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# taz.de -- Kommentar Ein Jahr Große Koalition: Diese verdammte Pflicht
> Die Große Koalition ist keineswegs besser als ihr Ruf. Im Gegenteil, sie
> wirkt erschöpft, pfeift auf dem letzten Loch – und muss doch
> weitermachen.
Bild: Hier noch entspannt: CDU und SPD unterzeichneten den Koalitionsvertrag im…
„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Auf
Wiedersehen.“ Mit diesem an politischer Verantwortungslosigkeit kaum zu
überbietenden Gruß ließ FDP-Chef Christian Lindner im November 2017 die
Möglichkeit einer Jamaika-Koalition im Bund platzen. Union, Liberale und
Grüne hatten zu diesem Zeitpunkt Wochen der Sondierung hinter sich, das
politische Gelände wirkte übersichtlich; trotz einiger Untiefen und
Stromschnellen schien das Reiseziel Jamaika erreichbar. Aber dann kam
Christian Lindner und schrottete die gesellschaftliche Hoffnung auf vier
progressive Jahre für dieses Land und Europa.
An diesen nächtlichen Auftritt sollte man denken, wenn es um die Frage
geht, wie erfolgreich die seit einem Jahr regierende Große Koalition ist.
Nein, das war keine Liebesheirat. Dennoch muss festgestellt werden: Die
Groko ist keineswegs „Besser als ihr Ruf“, wie [1][das der geschätzte
Kollege Ulrich Schulte am Mittwoch] geschrieben hat. Im Gegenteil, sie
wirkt erschöpft und pfeift auf dem letzten Loch – und ist doch verdammt,
weiterzumachen. Dank Lindners Liberalen.
Die Bilanz fällt arg mäßig aus für ein Team, das den Findungsprozess
überspringen durfte. Denn genau genommen führen Union und SPD das Land nun
schon seit mehr als fünf Jahren am Stück. Vor allem den SozialdemokratInnen
bekommt das bekanntlich schlecht. Sie verschleißen Vorsitzenden um
Vorsitzenden, Spitzenkandidaten und GeneralsekretärInnen – heute bilden
Partei und Fraktion eine Verlierercombo, die sich verbissen an ihre
schwindende Macht klammert. Die Wählerschaft dankt es ihnen mit
Liebesentzug inklusive Verachtung für so viel politische
Schmerzbefreitheit. Die Basis sehnt den Gang in die Opposition herbei.
Als Jamaika scheiterte, dürften die GenossInnen im Willy-Brandt-Haus einen
heftigen Phantomschmerz verspürt haben. Gerade hatten sie, von der Last der
Verantwortung befreit, die Regierung verlassen dürfen. Fraktionschefin
Andrea Nahles hatte CDU und CSU in Aussicht gestellt, ab jetzt gebe es „in
die Fresse“. Und Nochparteichef Martin Schulz hatte einen weiteren Gang in
die Große Koalition kategorisch ausgeschlossen. Und dann? Rief wieder diese
verdammte Pflicht. Verantwortungslosigkeit kann man also der SPD nicht
vorwerfen, wenn es um ihre Regierungsbeteiligung geht. Selbstgenügsamkeit
aber sehr wohl.
## Vollmundige Versprechen im Koalitionsvertrag
„Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein
neuer Zusammenhalt für unser Land“, so lautet die programmatische
Überschrift des Koalitionsvertrages. Nichts davon haben Union und SPD
eingelöst. Statt das im Wahlkampf inbrünstig in Aussicht gestellte
„Vertrauen“ zwischen Politik und Bürgerschaft zu reparieren, machten sich
CDU und CSU flugs daran, aufeinander einzudreschen. Horst Seehofer,
ausgestattet mit maximaler Machtfülle, wollte, statt zu arbeiten, Angela
Merkel ausknocken. Merkel wiederum verlor ihren treuen
Fraktionsvorsitzenden und räumte schließlich die Parteizentrale. Ihre
Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist seither bemüht, eine Art
gesellschaftliches Reizklima herzustellen.
Und die SPD? Wechselte zum x-ten Mal ihreN VorsitzendeN aus, winkte die
Beförderung von Seehofers Vertrautem Hans-Georg Maaßen durch und ruderte
anschließend erschrocken zurück. [2][Nun schicken die Sozis ihre beste
Frau nach Brüssel], damit auch wirklich niemand mehr mitkriegt, wie gut
Katarina Barley arbeitet.
Wenn CDU, CSU und SPD doch mal einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag
abarbeiten, fangen sie an zu streiten. Klimapolitik? Nur, wenn deutsche
AutofahrerInnen weiter bei Tempo 200 ihren Diesel ausfahren können.
[3][Grundrente?] Ja, aber nur für jene, die bereit sind, darum zu betteln.
Das alles, während rund um das Regierungsviertel RentnerInnen in
Abfallbehältern nach Pfandflaschen wühlen. Es ist besser, nicht zu
regieren, als falsch zu regieren? Daraus kann nur eine Schlussfolgerung
gezogen werden: Endlich richtig regieren.
16 Mar 2019
## LINKS
[1] /Ein-Jahr-GroKo--Fragen-und-Antworten/!5580302
[2] /SPD-und-Europawahl/!5571055
[3] /SPD-Plaene-zur-Grundrente/!5578112
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Große Koalition
Horst Seehofer
Schwerpunkt Angela Merkel
Katarina Barley
Christian Lindner
Schwerpunkt Europawahl
Digitalsteuer
Schwerpunkt Überwachung
GroKo
SPD
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