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# taz.de -- Kolumne Habibitus: Eine Kirche namens Eurozentrismus
> Notre-Dame brennt – und das macht die Menschen nicht besser. Kriege und
> Klimawandel gehen weiter. Vielleicht mal die Kirche im Dorf lassen.
Bild: Die berühmte Umayyaden-Moschee in Aleppo, Syrien 2017
Als die [1][Notre-Dame in Flammen] stand, empfand ich nichts. Das mag
herzlos klingen, aber ich sage es ganz offen: Keine einzige Emotion habe
ich verspürt. Es ist nicht einmal so, als ob ich selbst nie in Paris oder
in der Kathedrale gewesen wäre – es ist ewig her, aber ich war dort und
habe sogar eine dieser weißen Kerzen angezündet – oder dass ich
gleichgültig reagiere, weil ich nicht christlich sozialisiert bin.
Ich kann generell Kirchen nichts abgewinnen. Während meine Mutter vor jeder
eindrucksvollen Kathedrale, an der sie je vorbeigelaufen ist, zig Fotos
haben will, bin ich höchstens die Person, die genervt den Auslöser der
Kamera betätigt.
Deswegen hat mich der Schock und die Trauer, die alle großzügig auf Social
Media teilten, eher gelangweilt. Die ersten Spezis verkündeten daraufhin
ihre hohlen Thesen, dass die Empörung über antisemitische und rassistische
Anschläge auf Synagogen und Moscheen dann ja auch unangebracht seien. Der
Vergleich zwischen einem Gebäudebrand und eine Form der Hasskriminalität,
die besonders hier in Deutschland eigentlich „nie wieder“ passieren sollte,
ist geschichtsrevidierend und geschmacklos.
Was hat die Notre-Dame je für euch getan, fragte ich mich. Selbst eine
religionskritische Linke, die es sonst selten hinbekommt, über Anschläge
auf Moscheen zu sprechen, ohne in anti-muslimischen Rassismus auszuufern,
verfiel in Trauer. Innerhalb von einem Tag kamen international
Spendenzusagen im Wert von [2][über eine Millarde Euro zusammen]. Und alle
schwafeln von Europas Herz. Wo war Europas Herz, als tausende Menschen
jährlich im Mittelmeer ertranken?
## Zerstörung überall
Während die Welt über die Notre-Dame trauert, zerstört Trump aktiv auf der
anderen Seite des Atlantiks durch das Verlegen von Pipelines Gebiete von
Nordamerikas indigenen Bevölkerung. Der [3][Chaco Canyon] ist nicht weniger
alt oder heilig als die französische Kathedrale, auch er wurde von der
UNESCO zum Weltkulturerben erklärt. Juckt trotzdem kaum jemanden hier.
[4][Durch den vorantreibenden Klimawandel] wird in Zukunft alles mögliche
zerstört, was für uns Kultur, Natur, Geschichte oder einfach persönliche
Erinnerungen symbolisiert. Manches wird verbrennen, anderes überflutet
sein, vielleicht wird ein Ort auch von so schlechter Luft durchzogen sein,
dass sein Betreten tödliche Folgen haben kann. 750 Mio. Euro zur
Herstellung von Klimagerechtigkeit habe ich leider nirgendwo gesehen –
weder auf Pump, noch auf Spendenbasis.
Für die einen ist die Notre-Dame historisch und architektonisch
beeindruckend, für die anderen schlichtweg ein heiliger Ort. Dies traf auch
auf viele Gebäude zu, die in Syrien oder im Irak durch Kriege zerstört
wurden: Können Sie auch nur ein einziges dieser kulturellen Erben beim
Namen nennen, von denen heute nur noch Ruinen bleiben? Nein? Dann lassen
Sie doch bei der Notre-Dame auch die Kirche im Dorf.
20 Apr 2019
## LINKS
[1] /Brand-in-der-Kathedrale-Notre-Dame/!5585294
[2] /Nach-Brand-in-Notre-Dame/!5586980
[3] https://newsmaven.io/indiancountrytoday/news/shock-and-dismay-for-notre-dam…
[4] /Kommentar-Brand-in-Paris/!5586731
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
## TAGS
Notre-Dame
Schwerpunkt Klimawandel
Aleppo
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