# taz.de -- Ein Jahr im Landwirtschaftsministerium: Die große Klöckner-Show | |
> Ob Tierschutz, Lebensmittelverschwendung oder Pestizide: Die | |
> Bundesagrarministerin hat in ihrem ersten Amtsjahr fast nichts erreicht. | |
Bild: Wortgewandt verkauft Julia Klöckner alten Wein in neuen Schläuchen | |
BERLIN taz | Das Symbol für Julia Klöckners erstes Jahr als | |
Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft ist ein Pappkarton: Die | |
CDU-Politikerin pries Ende Februar im Bundestag [1][eine 1,3 Liter kleine | |
Faltschachtel] als Teil ihrer „Strategie gegen Lebensmittelverschwendung“ | |
an. „Dazu haben wir einiges entwickelt“, erzählte Klöckner stolz im | |
Parlament, „nicht nur unsere Beste-Reste-App, sondern auch die | |
[2][Beste-Reste-Box].“ In der können Restaurantgäste – man glaubt es kaum… | |
Essensreste nach Hause transportieren! | |
Renate Künast, ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, konnte | |
sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass etwa die Bundestagskantine auch | |
ohne Beste-Reste-Box Gästen Nicht-Verzehrtes mitgebe – wenn sie darum | |
bitten. Der Karton ist auch nicht erst nach Klöckners Amtsantritt am | |
[3][14. März 2018], sondern [4][bereits 2015] eingeführt worden. Die | |
vermeintliche Wunderwaffe der Ministerin gegen Lebensmittelverschwendung | |
ist ein alter Hut. Sie hat sich auch nach vier Jahren nicht durchgesetzt | |
und bewahrt kaum Essen vor der Mülltonne. Die braune, grün-orange bedruckte | |
Pappbox ist so wie Klöckners Politik: leer und altbekannt – aber fotogen. | |
Das ist bedauerlich, weil Klöckner für echte Probleme zuständig ist. | |
Jährlich werden in Deutschland mindestens 11 Millionen Tonnen Lebensmittel | |
weggeworfen, für deren Produktion jede Menge Treibhausgase ausgestoßen | |
werden. Gleichzeitig hungern weltweit mehr als 800 Millionen Menschen. | |
Klöckner will diesem Skandal außer mit der Pappschachtel zum Beispiel durch | |
banale Verbrauchertipps (bitte vor dem Besuch im Supermarkt einen | |
[5][Einkaufszettel schreiben]!) beikommen. Auch diese Kampagne läuft schon | |
seit Jahren; laut Bundesrechnungshof lässt sich jedoch nicht nachweisen, | |
dass sie auch nur eine Tonne Lebensmittelabfall vermieden hat. Ansonsten | |
hofft Klöckner, dass sich Unternehmen in Arbeitskreisen bereit erklären, | |
die Verschwendung zu reduzieren – freiwillig. Kann Jahre dauern, Ergebnis | |
ungewiss. | |
Klöckner packt hingegen nicht das an, was die Lebensmittelverschwendung | |
wirklich reduzieren würde. Sie ist zum Beispiel gegen Gesetze, die | |
Supermärkten verbieten würden, Lebensmittel wegzuschmeißen. | |
## Reden statt handeln | |
Ähnlich ineffizient sind auch die anderen Großbaustellen ihres | |
Ministeriums. Die Mehrheit der Tiere in Deutschland wird unter ethisch | |
fragwürdigen Bedingungen gehalten. Puten wird ein Teil des Schnabels, | |
Schweinen des Schwanzes amputiert, um das Vieh an die engen, reizlosen | |
Ställe anzupassen. Den meisten männlichen Ferkeln werden ohne Betäubung die | |
Hoden herausgeschnitten, Muttersauen werden wochenlang in Einzelkäfige | |
gesperrt. Klöckner könnte beispielsweise Verordnungen vorlegen, um solche | |
Missstände zu unterbinden. Macht sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie hat sich | |
erfolgreich dafür eingesetzt, dass das Parlament das schon beschlossene | |
Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration [6][noch einmal verschiebt]. | |
