# taz.de -- Ein Jahr GroKo – Fragen und Antworten: Langweilig, aber nicht ine… | |
> Die Große Koalition regiert seit einem Jahr. Sie leistete sich Pannen und | |
> Krisen, schob aber auch viele Gesetze an. Hält sie bis zum Schluss? | |
Bild: Die Groko steht – seit einem Jahr | |
Einen „Aufbruch für Europa“ und „neue Dynamik für Deutschland“ haben … | |
CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Hat die Groko ihr | |
Versprechen gehalten? | |
Äh, nein. Einfach nein. Die Groko ist nun wirklich kein Vollblut, das | |
elegant über die Rennbahn prescht – sondern eher ein behäbiger | |
Brauereigaul. Langweilig in der Außenwirkung, aber effektiver als man | |
denkt. | |
Wie ist ihr Image? | |
Mies. Die Groko gilt als müde, demokratietheoretisch problematische | |
Zweckehe, die weder Union noch SPD wirklich wollten. Die Sozialdemokraten | |
hatten nach der Wahl 2017 bekanntlich eine neue Große Koalition kategorisch | |
ausgeschlossen. Sie quälten sich erst [1][nach den gescheiterten | |
Jamaika-Verhandlungen] hinein, in einem SPD-typischen Mix aus | |
Schicksalsergebenheit und staatspolitischer Verantwortung. | |
Auch bei den Menschen im Land hat es die Groko schwer. 63 Prozent der | |
Deutschen fänden es laut einer aktuellen Emnid-Umfrage nicht schlimm, wenn | |
das Bündnis noch in diesem Jahr auseinanderbräche – und nur 29 Prozent | |
würden ihr nachtrauern. Andererseits: Welcher Regierung hätte man jemals | |
nachgetrauert? | |
Gleichzeitig kommen die jüngsten Profilierungsversuche von Union und SPD in | |
der Zuwanderungs- und Sozialpolitik bei vielen an. 74 Prozent der | |
BügerInnen fänden es laut ARD-Deutschlandtrend gut, wenn sich Union und SPD | |
inhaltlich wieder stärker voneinander unterschieden. Und 63 Prozent der | |
Befragten erwarten nicht, dass die Regierungskoalition wegen inhaltlicher | |
Differenzen vorzeitig scheitert. Das ist übrigens eine recht realistische | |
Einschätzung. | |
Was lief schief in der Groko? | |
Das Bündnis leistete sich peinliche Fehler und Krisen. Ex-CSU-Chef Horst | |
Seehofer schoss im vergangenen Sommer wochenlang gegen Kanzlerin Angela | |
Merkel, als es um seinen angeblichen Masterplan und Zurückweisungen an der | |
Grenze ging. [2][Rücktritt], Rücktritt vom Rücktritt, eine Drohung, [3][er | |
könne mit der Frau nicht mehr arbeiten] – man kam aus dem Staunen nicht | |
heraus. | |
SPD-Chefin [4][Andrea Nahles scheiterte beinahe an der Maaßen-Affäre]. Sie | |
stimmte einem Deal zu, der den unfähigen Verfassungsschutz-Chef versetzen | |
sollte – ihn aber faktisch befördert hätte. Nach einem Aufruhr in der SPD | |
musste Nahles zurückrudern und neu verhandeln. Beide Schauspiele | |
beschäftigten die Öffentlichkeit wochenlang – und zeichneten ein | |
katastrophales Bild der Groko. | |
Was sind Erfolge? | |
Die Koalition hat schon eine Reihe Gesetze auf den Weg gebracht, darunter | |
mehrere, die vielen BürgerInnen nutzen. So wurden zum Beispiel die 56 | |
Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen zu Jahresbeginn | |
deutlich entlastet, weil die Arbeitgeber wieder die Hälfte des gesamten | |
Beitrags zahlen müssen. MieterInnen können sich über eine [5][verschärfte | |
Mietpreisbremse] freuen. Und ArbeitnehmerInnen haben seit Januar ein Recht | |
auf zeitlich befristete Teilzeit – und einen Vollzeitjob im Anschluss. | |
Außerdem gibt die Groko Milliarden Euro in Bereichen aus, die es dringend | |
nötig haben. Der Bund stellt zum Beispiel bis 2022 5,5 Milliarden Euro für | |
Kitas bereit. Die Länder können selbst entscheiden, wie sie es nutzen – | |
manche schaffen die Kitagebühren ab, andere investieren in bessere | |
Betreuung. In der Pflege will die Groko mit einem Sofortprogramm 13.000 | |
zusätzliche Stellen für AltenpflegerInnen schaffen. Ach ja, [6][auf ein | |
Einwanderungsgesetz] haben sich Union und SPD auch noch geeinigt. Ein | |
solches wird seit Jahren parteiübergreifend gefordert. | |
Klingt toll. Wo ist der Haken? | |
Die Groko ist nicht ambitioniert genug. Ein paar Beispiele: Auch die neue | |
Mietpreisbremse ist zu zahnlos, um den Irrsinn in den Städten zu stoppen. | |
Die 13.000 Stellen in der Pflege reichen hinten und vorne nicht. Laut dem | |
Sozialverband VdK wären mindestens 60.000 Stellen nötig. Und beim | |
Einwanderungsgesetz fehlt ein einfacher Spurwechsel, der es Geflüchteten | |
ermöglicht, durch Arbeit im Land zu bleiben. | |
Das Bemühen, die Risse in der Gesellschaft zu kitten, ist erkennbar. Aber | |
die Groko bleibt zu oft auf halber Strecke stehen. Katastrophal ist die | |
