Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Fridays for Future“ weltweit: Greta global
> Am Freitag wollen Hunderttausende junge Menschen für eine bessere
> Klimapolitik protestieren. Die Bewegung hat einen Star: Greta Thunberg.
> Wer ist sie?
Bild: Zieht die Massen an: Greta Thunberg bei einer Demonstration in Brüssel E…
Hamburg taz | Sie steckt fest, es geht nicht weiter. Presse und Fans füllen
die Straße, wedeln mit Kameras und Handys. Einige versuchen, die Kette aus
Menschen zu durchbrechen, die mühsam einen Sicherheitsabstand
aufrechterhält. Erst als die Polizei dazukommt, beruhigt sich die Situation
etwas. Kinder und Jugendliche gehen nebenher, einige rufen, um ihr Vorbild
auf sich aufmerksam zu machen. Es ist Freitag, wenn sie nicht gerade
feststeckt, zieht die Schulstreikdemo durch die Stadt: Und Greta Thunberg
läuft mitten drin.
An diesem Tag Anfang März ziehen bis zu 10.000 junge Menschen durch
Hamburg, mehr als zehnmal so viele wie in der Vorwoche. Wo Thunberg
auftaucht, wird es voll: Anfang Januar war sie beim Schulstreik in Brüssel
zu Gast, da beteiligten sich bis zu 100.000 Menschen.
Ganz allein hat die heute 16-jährige Schwedin ihren Schulstreik für mehr
Klimaschutz im August vorigen Jahres begonnen. Allein ist sie damit
inzwischen gewiss nicht mehr. Demonstriert wird in Australien und Japan, in
Kanada, Brasilien und den USA, in Nigeria und Südafrika, und in nahezu
jedem Land Europas.
Eltern haben sich solidarisiert als Parents for Future,
[1][Wissenschaftler*innen sind als Scientists for Future dabei]. Diesen
Freitag nähert sich die Bewegung ihrem bisherigen Höhepunkt: Am 15. März
soll rund um die Welt gestreikt werden. Der letzte Stand: 1.650 Orte in 105
Ländern.
## Greta Thunberg, ein Vorbild für Zehntausende
Die Fridays-for-Future-Bewegung organisiert sich lokal und unabhängig. Eine
Hierarchie oder zentrale Struktur gibt es nicht. Aber ein Zentrum: Greta
Thunberg. Viele der jungen Demonstrant*innen in Hamburg sagen, sie hätten
nicht gewusst, was sie angesichts des Klimawandels tun könnten, und
niemanden gehabt, zu dem sie aufschauen konnten. Thunberg habe das
geändert.
Auf der Bühne richten die Schüler*innen Lilli und Gustav sich direkt an
sie. „Wir danken dir, dass du damit angefangen hast, für das Klima zu
streiken. Für uns und für viele bist du ein Vorbild. Wir lieben dich für
das, was du tust. Für deinen Mut, Dinge zu sagen, die Erwachsene nicht
wahrhaben wollen. Für dein Durchhaltevermögen. Und dafür, dass du uns eine
Stimme gibst.“
Mit ihrem Schulstreik hat Thunberg die Klimakrise zu einer Angelegenheit
der Jugend weltweit gemacht. Eine junge Frau, die von sich sagt, sie sei
ihr ganzes Leben lang das „unsichtbare Mädchen“ gewesen, das hinten sitzt
und nichts sagt: Heute ist sie eine, der andere danken, weil sie ihnen eine
Stimme gibt. Als Kind habe sie die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen
aus Filmen über den Klimawandel, sagt sie. Thunberg hat die Diagnose
Asperger, sie sagt, sie könne Sorgen nicht verdrängen.
## Krank, klein unsichtbar. Und jetzt dauerpräsent
Mit elf Jahren erkrankte sie an Depression, konnte zeitweise nicht mehr zur
Schule gehen, nicht mehr essen, sprach kaum noch. Dann begann sie, sich
selbst zu ermächtigen, zuerst gegenüber ihren Eltern. Die überzeugte Greta
Thunberg, kein Fleisch mehr zu essen, vegan zu werden, nicht mehr zu
fliegen.
