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# taz.de -- Rapper über Lyrik, Musik und Repression: „Rumi war meine Inspira…
> Der Rapper Säye Skye war einer der ersten, der im Iran öffentlich über
> Queerness sprach. 2010, nach der grünen Bewegung, musste er fliehen.
Bild: „Meine Familie wusste nicht, dass ich in der grünen Bewegung aktiv war…
Ihre erste Single „Säye Yek Zane Irani“ (zu Deutsch: Schatten einer
iranischen Frau) kam 2009 auf den Markt, darin behandeln Sie auch Ihr
[1][Queersein]. Was ist nach der Veröffentlichung passiert, Herr Skye?
Säye Skye: Nachdem der TV-Sender Voice of America ein Interview mit mir
ausstrahlte, erreichten mich über 2.000 Mails. Ich war die erste queere
Person, die im Iran als solche so öffentlich zu Wort kam. Mir schrieben
Menschen aus vielen ländlichen Gegenden im Iran und auch aus der iranischen
Diaspora lange Briefe. Sie waren sehr persönlich, manche erzählten mir
sogar, dass meine Musik sie vom Suizid abgehalten hat. Es steckt so viel
Widerstandsfähigkeit in diesen Geschichten. Bis heute schreiben mich queere
Iraner_innen auf Instagram an, obwohl ich die letzten zehn Jahre wenig
aktiv war.
Eine junge Person schrieb mir, dass sie ihrer Mutter meinen Song
vorspielte, aus dem Haus ging und sie dann anrief um zu sagen: „Mama, der
Song handelt von mir. Darf ich nach Hause kommen?“ Sie outen sich mithilfe
meiner Musik bei ihren Eltern. Ich war nicht darauf vorbereitet, in so eine
Vorbildposition zu kommen. Das zeigt auch: Egal, wie sehr uns der iranische
Staat mit Repressionen bedroht, wir hören nicht auf zu existieren. Diese
Geschichten zeigen mir, dass meine Arbeit doch Einfluss hat und dass es
sich zu kämpfen lohnt. Die Welt ist zu groß für Kategorien. Das habe ich
vom Dichter Rumi (einer der bedeutendsten persischsprachigen Dichter des
Mittelalters, Anm. d. Red.) gelernt. Es geht nicht um mich oder Sie – es
geht um etwas viel Größeres.
Schon mit 13 Jahren haben Sie angefangen, Gedichte und Lieder zu schreiben.
War Rumi auch damals schon Ihr Vorbild?
Ja, Rumi war meine Inspiration. Mein Großvater war ein Dichter, er hat mir
schon im Kindesalter sein Werk gezeigt. Bevor ich lesen oder schreiben
konnte, lernte ich also diese Gedichte auswendig. Unsere Familientradition
zum Neujahrsfest war es immer, mich als Kind in die Mitte der Runde zu
setzen und Rumi-Verse mit Seitenzahlen abzufragen. Hardcore-persian style
(lacht).
Rumi spricht über ein besonderes Level an Liebe, Achtsamkeit und
Spiritualität – diesen Zugang habe ich sonst nirgendwo finden können. Wir
leben in einer Welt voller Einschränkungen und Vorschriften. Rumi steht
über all diesem. Ich habe im Alter von sieben Jahren mein erstes Gedicht
geschrieben. Seitdem wurde das Schreiben für mich ein Ventil für meine
Gedanken und eine Überlebensstrategie.
Es wird Rumi ja auch nachgesagt, queer gewesen zu sein. War Ihnen das
damals bewusst?
Dass er queer ist, wusste ich als Kind nicht, aber ich habe mich mit Rumi
immer stark verbunden gefühlt. Die Beziehung zwischen Rumi und Schams (ein
persischer Mystiker des 12. und 13. Jahrhunderts, Anm. d. Red.) kam mir
schon damals sehr besonders vor. Sie sind zusammen überall hingegangen und
sie schrieben sich gegenseitig diese wunderschönen Gedichte.
Irgendwann kamen Sie dann von der Lyrik zur Rapmusik.
Rap ist Lyrik – selbst wenn das Umfeld, das Publikum und die Haltung sich
vielleicht stark vom klassischen Literaturmilieu unterscheiden. Als ich 14
war, gewann ich in Teheran einen Literaturpreis für Lyrik. Danach kamen die
Zeitungen Hamshahri und Keyhan auf mich zu, ich wurde bei ihnen Kolumnist.
Die Texte handelten von den Herausforderungen und Problemen der Jugend. Es
kristallisierte sich jedoch schnell heraus, dass meine Gedanken zensiert
wurden, es ging um die Beziehungen zwischen Jungs und Mädchen. Das galt als
Tabu. Als sie meine Texte ohne Rücksprache änderten, entschied ich mich
dagegen, weiterhin dort zu publizieren. Das Bedürfnis aber, über all diese
Themen zu schreiben, blieb.
Wie ging es weiter?
Wenn ich mit Freund_innen zusammenkam, baten mich die Gäste oft, meine
Texte zu performen. Wir bauten zueinander eine Verbindung auf. So fing das
an. Rap als mögliche Plattform habe ich anfangs gar nicht in Betracht
gezogen. Eines Tages stellten Freund_innen von mir mich einer Gruppe Rapper
für eine Zusammenarbeit vor. Sie waren schrecklich. Ich ließ sie nicht
einmal meinen Namen auf den Song setzen, er war total sexistisch. Auf diese
Art konnte ich jedoch in der Studioindustrie Fuß fassen. Es ist eine
Underground-Industrie, der Zugang ist nicht besonders leicht.