Leerstelle in der Europapolitik. Die Groko lässt den französischen | |
Präsident Emmanuel Macron, der immer wieder ambitionierte Vorschläge macht, | |
am ausgestreckten Arm verhungern. Macrons Eurozonen-Haushalt schrumpfte | |
dank Merkel zu einem Minibudget, weil die Deutsche Angst vor der Wut der | |
Steuerzahler hat. Auch für die SPD ist das europapolitische Groko-Versagen | |
peinlich. Sie war anfangs sehr stolz auf das von Ex-Parteichef Martin | |
Schulz verhandelte Europakapitel im Koalitionsvertrag. | |
Gibt es weitere Totalausfälle? | |
Um den Ehrentitel „Totalausfall der Groko“ bewirbt sich Verkehrsminister | |
Andreas „Fake News“ Scheuer (CSU), dem kein Möchtegern-Argument zu bekloppt | |
ist, um betrügerische Autokonzerne zu schützen. Stichwort: Lungenarzt Prof. | |
Dieter Köhler. | |
Scheuer dicht auf den Fersen: [7][Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner | |
(CDU)]. Die meisten Tiere werden in der Landwirtschaft unter fragwürdigen | |
Bedingungen gehalten, männlichen Ferkeln werden ohne Betäubung die Hoden | |
herausgeschnitten. Und Klöckner? Sieht zu. | |
Neulich [8][twitterte sie] stolz, dass sie an einem Verbot der | |
Wildschweinjagd mit Pfeil und Bogen festhalte. Es gibt halt immer was | |
Wichtigeres zu tun. | |
Was macht eigentlich Angela Merkel? | |
Weiter, immer weiter. Die Kanzlerin reist durch die Welt, empfängt | |
Staatsgäste oder schaut im Kanzleramt mit unbewegter Miene tanzenden | |
Funkenmariechen zu. Sie ist also da, aber irgendwie auch weg. Merkel | |
überlässt das Feld mehr und mehr Annegret Kramp-Karrenbauer, ihrer | |
Nachfolgerin an der CDU-Spitze. | |
Kramp-Karrenbauer räumte [9][im CDU-Werkstattgespräch zur | |
Migrationspolitik] Merkels Ansage ab, Grenzschließungen in jedem Fall | |
auszuschließen. Sie ärgerte die Linksliberalen [10][mit unkorrekten | |
Karnevalssprüchen]. Und sie war es, die [11][die Antwort der CDU auf | |
Macrons offenen Brief in der Europapolitik] formulierte – nicht etwa | |
Merkel. Die beiden Frauen führen gerade vor, wie man unauffällig Macht | |
übergibt. | |
Hält die Groko bis zum Schluss? | |
Eine Ansage der Werteunion sorgte zuletzt für Spekulationen. Deren | |
Vorsitzender Alexander Mitsch rechnet mit einem vorzeitigen Ende der Groko. | |
„Ich glaube nicht, dass diese große Koalition bis zum Ende der | |
Legislaturperiode halten wird“, sagte er am Dienstag [12][im | |
Deutschlandfunk]. Mitsch hatte sich mehrfach für eine schnelle Ablösung von | |
Merkel durch Kramp-Karrenbauer im Kanzleramt ausgesprochen. Der | |
Zusammenschluss konservativer Unionspolitiker hat allerdings in CDU und CSU | |
nicht viel zu melden. | |
Was will die SPD-Spitze? | |
In der SPD-Basis gibt es das verbreitete Gefühl, das Ganze müsse mal enden. | |
Aber die relevanten Player wollen bis zum Ende der Legislatur regieren – | |
und zwar nicht nur Nahles und Finanzminister Olaf Scholz. Sie wissen: Die | |
SPD, die in Umfragen bei 17 Prozent steht, hätte bei Neuwahlen einen | |
schweren Stand. Und viele Bundestagsabgeordnete wären dann ihren Job los. | |
Die Selbsterhaltungskräfte des SPD-Apparates sind stark – trotz | |
Groko-Frust. | |
Und CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer? | |
Für Kramp-Karrenbauer wäre es ein Vorteil, wenn Merkel vorzeitig zu ihren | |
Gunsten abtreten würde. Dann könnte sie im nächsten Wahlkampf vom | |
Kanzlerinnenbonus profitieren. Aber der Weg dahin ist schwierig. Erst | |
müsste Merkel zurücktreten. Die SPD müsste Kramp-Karrenbauer dann zur | |
Kanzlerin wählen – aber genau das [13][haben diverse Sozialdemokraten | |
ausgeschlossen]. Warum sollten sie ihr zum Amtsbonus verhelfen? | |
Kramp-Karrenbauer könnte auch auf FDP und Grüne zugehen. Aber eine | |
Jamaika-Koalition ohne Neuwahlen ist ebenfalls unwahrscheinlich, weil die | |
Grünen ihre guten Umfragewerte in einem realen Ergebnis abbilden wollen. Es | |
spricht einiges dafür, dass Merkel und Kramp-Karrenbauer über | |
Übergangsszenarien nachdenken. Doch einfach zu verwirklichen, sind sie alle | |
nicht. | |
12 Mar 2019 | |
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[8] https://twitter.com/JuliaKloeckner/status/1104802884695347200 | |
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[12] https://www.deutschlandfunk.de/mitsch-cdu-gegen-merkel-ein-personeller-wec… | |
[13] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/annegret-kramp-karrenbauer-erste… | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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