Thunbergs Mutter ist die Opernsängerin Malena Ernman, die Schweden 2009
beim Eurovision Song Contest vertrat. Dass Ernman nicht mehr flog, fiel der
schwedischen Öffentlichkeit auf. Dann schrieben Ernman und ihr Mann Svante
Thunberg ein Buch darüber, wie ihre Tochter sie verändert hatte. Und
schließlich setzte sich Greta Thunberg allein vor das schwedische Parlament
mit ihrem Schild: „Skolstrejk för Klimatet“, Schulstreik für das Klima.
Anfangs täglich, dann jeden Freitag. Es folgten: Schüler*innen weltweit,
die die Idee aufgriffen, eine Einladung zur UN-Klimakonferenz und ins
schweizerische Davos, [2][zum Weltwirtschaftsforum].
Das Treffen in Davos ist die alljährliche Begegnung der Politik- und
Wirtschaftselite. Als Thunberg Ende Januar nach anderthalb Tagen Zugfahrt
von Schweden in dem verschneiten Alpenstädtchen ankommt, warten Dutzende
Journalist*innen am Bahnsteig. Der Andrang ist größer als bei manchem
Staatsgast. Im Ortszentrum ist für die Klimaaktivistin eine Pressekonferenz
organisiert, davor drängeln Kamerateams. Aufpasser bahnen Thunberg eine
Gasse.
Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, begrüßt
Thunberg mit Handschlag und widmet ihr ein paar Minuten. Lagarde ist eine
der einflussreichsten Politikerinnen weltweit, sie überlegt sich genau, mit
wem sie sich vor die Kameras stellt. Aber die beiden scheinen nicht recht
zu wissen, was sie miteinander anfangen sollen. Thunbergs Gesichtsausdruck
ist angespannt. Später wird sie einem Raum voller Politik- und
Wirtschaftseliten sagen, diese hätten ihren finanziellen Erfolg auf Kosten
des ganzen Planeten erreicht: [3][Das Video ihrer Rede wird um die Welt
gehen].
## Thunberg bleibt wie ist ist: unangepasst
Thunberg, die von ihrem Vater in Davos begleitet wird, sagt leise: „Ich mag
es eigentlich nicht, vor Leuten zu reden.“ Mit dem hohen Stuhl, auf dem sie
sitzen soll, kommt sie nicht zurecht. Sie bleibt stehen. Was andere von ihr
denken, scheint Thunberg nicht zu kümmern: Sie ist ein Mensch der
Gegensätze, sie polarisiert. Man stimmt ihr zu, oder ist dagegen. So oder
so, wenn Thunberg spricht, wird zugehört. Wenigen ist sie egal. Das liegt
an dem, was sie sagt und zu wem – und wie.
„Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn das tut es.“
„Erwachsene sagen immer wieder: Wir sind es den jungen Leuten schuldig,
ihnen Hoffnung zu geben. Aber ich will eure Hoffnung nicht.“
„Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich
jeden Tag spüre.“
„Es gibt keine Grauzonen, wenn es ums Überleben geht.“
Dass Thunberg schwarz-weiß malt, ist ein häufiger Kritikpunkt. Zwar sind
die Konsequenzen der Erderwärmung Konsens in der Wissenschaft:
Naturkatastrophen, Wassermangel, Hungersnöte, saure Meere, das Aussterben
von Tierarten. Kritik an Thunbergs Aussagen bezieht sich aber meist gar
nicht auf den menschengemachten Klimawandel an sich oder die Untätigkeit,
die Thunberg anprangert, sondern auf ihre absoluten Formulierungen.
