# taz.de -- Kolumne Habibitus: Die Täter-Opfer-Umkehr der Almans | |
> Wenn ich Menschen kritisiere, dass sie einen diskriminieren, fühlen sie | |
> sich als Opfer. Als hätte man etwas Unerhörtes unterstellt. | |
Bild: Wenn Almans Neugierde und Rassismus verwechseln | |
Es fängt an mit einem [1][„Wo kommst du eigentlich her?“]. Manchmal ist es | |
ein „Du sprichst aber gut Deutsch“ oder auch ein „Mit 15 Kilo weniger | |
würdest du so gut aussehen“. Ein anderes Mal ist es ein als Kompliment | |
gemeintes „Es ist so mutig, dass du einfach dein Ding durchziehst“ – | |
unklar, worauf genau es bezogen ist. Fühle ich mich in diesen Momenten als | |
Opfer? Auf keinen Fall. Wenn, dann sind die Ursulas und Renates, die diese | |
ungebetenen Kommentare von sich geben, Opfer. Zumindest verhalten sie sich | |
so. | |
Wenn ich die Energie habe, fronte ich sie und weise nett darauf hin, dass | |
ihre Fragen, Tipps und das „Lob“ unangebracht bis übergriffig sind. Zumal | |
ich Ursula und Renate meist nicht mal persönlich kenne. Oft spare ich mir | |
den Aufwand, weil ich weiß, was für ein Rattenschwanz an emotionaler Arbeit | |
wie Trösten eine solche Kritik mit sich zieht. Wenn ich großzügig bin, gebe | |
ich den Leuten noch etwas Kontext dazu: dass es rassistisch ist, mich zu | |
fragen, woher ich komme, und sich nicht mal mit meiner norddeutschen | |
Geburtsstadt zufrieden zu geben. [2][Dass es dickenfeindlich ist,] | |
ungefragte Selbstoptimierungstipps zu geben. Und so weiter. | |
Zu diesem Zeitpunkt müsste logischerweise eine Entschuldigung eintreten. So | |
zumindest wäre der Gesprächsverlauf zwischen Menschen, die sich gegenseitig | |
respektieren. Weil diese Menschen jedoch entweder unlogisch oder respektlos | |
sind, tritt ein Plot-Twist ein (nicht wirklich; es ist mittlerweile | |
Routine): Sie werden sauer. Manchmal werden sie vorher noch defensiv, | |
wehren ab, suchen nach einer Legitimation dafür, warum es scheinbar völlig | |
normale, menschliche Neugierde sei, Leute nach der Herkunft ihrer Eltern | |
oder Großeltern zu fragen, weil sie nicht aussehen oder heißen wie die 98 | |
anderen Leute aus ihrem Dorf (und nicht etwa Rassismus). | |
## Inszenierung als Opfer | |
Aber auch nach diesen Erklärungen, die von der Fantasie und der Naivität | |
eher an Grimms Märchen erinnern, tritt die Wut ein. Wie man ihnen denn so | |
etwas Unerhörtes unterstellen könnte. (Just like that.) Dass sie aus den | |
und den Gründen gar nicht so und so sein könnten. (Scheinbar können sie es | |
ja doch, und zwar sehr gut.) Dass man ja heutzutage gar nichts mehr sagen | |
dürfe. (Doch, haben sie doch gerade getan.) | |
Was mich an diesem vorhersehbaren Plot am meisten verblüfft, ist eigentlich | |
Folgendes: Ich habe sie dafür kritisiert, etwas Diskriminierendes gesagt zu | |
haben, und das in einem sehr gelassenen und wohlwollenden Ton. Ich könnte | |
angepisst sein, bin es aber nicht. Sie schon. Und wie! Ich bin die Person, | |
die (wenn auch nicht immer mit Absicht) angegriffen wurde, aber Ursula und | |
Renate sind die Wütenden. Die Opfer. Ist zwar irgendwie absurd, aber sie | |
sind auch Almans, und Deutschland ist ein Meister in | |
[3][Täter-Opfer-Umkehr.] Opfer-Abos unterstellen Almans aber trotzdem | |
denjenigen, die sich gegen Aggressionen wehren. Komisch. | |
8 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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