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# taz.de -- Schrebergärten in Hamburg: Laubenpieper auf dem Rückzug
> In Hamburg sollen Schrebergärten dem Neubau zweier Schulen und Wohnungen
> weichen. Kritiker fürchten um die grünen Flächen der Stadt.
Bild: Soll dem Bau von Schulen Platz machen: Schrebergarten in Altona
Hamburg taz | Noch ist die Gegend vor der Autobahn ein kleines Idyll. Erste
Blumen fangen an zu blühen in den sonst noch recht winterlich kalten Gärten
des Heimatgartenbundes Altona. Eine über 100 Jahre alte Ulme ragt über die
Parzellen, Nieselregen legt sich über das Grün.
Bald könnte diese Oase verschwinden: Weil in Altona Schulen fehlen, sollen
die Grünflächen der Kleingartenanlage II neuen Schulen weichen, einer
Grundschule und einem Gymnasium. Die Kleingärten sollen dafür nach nebenan
auf den Autobahndeckel ziehen, der gerade über die A7 gebaut wird.
Ob der bis dahin fertig ist, ist aber noch sehr die Frage. „Da passt doch
etwas nicht ganz zusammen“, sagt Monika Uhlmann von der Bürgerinitiative
„Apfelbaum braucht Wurzelraum“, die für den Erhalt der Grünflächen in
Altona kämpft. Die Stadt könne doch nicht jetzt erst gemerkt haben, dass
dringend Schulen gebraucht werden.
Monika Uhlmann ist Rentnerin und hat auch einen Garten auf dem Gelände.
Zusammen mit ihrer Mitstreiterin Beate Hufnagel, der Vorsitzenden des
Heimatgartenbundes, führt sie zu einer Parzelle mit Apfelbäumen, die zu den
ältesten der Kleingartenanlage gehört. Die Pächterfamilie gehört zu den
Gründungsmitgliedern des Vereins.
## Hamburg wächst
Ihre Vorfahren haben dort noch alles selbst gebaut: den Geräteschuppen, den
Zaun, die Laube. „Natürlich fehlen in diesem Stadtteil Schulen“, sagt Beate
Hufnagel, die von Beruf Apothekerin ist. Nur seien Flächen, die einmal
bebaut sind, eben bebaut, Grün komme da nicht mehr hin.
Einer von denen, die sich auf Seiten der Stadt mit den Kleingärten
beschäftigen, ist Dirk Kienscherf, in Personalunion Chef der SPD-Fraktion
in der Hamburger Bürgerschaft und deren stadtentwicklungspolitischer
Sprecher. Kienscherf sitzt in einem Sessel mit Blick zum Fenster im dritten
Stock des Hamburger Rathauses und sieht über die Stadt. Hamburg werde immer
größer, sagt er, jährlich zögen 20.000 Menschen in die Hansestadt. „Das i…
die Größe einer Kleinstadt.“
Seit Jahren baut Hamburg darum Wohnungen wie wild. „Wir haben eine
Wohnungsknappheit, die sich in den nächsten Jahren noch vergrößern wird“,
sagt Kienscherf. Aber natürlich sei es auch relevant, Grünflächen im
städtischen Raum zu erhalten. „Ich kann auch verstehen, dass Menschen
möglichst wohnungsnah einen Schrebergarten wollen. Das ist für mich ein
berechtigter Einwand.“ Etwas vage formuliert Kienscherf noch, dass die
Politik gegensteuern müsse.
Im sogenannten „10.000er-Vertrag“ aus dem Jahre 1967, in dem damals 10.000
neue Kleingärten geschaffen wurden, hat sich die Stadt Hamburg
verpflichtet, Ersatzland zur Verfügung zu stellen, wenn die Gärten bebaut
werden sollten. Die Regelung ist immer noch gültig. „Hamburg ist da
beispielhaft“, sagte Dirk Sielmann, Vorsitzender des Landesbundes der
Gartenfreunde. Berlin stehe ohne eine solche Vertragsgrundlage da.
In Hamburg ist der Landesbund der Gartenfreunde ein mächtiger Player: Er
tritt als Hauptpächter der Grünflächen auf, die er an die 311
angeschlossenen Kleingartenvereine weiterverpachtet. Sielmanns Büro liegt
im Stadtteil Ohlsdorf. Dahinter liegen Schaugärten seines Verbandes, in
denen man gern Fotos machen darf. Ordentlich und aufgeräumt sieht es dort
aus. Ein Mitarbeiter betreut sie und zeigt sie Leuten, die noch keinen
Schrebergarten haben, aber sich dafür interessieren.
