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# taz.de -- Kolumne Habibitus: Kein Gutschein fürs Arschlochsein
> Viele Schwule zücken die Gaycard, sobald ihnen etwas Problematisches
> vorgeworfen wird. Auch Marginalisierte können diskriminierend sein.
Bild: Jetzt rufe ich über die laute Musik hinweg: „Das ist voll rassistisch!…
Freitagnacht in einem engen Berliner Club. In der Ecke sitzen mit mir
André, Lukas und Basti, drei schwule Bekannte von mir, die ich zufällig an
der Bar getroffen habe. Früher haben wir zusammen Abi gemacht, waren die
Queerdos der Provinz, heute leben wir alle in einer Großstadt und
gratulieren uns jährlich auf Facebook zum Geburtstag. Jetzt sitzen wir hier
und unterhalten uns. Beziehungsweise sie sich.
Auf Lagerfeld-Basis über [1][„die fette Kuh in den hässlichen
Jogginghosen“,] die vor uns bestellt hat. Auf Jens-Spahn-Basis über „die
Scheißhartzer“, die in der Bar nebenan Zeitungen verkaufen. Über Andrés
muslimische Nachbarn in seiner Neuköllner Eigentumswohnung, der „schon so
homophob“ aussieht. Er hofft auf Alice-Weidel-Basis, der nicht mal 20 Jahre
alte Typ werde bald „in sein reiches Ölland abgeschoben“. Jetzt rufe ich
über die laute Musik hinweg: „Das ist voll rassistisch!“ Plötzlich friert
die Luft ein. Mit seinen grauen, kalten Augen schaut mich Basti an. Lukas
schnaubt. Andrés Lippen zittern, er sagt: [2][„Rassistisch? Aber ich bin
doch queer!“]
„Na und?“, entgegne ich. Ich sehe genau, was er macht. Er holt die Gaycard
raus. Für Kartenspiele war ich nie der richtige Typ, es sei denn, es geht
darum, beim Shoppen die EC-Karte in Bewegung zu bringen. Diese Diskussion
hat so viel Appeal wie kalter, in der Mikrowelle wieder erhitzter Kaffee.
Während es bei Kritik an BPoC scheißegal ist, ob diese Leute lesbisch,
trans, nichtbinär, depressiv oder behindert sind, scheint es bei weißen
Queers ein großes Missverständnis zu geben. Wie eine seltene, glitzernde
Pokémon-Karte zücken sie die Gaycard, sobald ihnen irgendwas
Problematisches vorgeworfen wird, als wäre sie ein Gutschein für eine
Arschloch-Flatrate. „Wie kann ich rassistisch sein, wenn ich queer bin?“,
fragt André überrascht, gar wütend.
## Gewalt fragt nicht
„Was für ‚wie‘? Du bist es doch gerade einfach!“ Meine Stimme übersch…
sich vor Wut. Als wäre Queerness ein Pflaster für seine restliche
Toxizität, ein Freifahrtschein für sämtliche anderen Unterdrückungsformen.
Wenn mich mein Vermieter anruft, weil meine Miete nicht auf sein Konto
eingegangen ist, hilft es im Konflikt auch nicht weiter, darauf
hinzuweisen, dass ich ihm den Betrag in Monopoly-Geld per Post geschickt
habe. Genauso wenig ziehen die Gaycard oder die Ossi-Karte, die Lukas in
diesem Moment rauskramt.
Während ich es schwierig finde, immer nur eine bestimmte marginalisierte
Gruppe für diskriminierendes Verhalten unter Beschuss zu nehmen, bleibt es
wichtig, überall Unterdrückung zu benennen. Insbesondere bei weißen
deutschen cis Männern. Denn sie die Quintessenz ihrer „schwule cis Männer
sind die neuen Opfer der Queers“-Rhetorik beklagt letztlich nur: Ist
Rassismus, Transfeindlichkeit, Sexismus oder Kapitalismus genauso schlimm,
wenn die Täter schwul sind? Die Antwort lautet ja. Gewalt fragt nicht
danach, wen die Täter_innen bumsen.
29 Mar 2019
## LINKS
[1] /Model-und-Blogger-ueber-Plus-Size/!5560229
[2] /Zukunft-des-Schwulen-Museums-Berlin/!5546828
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
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