Denn es gibt sie ja doch, die Grauzonen im Überleben: Auch mit einer
Erwärmung um 4 Grad und mehr wäre menschliches Leben auf der Erde
höchstwahrscheinlich möglich. Nur eben nicht an allen Orten, an denen es
heute stattfindet. Einige wären höchstwahrscheinlich zu heiß, andere lägen
unter Wasser. Aber eben nicht alle.
Was Thunberg und die Schüler*innen der Fridays for Future von der Politik
fordern, ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. 196 Länder haben
damit 2016 zur Staatsaufgabe erklärt, die menschengemachte Erwärmung auf
deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Ob das reicht, um das unumkehrbare
Kippen des Klimas zu vermeiden, ist in der Wissenschaft umstritten.
## Ist Klimawandel „nur eine Sache für Profis“?
Für manche ist Thunberg ein Kind, trotz ihrer 16 Jahre. Ein kleines Mädchen
mit zwei langen Zöpfen, einer Wollmütze und wenig Ahnung von
wirtschaftlichen Realitäten. Dass Thunberg recht klein ist, liegt an ihrer
Depression: Als sie nicht mehr aß, hörte sie auf zu wachsen. So wirkt sie
auf viele kindlich, trotz ihres Alters. Die Jugendlichkeit machen manche
Kritiker*innen nicht nur ihr, sondern der ganzen Bewegung Fridays for
Future zum Vorwurf, so wie etwa [4][FDP-Chef Christian Lindner]: „Von
Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits globale
Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen.
Das ist eine Sache für Profis.“
Die Fridays-for-Future-Bewegung hat eine Diskussion ausgelöst – nicht
darüber, ob die Menschheit in Zukunft leben wird, sondern wie. Der Weg
dorthin war schrittweise Eskalation. Erst der Boykott der Schule für mehr
Klimaschutz durch Thunberg. Das schuf Aufmerksamkeit. Dann, dass
Schüler*innen einstiegen, die Bewegung sich international ausbreitete und
Menschen hinzukamen, die nicht mehr zur Schule gehen. Parents for Future,
[5][Scientists for Future], Interessierte. Nun folgt diesen Freitag die
maximale Eskalation: [6][Protest weltweit]. Auf der einen Seite ist das ein
Erfolg für die Bewegung. Auf der anderen Seite eröffnet es die Frage, wie
es weitergehen soll.
Was tun, wenn eine Strategie an ihrer obersten Eskalationsstufe angelangt
ist: Weitermachen, Neues ausprobieren, aufhören? Schüler*innen in Hamburg
geben sich entschlossen, immer und immer weiter zu streiken – bis die
Politik Maßnahmen ergreift, um das Zwei-Grad-Ziel zu erfüllen. „Wir werden
schulstreiken, bis sie handeln“, sagt auch Thunberg auf der Bühne. Einige
Zeit könne vergehen, bis sich Erfolg zeige. „Aber wir werden geduldig sein
und wir werden weitermachen. Denn das ist unsere Zukunft und unsere
Entscheidung.“ Es scheint also darauf hinauszulaufen, wer den längeren Atem
hat.
Thunberg macht es vor: Wenn am Freitag an über 1.000 Orten gestreikt wird,
wird sie nirgendwo zu Gast sein. Sie wird vor dem schwedischen Parlament
sitzen. Wie im August, als alles begann. Nur mit mehr Gesellschaft.
Mitarbeit: Hannes Koch
14 Mar 2019
## LINKS
[1] /Fridays-for-Future/!5576668
[2] /Klimaaktivistin-bei-Weltwirtschaftsforum/!5568222
[3] https://www.youtube.com/watch?v=RjsLm5PCdVQ
[4] /FDP-Chef-kritisiert-Schuelerstreiks/!5579467
[5] /Neue-Verbuendete-fuer-Fridays-for-Future/!5578232
[6] /Weltweiter-Klimastreik-am-Freitag/!5579802
## AUTOREN
Anett Selle
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Greta Thunberg
Schwerpunkt Fridays For Future
Protest
Lesestück Recherche und Reportage
Mensa
Schwerpunkt Fridays For Future
Greta Thunberg
Schwerpunkt Fridays For Future
Schulstreik
Schwerpunkt Fridays For Future
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Fridays For Future
Greta Thunberg
Wahlrecht
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Fridays For Future
Greta Thunberg
Schwerpunkt Fridays For Future
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Berlins erste vegane Mensa: Kein umkämpftes Politikum mehr
In Berlin eröffnet die erste vegane Mensa – gut so. Denn immer mehr
Menschen erkennen die umweltpolitische Bedeutung des Essens.
