| # taz.de -- Historiker über Kleingärten: „Ein Stück Heimat in der Ferne“ | |
| > Der Hamburger Historiker Hartwig Stein schrieb seine Doktorarbeit über | |
| > Kleingärten. Deren Bedeutung hat sich im Lauf der Zeit enorm gewandelt. | |
| Bild: Vorbildlich: Mustergarten des Landesbundes der Gartenfreunde in Hamburg | |
| taz: Herr Stein, ich sehe, Ihr Haus hat einen Garten. Haben Sie zusätzlich | |
| noch einen Kleingarten? | |
| Hartwig Stein: Nein. Wer einen Hausgarten hat, der braucht in der Regel | |
| auch keinen Kleingarten. | |
| Aber Sie hatten mal einen? | |
| Nein. | |
| Woher kommt dann Ihr Interesse für Kleingärten? | |
| Das hatte mit meiner Wohnsituation gar nichts zu tun. Meine Tante Gertrud | |
| hat mich per Zufall auf das Thema gestoßen. Sie ist nämlich in einem | |
| Kleingarten in Winterhude groß geworden, den gibt es heute | |
| selbstverständlich nicht mehr. Meine Tante hat mir einige Bilder gezeigt, | |
| die haben mich sehr fasziniert. Und wie das dann manchmal so ist: Plötzlich | |
| habe ich überall nur noch Kleingärten gesehen. | |
| Und gleich darüber promoviert. | |
| Ich hatte gerade mein Examen gemacht und überlegt, eine Dissertation zu | |
| schreiben. Und als ich meinem Doktorvater von den Kleingärten erzählte, | |
| fand er das sofort spannend, und sagte, es habe damals einen Reichsverband | |
| gegeben und der habe bestimmt auch viel publiziert. Damit war das Thema | |
| dann gefunden. | |
| Also haben Sie eine historische Dissertation geschrieben. | |
| Richtig, sie setzt im Spätabsolutismus an und hört mit dem Ende des zweiten | |
| Weltkriegs auf. An irgendeinem Punkt muss man ja leider aufhören, das Ding | |
| ist auch so schon dick genug. | |
| Geht die Entstehung von Kleingärten auf den Spätabsolutismus zurück? | |
| Grob gesagt ist das die Zeit, ja. Nach dem Ende der französischen | |
| Revolutionskriege, also um 1815, begann man darüber nachzudenken, wie man | |
| der aufkommenden Armut, dem Pauperismus, abhelfen könnte, ohne den Menschen | |
| einfach Geld in die Hand zu drücken. | |
| Also gab man ihnen Land. | |
| Land, Sämereien und Gartengeräte. Wenn man so will, war das natürlich eine | |
| elegante Idee. So konnten sich die Leute gewissermaßen selbst versorgen. Es | |
| war eine Hilfe zur Selbsthilfe. Die Idee ist aber gescheitert und die | |
| Armengärten sind irgendwann verschwunden. | |
| Warum? | |
| Es waren einfach nicht genug finanzielle Mittel und nicht genug Ausrüstung | |
| da, um die Leute langfristig in den Gärten zu halten. Deshalb wurden die | |
| Armengärten wieder aufgegeben. | |
| Wann entstanden dann die Kleingärten, wie wir sie heute kennen? | |
| Die modernen Kleingärten entstanden im Zuge der Industrialisierung und | |
| Großstadtbildung. Da gab es ja eine Landflucht. Und die Menschen, die vom | |
| Land in die Stadt kamen, brachten ihre Idee vom Gartenbau mit. Sie wollten | |
| das, was sie von zu Hause kannten, in den Städten in Pachtgärten | |
| wiederbeleben. Sie haben sozusagen ein Stück Heimat mit in die Fremde | |
| gebracht. | |
| Also haben die modernen Kleingärten einen ganz anderen Zweck als zuvor? | |
| Ja, es gab da einen Bruch. Aber es war immer noch dieselbe | |
| Bevölkerungsgruppe, die diese Kleingärten betrieb. | |
| Und zwar? | |
| Früher sagte man: Das sind die kleinen Leute. Hauptsächlich waren das | |
| Arbeiter, die sechs Tage in der Woche malochten und in den Mietskasernen | |
| wohnten. Abends und am Sonntag gingen sie dann in ihre Laubengärten. Die | |
| Parzellen wurden damals auch immer als die grünen Zimmer der Mietskasernen | |
