# taz.de -- trans Geflüchtete in der Türkei: „Hier ist unser Leben in Gefah… | |
> Farah Mahajer ist wegen Repressionen gegen trans Frauen aus dem Iran in | |
> die Türkei geflüchtet. Doch auch dort wird sie diskriminiert. | |
Bild: Farah Mahajer hofft auf eine bessere Zukunft in Kanada | |
Hunderte von Tauben trippeln aufgeregt flatternd um den Uhrenturm auf dem | |
Konak-Platz in Izmir herum und jagen dem Futter hinterher, das | |
Passant*innen ihnen zuwerfen. Nach der trockenen Kälte hat der Regen in der | |
vergangenen Nacht ein wenig Wärme gebracht. Die Uhr mitten auf dem Platz | |
zeigt 17 Uhr, die Arbeiter*innen in den umliegenden Betrieben und die | |
städtischen Beamt*innen warten auf den Feierabend. Die Iranerin Farah | |
Mahajer steht mit dem Rücken zu den Menschen, die gerade am Platz | |
vorbeihasten und beobachtet die Tauben. „Wann immer ich das Gefühl habe, | |
dass ich Izmir nicht leiden kann, komme ich hierher und beobachte die | |
Vögel. Sie führen mir ihre Freiheit so deutlich vor Augen, dass ich | |
neidisch werde: Wenn ich doch auch so frei wäre, wie sie…“ | |
Farah Mahajer ist trans. Sie floh aus ihrem Heimatland Iran und fand | |
Zuflucht in der Türkei, wo sie nun seit fünf Jahren darauf wartet, in ein | |
anderes Land weitergeschickt zu werden. Sie hat einen positiven Bescheid | |
auf ihren Asylantrag in Kanada erhalten. Ihr Name bedeutet in ihrer | |
Muttersprache Persisch „Freude“, erzählt sie strahlend. Wenn sie endlich in | |
Kanada sei, werde sie als erstes das Buch über ihre Lebensgeschichte zu | |
Ende schreiben. Als sie beginnt, ihre Geschichte zu erzählen, verfinstert | |
sich ihre Miene. | |
Mahajer wurde 1977 in der iranischen Stadt Gilan als Kind eines Architekten | |
und einer Lehrerin geboren, die Familie lebte streng konservativ. Bereits | |
in der Kindheit wusste sie, dass sie trans ist, mit zwölf Jahren erzählte | |
sie auch ihren Eltern davon. „Sie haben es ohnehin schon gemerkt. Wenn wir | |
zuhause Gäste hatten, durfte ich deshalb mein Zimmer nicht verlassen. Mein | |
Vater erzählte jedem in unserem Umfeld, dass ich vom Teufel besessen sei | |
und Gott mich deshalb töten solle.“ | |
Mahajer spielt mit dem Haar, das ihr über die Schultern fällt. Sie erinnert | |
sich, wie sehr sie sich vor dem eigenen Vater fürchtete. Im Alter von etwa | |
15 bis 16 Jahren fand sie im Internet heraus, dass auch in anderen Ländern | |
Menschen wie sie leben, und dass es Organisationen gibt, die LGBTI-Menschen | |
helfen. „Ich war so erleichtert, dass ich nicht vom Teufel besessen bin!“ | |
## Zur Geschlechtsangleichung gezwungen | |
Die 41-Jährige studierte an zwei verschiedenen Universitäten. Nach einem | |
Studium der Textil-und Bekleidungstechnik an der Technischen Universität in | |
Isfahan machte sie ihren Master im Fachbereich Maschinenbau an der | |
Universität Teheran. Trotz ihrer guten Ausbildung fand sie in ihrem | |
Heimatland keinen Job. Zu den Bewerbungsgesprächen ging sie immer im | |
Herrenanzug, doch das nützte ihr nichts. „Später habe ich herausgefunden, | |
dass meine transsexuelle Identität in dem Dokument, das mich vom | |
Militärdienst befreit, durch einen Code vermerkt ist. Da habe ich | |