Gastkommentar Parents for Future: Wir sind es ihnen schuldig
Seit Wochen gehen Schüler für den Klimaschutz auf die Straße. Nun handeln
auch ihre Eltern. Parents for Future ruft in einer Erklärung zu weltweiten
Klimastreiks auf.
Greta Thunberg und Atomkraft: Wie viel CO2 macht eine Nebelkerze?
Konservative Medien behaupten, die Umweltaktivistin befürworte Atomenergie.
Das ist nicht nur falsch – es ist ein bewusstes Ablenkungsmanöver.
Kolumne Wir retten die Welt: Klimakiller im Kinderzimmer
Der Nachwuchs ist die größte Gefahr für die Zukunft, heißt es jetzt. Aber
wenn wir keine Kinder mehr haben – wer streikt dann am Freitag?
Fridays for Future weltweit: Demo-Neulinge gegen Klimawandel
Bis zu 20.000 junge Menschen waren in Berlin für eine bessere Klimapolitik
auf der Straße. Und wie sah es an anderen Orten nah und fern aus?
Mitorganisatorin über Fridays for Future: „Protestieren geht über Studieren…
Es gebe kein Recht auf SUVs, sagt Luisa Neubauer, Mitorganisatorin von
Fridays for Future in Berlin. Am Freitag protestieren SchülerInnen in über
100 Ländern.
Mehr als 1.500 Orte in über 100 Ländern: Proteste weltweit am Friday for Futu…
Hunderttausende junge Menschen wollen am Freitag für eine bessere
Klimapolitik streiken. taz-Korrespondenten aus aller Welt berichten über
ihre Motive.
Schwänzen für die FutureFridays: Schulklima wechselhaft
Viele Schulen in Berlin schreiben Fehlstunden auf, wenn Schüler wegen des
Klimastreiks schwänzen. Andere nehmen es lockerer.
Kommentar Schulstreiks und die Politik: Verniedlichend und verlogen
Von Kanzlerin bis FDP-Chef – alle loben nun brav den Einsatz der Jugend für
den Klimaschutz. Das ist heuchlerisch.
Jugendringvorsitzender zum Wahlrecht: „Altersgrenzen sind willkürlich“
Auch 14-Jährige sollten wählen dürfen, findet Tobias Köck, Vorsitzender des
Bundesjugendrings. Sein Verband regt sogar ein Wahlrecht ab 0 Jahren an.
Fridays for Future in Berlin: Sie sind jung und brauchen die Welt
Beim Berliner Plenum der SchülerInnenbewegung „Fridays for Future“ für ei…
bessere Klimapolitik wird der globale Streik am Freitag vorbereitet.
Podcast von Fridays for Future: 160 Jugendzimmer als Studio
Fridays for Future verbreitet einen wöchentlichen Podcast. Beteiligt sind
hunderte Jugendliche – getroffen haben sie sich noch nie.
Weltweiter Klimastreik am Freitag: 1.000 Demos in 90 Ländern
Am Freitag wollen Kinder und Jugendliche in hunderten Städten für eine
bessere Klimapolitik demonstrieren. Allein in Deutschland sind mehr als 140
Demos geplant.
Frauentags-Auszeichnung in Schweden: Greta Thunberg ist „Frau des Jahres“
Mehrere schwedische Zeitungen küren Klimaaktivistin Greta Thunberg zur
„Frau des Jahres“. Diese fühlt sich in ihrer politischen Arbeit bestätigt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.