| bezeichnet. | |
| Warum zogen die Menschen denn nicht in ihre Lauben, wenn es dort so schön | |
| war? | |
| Offiziell war das Wohnen in den Gärten verboten. Es gab keine Kanalisation | |
| und keine Wasserversorgung. Das Verbot hatte also hauptsächlich hygienische | |
| Gründe. | |
| Aber es wohnten doch auch mal Menschen in Kleingärten. | |
| Das ist richtig. In Krisenzeiten wurden die Gärten zu Ausweichquartieren. | |
| Als im Zuge der Weltwirtschaftskrise die Arbeitslosenzahlen stiegen, | |
| kündigten viele ihre Wohnungen oder wurden gekündigt und zogen in ihre | |
| Lauben, wenn sie welche hatten. Das gleiche gilt für den zweiten Weltkrieg, | |
| als in Hamburg ja etwa 50 Prozent des Wohnungsbestandes zerstört wurden. | |
| Heute ist es wieder verboten, in den Gärten zu wohnen. | |
| Genau. Das Recht eine Laube zu bewohnen, verfällt mit dem Tod der | |
| Rechteinhaber. Dementsprechend ist es heute ein exotischer Rest, der noch | |
| in den Kleingärten lebt. | |
| Gibt es Kleingärten eigentlich nur in großen Städten? | |
| Nein. Es gibt zwar keine genauen Zahlen, aber Kleingärten gibt es fast | |
| überall: natürlich nicht unbedingt in Bauerndörfern, aber durchaus schon in | |
| kleineren Städten. Es gibt sogar auf dem Oberland auf Helgoland eine | |
| Kleingartenkolonie. | |
| Und wer hat heute einen Kleingarten? | |
| Ich würde sagen, weit über 90 Prozent der Kleingarten-Pächter wohnen in | |
| mehrstöckigen Mehrfamilienhäusern und haben keine zugewiesene Grünfläche, | |
| also beispielsweise einen Garten. Und wenn sie es nicht vorziehen, mit dem | |
| Flugzeug in die Dominikanische Republik zu fliegen oder an der Ostsee zu | |
| campen, dann sind sie prädestiniert, sich einen Kleingarten zu pachten. | |
| Eine Studie der Hamburger Umweltbehörde hat ergeben, dass die Nutzer*innen | |
| immer jünger und gebildeter werden. | |
| Das nehme ich auch so wahr. Ende des vergangenen Jahrhunderts gab es eine | |
| starke Überalterung der Kolonien. Das zeigt, wie stark die Bindekraft | |
| dieser Kolonien ist. Aber irgendwann gab es einen Wandel. Seitdem spricht | |
| man von der neuen Generation Garten. | |
| Was zeichnet die aus? | |
| Diese neue Generation ist jung, hat in der Regel Kinder, wohnt in einem | |
| Mehrfamilienhaus und ist deutlich gebildeter als die Vorgänger. | |
| Und auch wohlhabender? | |
| Nicht unbedingt. Junge Familien, auch wenn die Eltern Akademiker sind, | |
| haben nicht wahnsinnig viel Geld. Die Pachten für die Kleingärten sind auch | |
| wirklich niedrig. Das einzige, was schwierig werden kann, ist der zu | |
| zahlende Abstand für eine Laube. | |
| Der kann schon mal bei mehreren Tausend Euro liegen, oder? | |
| Mag sein. Die Kleingärten von heute haben jedenfalls höhere Standards als | |
| die Kleingärten in der Weimarer Republik. Wenn sie durch einige Kolonien | |
| gehen, stehen da Hütten vom Allerfeinsten. | |
| Wird ein bestimmtes Klientel dadurch aus den Gärten verdrängt? | |
| Natürlich ist es eine Form der Verdrängung, wenn die Abstände für den | |
| Erwerb einer Parzelle so hoch sind, dass sich das immer weniger Leute | |
| leisten können. Die Wohlstandsentwicklung der Gesellschaft hat auch nicht | |
| vor den Kleingärten Halt gemacht. Die wirklich armen Menschen haben | |
| eigentlich kaum noch eine Chance auf einen Kleingarten. | |
| Könnte man dieses Problem irgendwie lösen? | |
| Es gäbe beispielsweise die Möglichkeit, dass die Vereine den ärmeren | |
| Menschen günstige Kredite geben, die dann sukzessive abbezahlt würden. Das | |
| wurde in der Weimarer Republik lokal probiert. Eine andere Möglichkeit | |