verstanden: Es spielt überhaupt keine Rolle, an welcher Uni ich studiert | |
habe, meine Erfolge zählen gar nicht.“ | |
In der Islamischen Republik Iran leben LGBTI-Menschen unter starken | |
Repressionen. Homosexuelle Beziehungen sind unter der islamischen Regierung | |
illegal. Wenn festgestellt wird, dass jemand gleichgeschlechtlichen | |
Geschlechtsverkehr hatte, wird die Person zur Strafe durch Auspeitschung | |
oder sogar zum Tode verurteilt. Die Situation von trans Personen sieht ein | |
bisschen anders aus. Mahajer erzählt, dass trans Personen vom Staat dazu | |
gezwungen würden, eine geschlechtsangleichende Operation vornehmen zu | |
lassen. Dadurch werde ihre Situation „legalisiert“ und nur so könnten sie | |
einigermaßen unbehelligt leben. | |
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kommt in einem | |
[1][Bericht] über den Iran zu dem Schluss, dass trans Frauen dort schnell | |
zur Zielscheibe von Sicherheitskräften werden können, weil sie leicht zu | |
erkennen sind. Einem anderen, maßgeblich von der amerikanischen | |
Organisation The Heartland Alliance initiierten [2][Bericht] zufolge sind | |
LGBTI-Menschen im Iran häufig Folter, Festnahme, körperlicher Bestrafung, | |
Vergewaltigung und sexueller Belästigung ausgesetzt. | |
Wegen der staatlichen Repressionen, ihrer Arbeitslosigkeit und aus Scham | |
vor der eigenen Familie sah Mahajer keine andere Möglichkeit, als zu | |
fliehen. Sie ging zunächst nach Malaysia und von dort aus nach Thailand. | |
Die Lebensumstände dort seien sehr hart gewesen, in beiden Ländern sei sie | |
diskriminiert worden, erzählt sie. Enttäuscht kehrte sie zurück in den | |
Iran. „Wo ich auch hinging, meine Situation wurde nicht besser. Überall | |
herrschten schlimme Verhältnisse. Schließlich bin ich 2014 in die Türkei | |
gekommen, um von hier aus Asyl in anderen Ländern zu beantragen.“ | |
## Im türkischen Asylsystem nicht klar geregelt | |
Aufgrund eines Grundsatzes der Genfer Flüchtlingskonvention darf die Türkei | |
Geflüchtete aus Nicht-EU-Ländern nicht in ihr Herkunftsland zurückschicken | |
und ist dazu verpflichtet, sie so lange zu beherbergen, bis ein sicherer | |
Drittstaat sie aufnimmt. Diese Menschen erhalten den Status als „bedingte | |
Geflüchtete“ beziehungsweise stehen sie unter subsidiärem Schutz. | |
Im türkischen Asylsystem ist nicht klar geregelt, nach welchen Kriterien | |
Asylanträge, die wegen der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität | |
gestellt werden, zu beurteilen sind. Auch die Vorschrift zur Umsetzung des | |
„Gesetzes über Ausländer und internationalen Schutz“, die im März 2016 im | |
Amtsblatt der Türkei veröffentlicht wurde und damit in Kraft getreten ist, | |
hat hier keine Klarheit geschaffen. In Artikel 67 werden LGBTI-Menschen | |
unter den besonders Schutzbedürftigen nicht genannt, es findet sich auch | |
keine Regelung zu der sensiblen Situation von LGBTI-Geflüchteten. | |
Die LGBTI-Geflüchteten, die in ihren Herkunftsländern homophober und | |
transphober Gewalt ausgesetzt waren, seien auch in der Türkei wiederholt | |
Gewalt und Rassismus durch öffentliche Institutionen und die örtliche | |
