# taz.de -- Kolumne Habibitus: Können Heten nicht mal campen? | |
> In dieser Woche fand in New York die Met Gala statt. Doch kaum jemand | |
> scheint die queere Ästhetik des Mottos „Camp“ verstanden zu haben. | |
Bild: Lady Gaga im pinken Kleid auf der diesjährigen Met Gala | |
Obwohl ich Volksfeste wie Karneval oder Fasching verabscheue, nehme ich | |
Mottopartys sehr ernst. Selbst für die komplexesten Kostümthemen finden | |
verkleidungsfaule Menschen mit ein bisschen Kreativität eine Möglichkeit, | |
mit wenig Aufwand oder Kosten einen Volltreffer zu landen. An meinen | |
Geburtstagen brachte ich meine Freund_innen bereits dazu, sich als | |
Bösewichte, Streber_innen und als mich zu verkleiden. Je selbst-ironischer | |
und übertriebener, desto besser. | |
[1][Die diesjährige Met Gala], eine Benefizveranstaltung des Metropolitan | |
Museums in New York und zugleich kleidungstechnisch das interessanteste | |
High-Society-Event, fand Anfang der Woche unter dem Motto Camp statt. Die | |
[2][prunkvolle Abendgarderobe der Promis] aller Sparten durchflutet meine | |
Social Media Timelines, doch zwischen all den Pailletten, dem Glitzer und | |
den langen Schleppen funkelt für mich in erster Linie Enttäuschung. | |
Schön sahen die meisten aus, doch die meisten haben das Thema verfehlt – | |
was bitter ist, denn Camp lässt viel Spielraum. Offensichtlich hat kaum | |
eine_r Camp richtig verstanden. Allein, dass in fast jeder | |
Berichterstattung über die Met Gala erklärt werden muss, dass es sich beim | |
Thema nicht ums Campen handelt, verdeutlicht die heteronormative | |
Perspektive auf die queere Ästhetik des Camps. | |
Camp lässt sich nicht definieren, nur beschreiben, das stellte die | |
feministische Autorin und Theoretikerin Susan Sontag bereits 1964 in ihrem | |
Essay „Notes On ‚Camp‘“ fest. Camp schrammt nicht nur an sogenannter | |
Geschmackslosigkeit, sondern hinterfragt Camp „guten Geschmack“, der | |
eigentlich immer von den Reichen, Schönen und vor allem cis Heten | |
festgelegt wird. Camp beginnt dort, wo Normalos eine Ästhetik als | |
schrullig, übertrieben, künstlich empfinden. | |
## Camp gelingt, wenn Entsetzen ausbricht | |
Camp ist ungefällig, Camp ist ein „Oh Gott, hat diese Person wirklich…?“, | |
Camp ist: Ich scheiß auf deine Fashion-Regeln und mache es für dich | |
unübersehbar. Camp ist extravagant. Camp ist in die Fresse. Das Gegenteil | |
von Camp ist Mittelmäßigkeit. Camp gelingt, wenn Entsetzen ausbricht. Doch | |
das entsetzendste auf der Met Gala war leider, wie krass die Leute das | |
Thema verfehlt haben. | |
Es kommt, wie es kommen musste: Letztlich fallen schlechte | |
Fashion-Entscheidungen immer auf cis Heten zurück. Die Assoziation von | |
Heten-Annika im Latex-Rock auf dem CSD ist gar nicht so falsch, denn die | |
mittelmäßigen Looks von irgendwelchen weißen Typen in Spitze und Röcken | |
stößt auf mehr Applaus als ein Frank Ocean im Prada-Nylon-Hoodie – obwohl | |
er als Schwarze queere Person mehr Camp transportiert [3][als Katy Perry] | |
in ihrem Faschingskostüm, wie der queere Spoken Word Künstler Kai Isaiah | |
Jamal treffend im Gedicht „4 U Frank & 4 Me“ auf den Punkt bringt. Das | |
beste Statement setzt die lesbische Schauspielerin Lena Waithe. Ihr Look | |
war nicht nur Peak Camp, sondern am Rücken bestickt mit dem Satz: „BLACK | |
DRAG QUEENS INVENTED CAMP“. | |
So appelliere ich an alle cis Heten, wieder zu der einzigen Form des | |
Campings zurückzukehren, die ihnen wirklich liegt: mit Wohnmobil, ihren | |
schreienden Kindern und ihren „Kuschelrock“-CDs on repeat. | |
9 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Billy-Porter-bei-der-Met-Gala/!5589784 | |
[2] https://www.vogue.de/people-kultur/people-news/met-gala-best-dressed | |
[3] /Avancen-von-Katy-Perry/!5491696 | |
## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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