| # taz.de -- Nach Schüssen auf Karamba Diabys Büro: Solidarität oder soll man… | |
| > Wer Hass und Gewalt erfährt, verdient bedingungslose Solidarität, kein | |
| > Victim-Blaming. Das scheinen noch nicht alle verstanden zu haben. | |
| Bild: Einschusslöcher im Fenster von Karamba Diabys Büro in Halle | |
| Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten als Schwarze_r Politiker_in in einer | |
| Stadt, in der es vor einigen Monaten einen rechten [1][Terroranschlag auf | |
| eine Synagoge und einen Döner-Imbiss] gegeben hat, bei dem zwei Menschen | |
| ermordet wurden. Allein dieses Szenario lässt eine_n Filme schieben. Wenn | |
| Sie dann auch noch seit Jahren aus besagter Ecke bedroht werden und [2][an | |
| der Scheibe zu Ihrem Büro fünf Einschusslöcher wiederfinden], steht außer | |
| Frage, dass die Gefahr sich nicht nur in ihrem Kopf abspielt. Ob es sich | |
| „lediglich“ um Einschüchterung handelt, spielt keine Rolle. Das Gefühl der | |
| Sicherheit hat sich längst bei Ihnen verabschiedet. Wäre ja nicht das erste | |
| Mal, dass … Sie wollen den Satz gar nicht zu Ende denken. | |
| Neben breiter Solidarität bekommen Sie bei einem Interview mit einem | |
| Leitmedium dann die Frage gestellt, ob es Situationen gab, in denen „Sie | |
| selbst vielleicht zu emotional argumentiert haben und damit – wenn auch | |
| nicht gegen Minderheiten gerichtet – ebenfalls zu einer hitzigen Debatte | |
| beigetragen haben“. Sie finden diese Vorstellung unfassbar? Verständlich. | |
| Leider ist das aber keine ausgedachte Gruselgeschichte. Genau das passierte | |
| vergangene Woche dem SPD-Politiker Karamba Diaby. | |
| Mittlerweile [3][hat die Zeit-Online-Redaktion selbst gemerkt, dass diese | |
| nachträglich gestellte Frage geschmacklos ist] und in einem Gespräch nach | |
| so einem Anschlag nichts zu suchen hat. Die Frage ist jetzt draußen, der | |
| Abgrund zwischen Betroffenen solcher Gewalt und den anderen bleibt jedoch. | |
| Wer schon mal einem Erguss aus Beleidigungen, Gewalt- und Mordandrohungen | |
| als Reaktion auf die eigene Arbeit erhalten hat, kennt es. Es gehört schon | |
| fast dazu, neben Solidarität auch Victim-Blaming zu bekommen, also | |
| Opferbeschuldigungen. Klassiker dieser Shitshow-Hitparade sind Sprüche wie | |
| „Aber du teilst auch ganz schön aus!“, „Wie man in den Wald hineinruft, … | |
| schallt es heraus“, „Wer so provoziert, muss auch Gegenreaktionen aushalten | |
| können“ oder, bei sexualisierter Gewalt etwa, „Aber was hattest du an?“. | |
| Bedingungslose Solidarität – oder soll man’s lassen? Die Sätze impliziere… | |
| dass die erfahrene Gewalt eine adäquate Reaktion auf die „Provokation“ der | |
| Betroffenen sei. Die „Provokationen“ wären dann der Minirock, die | |
| Bezeichnung von weißen Deutschen als „Kartoffeln“ oder ein legeres | |
| „Refugees welcome“. | |
| Ganz ehrlich: Warum sollen immer die Opfer Gewalt aushalten können, aber | |
| die Täter_innen können nicht einfach mal aushalten, dass eine Frau ihr | |
| Outfit nicht für ihre geiernden Blicke trägt, dass Marginalisierte nach | |
| lebenslänglichen Antisemitismus- oder Rassismuserfahrungen Witze über die | |
| Mehrheitsgesellschaft machen, dass jemand der Menschenfeindlichkeit von | |
| Rechten widerspricht? Wer die Schuld nicht ausschließlich bei den | |
| Täter_innen sieht, muss woanders suchen als bei den Opfern. Schuld tragen | |
| nämlich auch diejenigen, die diese Gewalt legitimieren und verteidigen. | |
| 19 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Migranten-in-Halle-nach-dem-Attentat/!5633645 | |
| [2] /SPD-Politiker-ueber-Schuesse-auf-sein-Buero/!5656316 | |
| [3] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-01/karamba-diaby-angrif… | |
| ## AUTOREN | |
| Hengameh Yaghoobifarah | |
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