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# taz.de -- Serien auf der Berlinale: Was schon immer gut lief
> Auf der Berlinale werden die kommenden Serien präsentiert. Darunter: viel
> Europäisches, viel Brutales, wenig Neues und wenig Lustiges.
Bild: Die britische Serie „Hanna“ beruht auf einer Filmvorlage
Der ganz große Jubel blieb dieses Jahr auf dem roten Teppich vor dem
Zoo-Palast aus. Denn das fünfte Jubiläum der Serien-Sektion der Berlinale
musste ohne internationalen Stars auskommen. Waren in den letzten Jahren
mit „Better Call Saul“, „The Looming Tower“ oder „Bloodline“ große
US-amerikanische Premieren im Programm dabei, lag der Schwerpunkt dieses
Jahr auf europäischen Produktionen.
Die britische Serie „Hanna“ der Regisseurin Sarah Adina Smith eröffnete am
vergangenen Montag das Serienprogramm im Berliner Westen. Hanna (Esmé
Creed-Miles, Foto) ist fernab von jeglicher Zivilisation im Wald
aufgewachsen. Ihr Vater Erik (Joel Kinnaman) hat ihr alles
Überlebenswichtige beigebracht: Jagen, Töten, die Namen dreier
erfolgreicher Beatles-Songs. Zum Einsatz kommen diese Fähigkeiten als die
14-Jährige getrennt von ihrem Vater vor der CIA-Agentin Marissa Wiegler
(Mireille Enos) flüchten muss und damit erstmals in die „echte“ Welt
geworfen wird.
Die Geschichte von Hanna dürfte einigen bekannt vorkommen, ist sie doch
schon 2011 als „Wer ist Hanna?“ in den Kinos gelaufen. „Ich wollte aus dem
märchenhaften Film eine Coming-of-Age-Serie machen, bei der die Charaktere
und Beziehungen tiefer beleuchtet werden“, erklärt Drehbuchautor David Farr
bei der anschließenden Fragerunde. Farr war schon Co-Autor des Films. Jetzt
wollte er dem männlich dominierten Film, eine diverse Serie entgegensetzen.
Das scheint ihm gelungen zu sein.
Mit Hanna und ihrer ersten Freundin Sophie (Rhianne Barreto) gibt es zwei
interessante Frauenrollen. Während Hanna in einer Welt ohne
festgeschriebene Geschlechterrollen aufgewachsen ist, führt Sophie sie ein
in das Leben eines Teenagermädchen. Barreto war es wichtig, dass ihre Rolle
nicht in Geschlechterklischees abdriftet: „Ich wollte ein normales Mädchen
spielt, das vor der Kamera isst und schwitzt. Und glauben Sie mir, ich habe
viel geschwitzt.“
## Die Frauen: weiß und normschön
Ansonsten scheint sich die Reihe Berlinale Series nicht sonderlich dem
Thema Geschlechtergerechtigkeit zu widmen. Im Vorfeld des Filmfestivals
wurden Zahlen zum Geschlechterverhältnis der Filmschaffenden
veröffentlicht, die Seriensektion wurde bei der Evaluierung nicht
mitbedacht. Kurz nachgezählt ergibt sich, dass nur zwei der sieben Serien
eine weibliche Regisseurin oder Showrunner haben. Vor der Kamera sieht das
Geschlechterverhältnis schon besser aus, weibliche Figuren werden komplex
dargestellt – allerdings mangelt es an Vielfalt: Ein Großteil der
Schauspieler*innen ist weiß und normschön.
Fast keine der gezeigten Serien auf der Berlinale kommt ohne einen Mord
aus. Zu lachen gibt es wenig: Es gibt zwar vereinzelt lustige Szenen wie in
„Hanna“. Denn auch wenn das Bild „Mensch entdeckt Zivilisation“ nicht
gerade neu ist, hat es doch immer wieder eine gewisse Komik, wenn eine
Person erstmalig technische Geräte, Alkohol oder einen Snickers-Riegel
entdeckt. Abgesehen davon sucht man Comedy in den Serien vergeblich. Das
Crime-Genre dominiert die Sektion.