| wäre, bei den Laubenstandards Grenzen zu setzen, um zu verhindern, dass die | |
| Lauben Eigenheimimitate werden. Eigentlich gibt es extra | |
| Schätzungskommissionen der Landesverbände, damit die Leute auch nur das | |
| zahlen, was eine Laube wirklich wert ist. Aber manche Lauben gehen auch | |
| unter der Hand oder über Kleinanzeigen weg, und da handeln die | |
| Interessenten den Preis aus. | |
| Sie sprachen die Kleingartenvereine an. Welche Rolle haben die eigentlich? | |
| Sie sind die Rechts- und Organisationsbasis der Kleingärtner. | |
| Und haben den Ruf, extrem spießig zu sein. | |
| Dieser Spießervorwurf ist sehr alt und wird gebetsmühlenartig wiederholt. | |
| Man sollte aber bedenken: Mieter in einem Mietshaus müssen sich auch an | |
| Regeln halten. Und obwohl mir dieses Haus gehört, kann ich hier auch nicht | |
| einfach eine meterhohe Mauer hochziehen. Mein Nachbar würde auch sofort | |
| klagen, weil ich ihm das Sonnenlicht raube. Wenn Menschen zusammenleben, | |
| müssen sie Kompromisse machen. Natürlich gibt es auch Pedanten, die alle | |
| Regeln überinterpretieren, aber die gibt es überall. | |
| Haben auch Nicht-Pächter*innen etwas davon, dass es Kleingärten gibt? | |
| Im Rahmen der modernen Integration der Kleingärten in die Grünzüge der | |
| Stadt sind kleine Parks, Sitzgruppen und Spielplätze entstanden, die für | |
| Leute zugänglich sind, die keinen Kleingarten haben. In gewisser Weise | |
| leisten die Kleingärtner auch gemeinnützige Arbeit, indem sie dafür sorgen, | |
| dass es Grün in der Stadt gibt. | |
| Haben Kleingärten damit auch eine ökologische Bedeutung für die Stadt? | |
| Die wirklich großen Bäume, die Sauerstoffproduzenten und Staubfänger sind, | |
| die gibt es in Kleingärten höchstens am Rande. Diesen Aspekt kann man also | |
| vergessen. Die Kolonien haben sich seit den 70er-Jahren aber ökologisch | |
| stark umorientiert und mittlerweile ist dort eine große Vielfalt an | |
| Pflanzen und Tieren vorhanden. Das ist natürlich auch im Interesse der | |
| Pächter, wenn sie wollen, dass ihre Kinder wissen, wie ein Frosch aussieht, | |
| oder dass Enten nicht gelb sind und quietschen, wenn sie drauftreten. Man | |
| darf aber nicht vergessen: Kleingärten sind keine Naturschutzgebiete und | |
| können diese auch nicht ersetzen. | |
| Sie müssen auch immer öfter weichen, um Platz für Wohnungen zu machen. | |
| Der Widerspruch zwischen Freifläche und Wohnungsbau ist uralt. Ich habe das | |
| für Hamburg mal ausgerechnet: Der Stadtstaat hat 755 Quadratkilometer | |
| Grundfläche. | |
| Und wie viel davon sind Kleingärten? | |
| 14 Quadratkilometer. Prozentual sind das 1,85 Prozent. Das ist wirklich | |
| nicht die Welt. Es kann keine sinnvolle Entwicklung sein, die Stadt immer | |
| dichter zu bebauen und die Gärten immer weiter nach außen zu verdrängen. | |
| Früher hieß es mal, die Kleingärten müssten zu Fuß erreichbar sein. Das ist | |
| heute schon nicht mehr so. Teilweise ist der Aufwand, um in den Garten zu | |
| kommen, gerade für Familien mit kleinen Kindern, schon enorm. | |
| Wie sollte es Ihrer Meinung nach stattdessen sein? | |
| Ich finde, eine intelligente Stadt ist diversifiziert. Natürlich müssen | |
| keine Kleingärten in der City stehen, das ist absurd. Aber ansonsten sollte | |
| eine Großstadt den Leuten viele unterschiedliche Möglichkeiten geben, ihr | |
| Leben abwechslungsreich zu gestalten. Und da gehören Kleingärten nun mal | |
| dazu. | |
| 2 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Marthe Ruddat | |
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