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# taz.de -- Deutsche Identität aus britischer Sicht: „Deutsche sind direkter…
> Ein Gespräch mit der Studentin Robyn Bellinger aus Cambridge. Sie war für
> ein Auslandsjahr an einer Europaschule in Waltrop in Nordrhein-Westfalen.
Bild: Deutsche Identität – mehr als nur Gänsebraten?
taz: Frau Bellinger, was bedeutet deutsche Identität für Sie?
Robyn Bellinger: Während meines Auslandsjahrs begegnete ich der
[1][deutschen Identität] auf vielen Ebenen. Auch wenn Deutschland meinem
Heimatland Großbritannien sehr ähnlich ist, gab es doch immer noch einen
Kulturschock. Es wird gesagt, dass Deutsche direkter als Briten seien, und
das stimmt tatsächlich. Deutsche sagten mir immer die Wahrheit, auch wenn
sie mir manchmal missfiel. Das Vorurteil, [2][dass Deutsche pünktlich
seien], war auch nicht falsch. Mich schockierte nur, dass das für die
öffentlichen Verkehrsmittel nicht zutrifft. Es gab auch viele Dinge, mit
denen ich nicht gerechnet hatte. Zum Beispiel wurde ich, egal wo ich war,
immer herzlich empfangen. Deutsche sind nicht für ihre Gastfreundlichkeit
bekannt, aber meines Erachtens sollten sie es sein.
Verstehen sich die Deutschen heute als Europäer?
Es war interessant, zu sehen, wie Deutsche sich als Europäer
identifizieren. Ich war an einer Europaschule – der Städtischen Realschule
Waltrop – tätig, und da sah ich, wie einige Deutsche ihre deutsche und
[3][europäische Identität] miteinander verknüpften. Das war echt
beeindruckend zu sehen, wie begeistert sowohl die Lehrkräfte als auch die
Schüler waren. Sie nahmen an verschiedenen multikulturellen Veranstaltungen
teil und waren immer dazu bereit, mir zu helfen, mit den kulturellen
Unterschieden zurechtzukommen.
Gibt es [4][in Zeiten von Multikulti] eigentlich noch den typischen
Deutschen?
Es kommt darauf an, was man damit ausdrücken will. Es gibt natürlich das
Vorurteil, dass Deutsche zum Beispiel Lederhosen tragen und Bier trinken,
und auch wenn es nicht eine Faustregel ist, steckt doch ein bisschen
Wahrheit dahinter. Andersherum gibt es so viel Vielfalt, dass es schwer
ist, „typisch deutsch“ zu beschreiben. Was typisch ist, kann von Stadt zu
Stadt anders sein, also kann man nichts Genaues darüber sagen.
Was ist der Identitätsunterschied von jungen und älteren Deutschen?
Aus meiner Erfahrung ist es nicht nur in Deutschland, sondern auch in
anderen Ländern der Fall, dass sich viele Jugendliche zuerst als „Europäer�…
statt als „Deutsche“, „Briten“ und so weiter identifizieren. Mit
Billigflügen und der Möglichkeit, online zu chatten, wird es immer
einfacher, mit dem Ausland in Verbindung zu stehen. Bei älteren Leuten ist
das weniger der Fall, und es ist wahrscheinlicher, dass sie ihrer
nationalen Identität statt der europäischen den Vorrang geben.
Muss man Deutsche(r) sein, um sich als Deutsche(r) zu fühlen?
Ich habe schon immer versucht, pünktlich zu sein, aber seitdem ich in
Deutschland gelebt habe, versuche ich, fünf Minuten früher anzukommen. Ich
versuche auch, direkter zu sein. In Großbritannien könnte das als unhöflich
interpretiert werden, aber es kommt immer auf den Kontext an. Man muss
selber abwägen, ob es in einer bestimmten Situation angemessen ist, direkt
zu sein. Das hat aber nichts mit Deutschland oder Großbritannien zu tun.
Das ist überall gleich. Letztendlich haben wir nur ein Leben, und wir
sollten daraus machen, was wir wollen. Wenn man sich auch als Deutscher
identifizieren will, obwohl man keinen deutschen Reisepass hat, warum denn
nicht? Es ist auch eine Ehre, dass das Land so sehr geschätzt wird, dass
man dazugehören will. Es bringt auch viele Vorteile für das Land selbst;
Vielfalt ist eine wichtige Bereicherung und das ist sehr wichtig
heutzutage, wo Unterschiede häufiger als Problem gesehen werden statt als
einen Vorteil.
In Zeiten des Brexits wird England immer mehr Zielscheibe von Satire und
Hohn aus Deutschland. Glauben Sie dass diese Einstellung gegen anderer
Länder ein Teil der deutschen Identität ist?
Es hat nichts mit Brexit zu tun. Es ist immer der Fall, dass Leute Witze
über andere machen. Damals (im Steinzeitalter zum Beispiel) haben wir
Menschen Gruppen gegründet, um sicherer zu sein. Es ist normal, dass
Gruppen über andere Gruppen Witze machen. Deswegen ist es kein Teil der
deutschen Identität, sondern ein Teil des Menschseins. Ich denke aber, dass
Deutsche ein bisschen vorsichtiger sind, wenn sie Witze machen. Einige
Gräueltaten in der Vergangenheit Deutschlands führen dazu, dass einige
Deutsche Schuldgefühle haben, wenn es um andere Länder geht. Dennoch gehört
es zur Meinungsfreiheit, das man über alles reden kann, was man will. Dabei
muss man in Kauf nehmen, dass das durchaus auch andersrum möglich ist.
18 Apr 2019
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## AUTOREN
Jan Fell
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