Statt bessere Haltungssysteme vorzuschreiben, will sie ein staatliches | |
„Tierwohlkennzeichen“ einführen für Fleisch, bei dessen Erzeugung höhere | |
als die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten wurden. Das Siegel soll – | |
wie immer bei Klöckner – freiwillig sein. Fleisch aus schlechter Haltung | |
werden die Verbraucher so nicht erkennen können. | |
Aber selbst diesen Plan, der niemandem wehtut, setzt ihr Ministerium zu | |
langsam um. Klöckners Amtsvorgänger, der CSU-Politiker Christian Schmidt, | |
hat das Siegel schon [7][im Januar 2017 angekündigt]. Doch auch zwei Jahre | |
danach gibt es noch nicht einmal eine Verordnung, die Kriterien für eine | |
einzige Tierart festlegt. Die wenigen [8][Eckpunkte], die Klöckner bereits | |
verkündet hat, sind lasch. In der ersten Stufe des Siegels soll ein 110 | |
Kilogramm schweres Schwein nur 0,9 Quadratmeter Platz und immer noch keinen | |
Auslauf bekommen. | |
Es könnte durchaus sein, dass kaum jemand dieses Siegel auf seine Produkte | |
kleben wird. Schließlich haben [9][Edeka, Rewe, Aldi, Lidl] und andere | |
große Lebensmittelhändler vergangenen Januar angekündigt, selbst ein | |
einheitliches System zur Haltungskennzeichnung einzuführen. Die Kriterien | |
ähneln Klöckners Plänen. Warum sollte sich da der Handel noch auf das | |
Siegel der Ministerin einlassen? | |
## Glyphosat ist immer noch auf dem Markt | |
Auch der von der Großen Koalition versprochene Ausstieg aus der Nutzung des | |
Pestizids Glyphosat ist unter Klöckner bislang ein Rohrkrepierer. Sie | |
präsentierte zwar Grundzüge einer „[10][Minderungsstrategie]“ für das un… | |
Krebsverdacht stehende Ackergift. Aber bis heute ist daraus keine | |
Verordnung geworden. Glyphosat wird gespritzt wie eh und je. | |
Ebenso vage bleibt ihre Position bei der Reform der EU-Agrarpolitik. Die | |
Europäische Union diskutiert gerade darüber, wie die derzeit rund [11][59 | |
Milliarden Euro pro Jahr] an Subventionen für die Landwirtschaft künftig | |
verteilt werden sollen. Vor kurzem hat sie gesagt, dass die EU-Agrarpolitik | |
mehr für Tiere und Umwelt erreichen müsse. Aber wie – das lässt sie offen. | |
Konkret ist sie jedoch darin geworden, dass sie es ablehnt, die | |
Direktzahlungen abzuschaffen oder für Großbetriebe zu begrenzen. Dabei geht | |
es um die wichtigste Subventionsart. Bauern erhalten sie dafür, dass sie | |
Land bewirtschaften und dabei etwas Selbstverständliches tun: Sie müssen | |
beispielsweise die Umweltgesetze einhalten. Das ist so, als ob Autofahrer | |
Geld dafür erhalten würden, dass sie an einer roten Ampel anhalten. | |
Klöckner selbst teilt auf die Frage der taz nach ihrer Bilanz unbeirrt mit: | |
„In diesem Jahr ist viel passiert“. Ihr Ministerium habe 6,32 Milliarden | |
Euro – so viel wie noch nie – zur Verfügung. Sie habe 9 Gesetzesentwürfe | |
ins Kabinett eingebracht, der wichtigste sei der zur Prävention der | |
Afrikanischen Schweinepest, mit dem die Behörden leichter reagieren können | |
sollen, falls die Tierseuche in Deutschland ausbricht. | |
Klöckner rechnet sich auch an, dass sie eine Beauftragte für die | |
Digitalisierung der Landwirtschaft eingesetzt hat. Denn mehr Computer auf | |
dem Acker könnten ihrer Meinung nach helfen, umweltfreundlicher zu | |
produzieren. Ob sich dieses Heilsversprechen erfüllt, ist umstritten. Und | |
es dürfte noch Jahrzehnte dauern, bis sich die Technik flächendeckend | |