Ich musste viel dafür arbeiten, um meine ersten drei Songs im Iran
aufnehmen zu können. Viele Studios lehnten mich ab, weil meine Musik von
Lesben und trans*Personen handelte. Irgendwann lernte ich jemanden kennen,
der mich in seinem Studio aufnehmen ließ. Die Bedingung war, dass ich
niemandem von der Zusammenarbeit erzählte und nach Mitternacht dorthin kam.
Das war die einzige Möglichkeit für mich. Ich sagte dem Produzenten, dass
ich mir einen futuristischen Klang wünsche – denn die Vergangenheit wurde
uns genommen, Geschichtsbücher werden umgeschrieben und Tatsachen
vertuscht. In der Zukunft liegt die Hoffnung.
Im Iran sind homosexuelle Handlungen strafbar, Queerness wird tabuisiert.
Wie kamen Sie trotz zensiertem Internet an queere Inhalte ran?
Einerseits über Server im Ausland, andererseits bestellte ich bei
Raubkopie-DVD-Händlern auf den Straßen queere Filme wie „Boys don’t cry�…
Ich war in Internetcafés, die früher nicht so krass überwacht waren wie
heute. Ich las mich durch LGBTQ-Nachrichtenseiten, schaute die
US-amerikanische Ellen DeGeneres-Show.
Mit welcher Musik Sind Sie aufgewachsen?
Ich bin mit Popsongs aus den 1980ern aufgewachsen. Der Rap, den ich aus dem
Satellitenfernsehen kannte, sprach mich inhaltlich nicht an. Die Typen
wirkten lässig, aber es war mir zu Mainstream. Die Texte hatten keine
Botschaft. Als ich selber anfing zu rappen, merkte ich, dass mein Flow sehr
schnell ist. Obwohl ich seine Texte schwierig finde, orientierte ich mich
ein bisschen an Eminem.
Ich beobachtete genau, wie er die Wörter anordnete. Das inspirierte mich,
mein eigenes Ding zu machen. Inhaltlich inspirieren mich die Nachrichten.
Ich bin nicht nur Künstler, sondern auch Menschenrechtsaktivist. Mir geht
es nicht um den Ruhm oder den Erfolg, sondern in erster Linie um meine
Botschaft. Ich bin ein Storyteller.
Das hört man aus Ihren Songs heraus. Hatten Sie vor Ihrer ersten
Veröffentlichung Angst davor, Ihre Familie in Gefahr zu bringen?
Da ich auf dem Coverbild unkenntlich war, dachte ich nicht, dass man mich
hätte identifizieren können. Ich war auch Teil der regimekritischen Grünen
Bewegung im Jahr 2009, die blutig niedergeschlagen wurde. Inmitten dieser
Aufstände veröffentlichte ich meine erste Single. Im Land war zu dem
Zeitpunkt so viel los, dass ich dachte, die Autoritäten seien zu
beschäftigt damit, Protestierende zu verfolgen, als meinen Song zu hören.
Aber da lag ich falsch, denn ich wurde zu dem Zeitpunkt bereits sechs
Monate lang abgehört. Zu dem Zeitpunkt hatte sich noch nie jemand
öffentlich im Iran als queer geoutet. Besonders wenn es wie in meinem Fall
eine konservative Familie ist. Meine Familie wusste weder, dass ich in der
Grünen Bewegung aktiv war, noch, dass ich über Queerness rappe.
2010 mussten Sie dann ins [2][Exil in die Türkei] fliehen, später zogen Sie
nach Kanada. Aktuell sind Sie in Berlin. Bekommen Sie noch etwas von Queers
im Iran mit?
Definitiv. Meine Freund_innen leben dort weiterhin, sie sind politisch
aktiv, organisieren sich unter anderem in der Frauenbewegung „Die Töchter
der Revolutionsstraße“. Zwei Fans von mir, ein lesbisches Pärchen,
protestierten in Teheran, indem die beiden auf der Straße ihre weißen
Kopftücher abnahmen. Dabei wurden sie von der Polizei erwischt und mussten
wegrennen. Eine von ihnen wurde verhaftet, die andere schrieb mir auf
Instagram und erzählte mir, was passiert ist, damit die Infos nach außen
gelangen. Auf Instagram laden queere Leute Fotos davon hoch, wie sie auf
der Straße Händchenhalten.
Ob im Verborgenen oder trotz aller Risiken in der Öffentlichkeit: Iranische
Queers hören nicht auf, ihre Wahrheiten zu leben und sie sind dabei
ziemlich furchtlos. Viele von ihnen haben keine Lust mehr darauf zu
verstecken, wer sie sind. Und einige von ihnen haben sogar eine Familie,
die hinter ihnen steht. Ich freue mich für sie. Was mich angeht: Ich musste
alles, was ich habe, aufgeben und fliehen. Das ist die Realität von
Menschen im Exil. Ein Teil der Stigmatisierung von Queers im Iran ist der
Verbreitung von Fake News geschuldet. Neben der Propaganda, die von der
Regierung verbreitet wird, gibt es auch Fehlinformationen innerhalb der
LGBTQ-Community, weil dort einfach die Ressourcen fehlen. Es gibt ja nur
einen erschwerten Zugang zu den richtigen Informationen.
Obwohl Sie schon seit neun Jahren nicht mehr im Iran leben, machen Sie Ihre
Musik trotzdem auf Persisch.
Das ist nun mal die Sprache, auf der ich mich am besten ausdrücken kann.
Indem ich auf Persisch über LGBTQ-Rechte spreche, bleiben die Infos für
jene zugänglich, die vielleicht keinen queeren englischen Rap verstehen. Es
ist einfach unmittelbarer. Und ich freue mich schon auf den Tag, an dem wir
alle zusammen auf der Teheran Pride feiern können.
10 Apr 2019
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## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
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