## Rebellen im Kleingarten
Sielmann ist SPD-Mitglied, Kritiker unter den Kleingärtnern werfen ihm vor,
die Wohnungsbau-Politik des Senats zu unterstützen. „Das ist Quatsch“,
wehrt Sielmann den Vorwurf ab. Er betreibe eine Form der Lobbyarbeit, aber
das durchaus im Sinne des Landesgartenbundes. Seine SPD-Mitgliedschaft
helfe ihm, die Arbeit so gut wie möglich zu machen und Kompromisse zu
finden.
Einer der lautesten Kritiker von Sielmann und dessen Gartenfreunden ist
Benny Rimmler, Vorsitzender des Vereins „Schreberrebellen“, in dem sich der
Widerstand gegen die offizielle Hamburger Schrebergarten-Politik
konzentriert. „Mehr Menschen brauchen mehr Grün und nicht umgekehrt“, sagt
Rimmler. Grund und Boden der Kleingartenanlagen sei im städtischen Besitz.
Wenn die Flächen nun als Baugrund an private Unternehmen verkauft würden,
sei das eine Privatisierungskampagne.
Ein Ort, an dem es schon zu spät ist, liegt in Barmbek an der
Saarlandstraße. Wo einst Kleingärten waren, rücken jetzt schicke Wohnblöcke
vor bis direkt an den Kanal. Nur noch vereinzelt stehen hier Bäume,
ansonsten werden die farblichen Highlights von den vielen parkenden Autos
gesetzt.
Rimmler versteht nicht, warum so viele Vereine die Politik der
Landesgartenfreunde und der Stadt hinnehmen. Dadurch, dass die
Landesgartenfreunde Flächen von der Stadt Hamburg pachten und als
Zwischenpächter für die angeschlossenen Gartenvereine agieren, sind sie in
einer Doppelrolle. Das sei falsch. „So wurden in den letzten Jahren immer
mehr Vereine für Bauvorhaben der Stadt geräumt, ohne dass darüber ein
Diskurs geführt worden ist oder wird.“
Unterstützung bekommt Rimmler von der Linkspartei. Es habe weder ein
wirklicher Austausch noch eine Einbeziehung der PächterInnen stattgefunden,
sagt Stephan Jersch, der umweltpolitischer Sprecher in der Bürgerschaft.
Der Landesbund habe sich zwar an die Vorstände der einzelnen Vereine
gewandt, eine wirkliche Mitgliederbeteiligung sehe aber anders aus. „Ein
demokratischer Prozess ist das nicht“, findet Jersch.
## Gärten werden verkleinert
„Alles in allem führen wir mit den Vereinen einen konstruktiven Austausch“,
sagt dagegen der Landesbund-Vorsitzende Sielmann. „In meinen Augen wird
hier von Gegensätzen gesprochen, die es nicht gibt.“ Auch ihm sei wichtig,
die Kleingärten zu erhalten. Das müsste schon aufgrund der Artenvielfalt
geschehen: Bis zu 2.000 verschiedene Arten fänden sich in einem
Kleingarten, in Parks seien es nur bis zu 150.
Auch SPD-Mann Dirk Kienscherf bewertet die Zusammenarbeit zwischen den
Kleingärten und der Politik als gut. In Wilhelmsburg zum Beispiel habe man
mit den KleingärtnerInnen eine Lösung gefunden: Die Schrebergärten werden
jetzt verkleinert, aber es werde die gleiche Anzahl neuer Parzellen
angelegt. Nach einigen Protesten habe die Stadt sogar angeboten, dass
MieterInnen eine neue Parzelle für fünf Jahre kostenfrei pachten können.
Tatsächlich steht es so auch im 10.000er-Vertrag zwischen der Stadt und den
Kleingärtnern, der alle fünf Jahre neu verhandelt wird: dass im Falle der
Kündigung je geräumter Parzelle eine im Durchschnitt 300 Quadratmeter große
Ersatzparzelle durch die Stadt hergerichtet werden muss. Viele Parzellen in
Hamburgs Kleingärten sind allerdings eher 1.000 Quadratmeter groß.
Genau darin besteht in den Augen der Schreberrebellen das Problem.
„Bestehende Gärten werden geteilt und die Anzahl der Parzellen nur ungefähr
erhalten, während die Gesamtfläche stetig verkleinert wird“, kritisiert
Benjamin Rimmler. Der Stadt wirft er vor, Kleingärtner systematisch unter
Druck zu setzen, um ihre Flächen für den Wohnungsbau frei zu bekommen. „Mir
fehlt“, sagt Rimmler, „die Debatte, wie wir alle in Hamburg leben wollen.“
Mehr über Schrebergärten in Zeiten des Klimawandels lesen Sie in der
Wochenendausgabe der taz nord oder am [1][E-Kiosk.]
29 Mar 2019
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## AUTOREN
Ann-Kathrin Just
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