durchsetzt. Insekten sterben allerdings jetzt unter anderem wegen der | |
Landwirtschaft, Grundwasser wird jetzt so stark mit Düngern belastet, dass | |
es teils nicht mehr als Trinkwasser zugelassen ist. | |
## Ein Geschenk von der Agrarministerin | |
Vergangene Weihnachten im Agrarministerium: Klöckner hält ein Päckchen mit | |
einer großen grünen Schleife in die Kamera. „[12][Ich habe ein Geschenk für | |
Euch!]“, sagt sie. „Ein Geschenk, das für das Jahr 2019 etwas ganz | |
Besonderes ist. Und ich werde es aufmachen!“ | |
Was da wohl drin ist? Das Versprechen, die Agrarsubventionen nur noch den | |
Betrieben zu geben, die besonders viel für die Umwelt und die Tiere tun? | |
Eine groß angelegte Kampagne gegen zu viel Fleischkonsum? | |
Weit gefehlt: „In diesem Geschenk“, sagt Klöckner, „steckt ein neuer | |
Instagram-Kanal!“ | |
Eine politische Reform hat die 46-Jährige in ihrem neuen Amt noch nicht | |
geschafft, aber ihre inhaltliche Leere verkauft sie sehr professionell – in | |
neuen Medien wie Instagram und alten wie Zeitungen: Sie gibt gefühlt jeden | |
zweiten Tag ein großes Interview. Ständig erscheinen auf dem | |
Twitter-Account ihres Ministeriums Werbevideos, in denen sie unverdrossen | |
und gewinnend lächelt. Da merkt man, dass sie [13][gelernte | |
Fernsehjournalistin und ehemalige Weinkönigin] ist. Sie wirkt frischer als | |
ihr bürokratisch-blasser Amtsvorgänger Schmidt. Dessen Radiointerviews | |
waren oft so verquast, dass niemand sie verstanden hat. Aber Klöckners | |
Eloquenz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie bisher ähnlich wenig | |
erreicht hat wie seinerzeit Schmidt. Die Klöckner-Show ist eben nur eine | |
Show – keine innovative Politik. | |
Manche Menschen schimpfen, solche passiven Minister würden zu | |
Politikverdrossenheit beitragen. Aber eigentlich erfüllt Klöckner nur das, | |
was die CDU vor der Wahl versprochen hat. Ihre Partei hat eben nicht | |
angekündigt, die Agrarsubventionen radikal umzuverteilen oder den | |
Fleischkonsum zu senken, sondern im Großen und Ganzen [14][alles beim | |
Alten] zu lassen. Nach einem sehr kontroversen Interview über Fleisch und | |
Tierschutz sagte Klöckner dem Autoren dieser Zeilen einmal, jeder müsse | |
seine Rolle spielen. Genau das tut sie tatsächlich. | |
9 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.restlos-geniessen.de/die-beste-reste-box/ | |
[2] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19082.pdf#P.9561 | |
[3] https://www.bmel.de/DE/Ministerium/_Texte/JuliaKloeckner_Amtsantritt.html | |
[4] https://www.zugutfuerdietonne.de/initiative-material-und-aktionen/presse/pr… | |
[5] https://www.zugutfuerdietonne.de/was-kannst-du-dagegen-tun/besser-planen/vo… | |
[6] /Bundesrat-lehnt-Fristverlaengerung-ab/!5537348 | |
[7] /Gesetzlich-geregeltes-Tierschutzlabel/!5373055 | |
[8] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tierwohl/Tierwohlkennzeichen_… | |
[9] /Aldi-und-andere-Supermarktketten/!5564757 | |
[10] https://www.bmel.de/SharedDocs/Interviews/O-Toene/18-04-17-Glyphosat-Video… | |
[11] https://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/key-policies/common-agric… | |
[12] https://twitter.com/bmel/status/1078249867229704192 | |
[13] https://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Leitung/_texte/BMin-Kloeck… | |
[14] https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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