Bevölkerung ausgesetzt, betont ein Bericht der LGBTI-Organisation KaosGL | |
mit dem Titel „Die Türkei als Zwischenstation für LGBTI-Geflüchtete“. | |
Bevor sie in die Türkei kam, glaubte Mahajer, hier würden die | |
Menschenrechte eingehalten und die Menschen könnten in Freiheit leben. Aber | |
schon als sie sich registrieren ließ, merkte sie, wie sehr die türkischen | |
Autoritäten und Ämter denen im Iran ähneln. „Auch hier habe ich | |
Diskriminierung und Hass erlebt“, sagt sie. | |
## Die gleichen Schwierigkeiten wie im Iran | |
Nach ihrer Registrierung bei der Ausländerbehörde schickte man Mahajer in | |
die konservative zentralanatolische Stadt Kayseri. Weil sie dort keine | |
Arbeit fand, wurde sie weiter nach Manisa geschickt, eine Stadt in der | |
Ägäisregion. „Es war sehr schwierig, Arbeit zu finden. Bei denen, die mich | |
arbeiten ließen, musste ich viele Überstunden machen und bekam einen sehr | |
niedrigen Lohn“, sagt sie. „Ich habe hier die gleichen Schwierigkeiten | |
erlebt wie im Iran: Ich war allein, hatte kein Geld und war nicht frei. Wie | |
soll man leben, wenn man sich auf der Straße nicht frei bewegen kann?“ | |
Schließlich zog sie in die Küstenmetropole Izmir, die bekannt für ihren | |
liberalen Lebensstil ist. | |
Die Lebensbedingungen von türkischen und geflüchteten trans Frauen in der | |
Türkei müssten dringend verbessert werden, sagt Mahajer. Es sei absolut | |
notwendig, dass die Regierung bei diesem Thema endlich Verantwortung | |
übernehme. „Viele trans Menschen sehen sich dazu gezwungen, ihren | |
Lebensunterhalt als Sexarbeiter*innen zu verdienen. Unsere Ausbildung, | |
unsere Talente gelten hier nicht. Ich möchte als Frau keine Sexarbeit | |
machen“, sagt sie. „Die Regierung muss endlich etwas zum Schutz unserer | |
Zukunft tun. Diejenigen, die aus dem Iran kommen, warne ich: Bleibt nicht | |
hier und wartet, geht weg, so schnell ihr könnt. Hier ist unser Leben in | |
Gefahr.“ | |
Die Ursachen der Gefahr, von der Mahajer so verzweifelt und voller Angst | |
spricht, liegen auch in den eklatanten Gesetzeslücken. In der Türkei werden | |
europaweit die meisten Hassmorde an trans Frauen verübt, weltweit steht das | |
Land an neunter Stelle. Zwar werden Verbrechen gegen LGBTI-Menschen in der | |
Türkei im „Gesetzesentwurf zur Änderung verschiedener Gesetze zur | |
Verbesserung der Grundrechte und der Freiheit“ rechtmäßig als | |
„Hassverbrechen“ laut türkischem Strafgesetz bezeichnet. Doch wird mit der | |
derzeitigen Regelung keinerlei Schutz vor Hass und Diskriminierung | |
geschaffen. Außerdem beinhaltet der Entwurf keine Regelung, wie „Hass“ zu | |
definieren ist oder wie er als solcher festgestellt werden soll. | |
In Artikel 10 der türkischen Verfassung müssten unter den verschiedenen | |
Formen von Hass und Diskriminierung, die im türkischen Strafgesetzbuch als | |
„Hassverbrechen“ charakterisiert werden, auch die sexuelle Orientierung und | |
die Geschlechtsidentität aufgenommen werden, findet Hatice Demir, eine | |
Anwältin des Vereins für Studien zu Sozialpolitik, sexueller Identität und | |
sexueller Orientierung. | |
## Angst vor der Polizei | |
Laut Demir sind die rechtlichen Schritte, die eine trans Frau bemühen kann, | |
