten befassen. Ich verstehe nicht, warum es uns so schwer | |
| fällt, Migration nicht als Problem zu betrachten und sachlich über | |
| Integration zu reden. | |
| Was stört Sie an der Diskussion? | |
| Die Integrationsdebatte in Deutschland ist völlig verlogen. Es interessiert | |
| uns nur, wo die Integration gescheitert ist. Wir haben auch nie geklärt, ab | |
| wann sie gelungen und abgehakt ist – weil sie es offenbar nie ist. | |
| Migranten und Migrantisierte stehen in der ewigen Bringschuld, ebenso | |
| ihre Kinder und Enkel. Politiker missbrauchen die Forderung nach | |
| Integration, um zu zeigen, wie konservativ und hartgesotten sie sind. Auch, | |
| wenn das an der Realität vorbeigeht. Denn eigentlich könnten wir total | |
| zufrieden sein. | |
| Weil es eigentlich ganz gut läuft? | |
| Wir haben früher null Komma null Integrationsangebote gemacht, stattdessen | |
| gab es Rückkehrförderung. Und trotzdem sind Generationen von Leuten in der | |
| Gesellschaft angekommen, gehen zur Schule, schaffen Bildungsabschlüsse. | |
| Unser Land prosperiert. Unser ganzes System baut darauf auf, dass wir | |
| günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland haben, zum Beispiel in der Pflege. | |
| Im Grunde genommen müsste man also nur aus der anderen Richtung auf | |
| Integration blicken – und dann wäre alles besser? | |
| So einfach ist es nicht, denn gut laufende Integration baut Rassismus | |
| leider nicht ab, sondern befördert ihn sogar: Viele fühlen sich erst | |
| „überfremdet“, seit Fatma und Ali nicht mehr als Putzfrau und Müllmann | |
| arbeiten, sondern Lehrer werden oder in die Chefetagen schielen. | |
| Warum das? | |
| Es ist genau wie in der Gleichstellungsdebatte: Wie viele Chefposten haben | |
| wir, und wer bekommt die? Wir führen eine Verteilungsdebatte. Die Kinder | |
| von Migranten, die eigentlich Niedriglohnjobs machen sollten, konkurrieren | |
| jetzt mit den Wurzeldeutschen auch um die guten Jobs. Und sie reden mit in | |
| öffentlichen Debatten. Wenn ein Buch mit dem Titel „Eure Heimat ist unser | |
| Albtraum“ erscheint, dann ist das ein Teil der deutschen Heimatdebatte und | |
| kein Einwurf von außen. | |
| Wir haben also ein Problem mit der Selbstwahrnehmung. | |
| Ja, und wie. Viele Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass wir eine | |
| migrationsfreundliche Gesellschaft sind und viel zu viele Leute reinlassen. | |
| Das ist eine verzerrte Wahrnehmung. Wir haben – abgesehen von Geflüchteten | |
| – noch nie Menschen reingelassen, um ihnen was Gutes zu tun. Wir haben sie | |
| immer nur einwandern lassen, weil wir fanden, das tut uns gut, das tut | |
| Deutschland gut. | |
| So wie damals, als die deutsche Wirtschaft die sogenannten | |
| Gastarbeiter_innen brauchte. Und so wie heute, wenn wir von über 260.000 | |
| ausländischen Fachkräften sprechen, die Deutschland jährlich benötigt? | |
| Ja. Und obwohl wir es sind, die sie hier brauchen, erwarten wir | |
| gleichzeitig, dass sie Dankbarkeit zeigen – von der nächsten und | |
| übernächsten Generation absurderweise auch. Deswegen dürfen Migranten und | |
| ihre Nachkommen auch keine Fehler machen. | |
| Inwiefern? | |
| Wir messen mit zweierlei Maß. Wenn Wurzeldeutsche die AfD wählen, sind sie | |
| besorgte Bürger*innen – wenn Mesut Özil Erdoğan huldigt, ist er schlecht | |
| integriert und illoyal. Viele Leute waren da aber auch wahnsinnig gekränkt: | |
| Wir haben ihm doch die Möglichkeit gegeben, ein Fußball-Weltstar zu werden. | |
| Warum ist der denn nicht dankbar? | |
| Schuldet Deutschland seinen Migrant_innen Dankbarkeit? | |
| Ganz klar: Ja. Meine Eltern und die vieler anderer haben sich | |
| kaputtgeschuftet für kleines Geld. Unser Sozialstaat wäre ohne Migration | |
| nicht denkbar. Ich fände es gut, wenn es das politische Signal gäbe: | |
| Migration gehört zu uns, und wir sind dankbar für das, was Migranten | |
| leisten. Ich will ein einziges Mal hören, dass meine Eltern nicht nur ein | |
| Problem sind. Sondern dass sie dieses Land mit aufgebaut haben. | |
| 14 Mar 2019 | |
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| Dinah Riese | |
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