bevor sie Opfer eines Hassverbrechens wird, sehr begrenzt. „Eine trans | |
Frau, die eine Klage einreicht, kann ganz schnell zur Täterin gemacht | |
werden. Wenn sie zum Beispiel als Prostituierte arbeitet und einen Kunden | |
anzeigt, der sie in ihrer Wohnung misshandelt hat, kann der Staatsanwalt | |
direkt, ohne Einhaltung der Instanzen, ein Untersuchungsverfahren wegen | |
‚Bereitstellung eines Raumes für Prostitution‘ einleiten und aus der | |
Klägerin eine Angeklagte machen. Dieser Umstand verhindert, dass die | |
Betroffenen sich an Polizei oder Justizbehörden wenden, bevor sie einem | |
Hassverbrechen zum Opfer fallen.“ | |
Mehrfach diskriminierte Menschen seien Hassverbrechen durch Täter, die aus | |
Vorurteilen gegen Minderheiten handeln, stärker ausgesetzt, sagt Demir. So | |
erlebten trans Frauen, die geflüchtet sind, häufiger Gewalt. Demir betont | |
auch, dass Frauen, die Gewalt erfahren haben, nicht zur Polizei gingen, | |
weil sie Angst haben, des Landes verwiesen zu werden oder ihren Wohnort | |
verlassen zu müssen. „Es ist erschreckend, dass in einem Transitland wie | |
der Türkei, in dem die Aufenthaltsdauer von Menschen aus politischen oder | |
bürokratischen Gründen derart in die Länge gezogen wird, nicht ein Schritt | |
unternommen wird, den Flüchtlingen das Leben zu erleichtern, und keinerlei | |
vorbeugende oder schützende rechtliche Mechanismen geschaffen werden“, sagt | |
Demir weiter. | |
Nach all den Schwierigkeiten, die sie erlebt hat, verdient Farah Mahajer | |
ihren Lebensunterhalt heute mit dem Verkauf von Gerichten, die sie in ihrer | |
Wohnung in Izmir zubereitet. Gleichzeitig arbeitet sie ehrenamtlich als | |
Übersetzerin für Flüchtlings- und LGBTI-Organisationen. Diese | |
Organisationen haben Mahajers Meinung nach nicht genug Kapazitäten, um | |
trans Frauen wirklich erreichen zu können. Trotzdem hält sie deren | |
Bemühungen, wie zum Beispiel rechtliche und psychologische Unterstützung, | |
Seminare zur eigenen Identität und andere Projekte, die sie in ihrem | |
begrenzten Rahmen durchführen können, durchaus für hilfreich. | |
Oft telefoniere sie mit Freunden, die schon vor einiger Zeit aus der Türkei | |
nach Kanada gezogen sind, erzählt Mahajer. Die Freunde berichten, dass sie | |
dort ein wirtschaftlich wesentlich besseres Leben führen als sie hier. Und | |
dass sie in Kanada viel weniger Diskriminierung und Rassismus erlebten als | |
in anderen Länder. Es tut ihr gut, das zu hören. Vor einiger Zeit hat sie | |
das auch von der Türkei geglaubt, doch jetzt ist ihr einziges Ziel Kanada. | |
Die Hoffnung, nach ihrem langen und beschwerlichen Weg, dort als freie Frau | |
leben zu können, bringt ihre vom Warten müde gewordenen Augen zum leuchten. | |
„Ich wünsche mir eine Welt, in der alle menschlich leben können, in der | |
Frauen ohne jede Diskriminierung frei ihr Leben führen können – das ist | |
alles.“ | |
Aus dem Türkischen von Judith Braselmann-Aslantaş | |
1 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hrw.org/report/2010/12/15/we-are-buried-generation/discriminati… | |
[2] http://www.irqo.org/english/?p=959 | |
## AUTOREN | |
Sevda Aydın | |
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