Dazu zählt auch „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, ein Remake von Fri…
Langs Klassiker von 1931, eine der ersten deutschen Tonfilmproduktionen.
Die Handlung hat der österreichische Filmemacher David Schalko aus der Zeit
der Weimarer Republik ins Jahr 2018 und von Berlin nach Wien verlegt.
Ansonsten bleiben der Handlungsstrang und Details nah am Original. Drei
Kinder sind verschwunden, die Jagd nach dem Mörder geht los und versetzt
eine Stadt in Chaos.
Der Innenminister (Dominik Maringer) – ein Hybrid aus Sebastian Kurz und
Herbert Kickl – nutzt die Verbrechen, um seine rechtspopulistische Hetze zu
verkaufen. Ein Chefredakteur (Moritz Bleibtreu) heizt die Stimmung mit
Falschmeldungen auf, und eine Zuhälterin (Sophie Rois) organisiert eigene
Ermittlungen, damit ihr Geschäft nicht weiterhin fälschlicherweise
verdächtigt wird. Nur die beiden Eltern des verschwunden Mädchen Elfie
(Lars Eidinger und Verena Altenberger) bleiben erstaunlich ruhig.
## Der Klassiker-Remake: Zu dick aufgetragen
Einen Klassiker wie „M“ zu reinszenieren, ist gewagt. Generell überzeugt
das Plädoyer gegen Lynchjustiz auch als Serie, doch vieles ist zu dick
aufgetragen. Die gesamte Inszenierung ist zu artifiziell; Figuren, wie der
Fotograf im Pelzmantel (Udo Kier, Foto) und der Seher (Bela B.), sind zu
obskur. Und auch die extrem brutalen Szenen, wie als eine Sexarbeiterin
gezwungen wird, ihre Oralverkehrkünste an einem Kaktus vorzuführen, schaden
der Serie.
Die sechsteilige Miniserie wurde vom Österreichischen Rundfunk (ORF) sowie
von TVNow, dem Streaminganbieter von RTL produziert. „M“ ist bislang die
erste Qualitätsproduktion, die sich zwischen Reality-Shows und
Vorabendserien bei dem abopflichtigen Angebot finden lässt. Da können
Zuschauer*innen nur auf einen kostenlosen Probemonat hoffen.
Neben TVNow präsentierten auch die anderen Streaminganbieter Netflix, Sky
und Amazon ihre Serien. Netflix kam am Mittwochmittag dann auch noch
persönlich vorbei und lud zum Gespräch zum Thema: „From Idea to Screen:
Developing European Content for and with Netflix“. Hunderte Filmschaffende
und Journalist*innen wollten hören, was Netflix-Vertreter*innen über
ihre internationale Offensive zu erzählen haben. Kurz vor Beginn war
der Andrang so groß, dass im Zoopalast spontan ein zweiter Kinosaal
geöffnete wurde, in den die Veranstaltung gestreamt wurde.
Zu Gast waren fünf Direktor*innen, die für die
Netflix-Originalproduktionen in Europa zuständig sind. Seit knapp vier
Jahren versucht Netflix vermehrt, internationale Inhalte zu produzieren.
„Wir waren uns nicht sicher, ob das funktioniert, doch jetzt können wir
sagen, dass es ein großer Erfolg ist“, so Kelly Luegenbiehl, die für
Europa, Afrika und die Türkei zuständig ist. Doch wie erfolgreich das Ganze
ist, das wollten die fünf Gäste dem Publikum nicht verraten. Wie viele
europäische Produktionen sind geplant, wie viele US-Amerikaner*innen
gucken nichtamerikanische Inhalte an und wie viel Geld soll investiert
werden?
## Die Apokalypse: Made in Germany
Konkrete Zahlen gab Netflix mal wieder nicht preis. Luegenbiehl versprach
lediglich: „Wir wollen weiter wachsen in Europa. Was Sie jetzt bei Netflix
sehen, ist gerade erst der Anfang.“ Mit „Quicksand“ lief auf der Berlinale
auch die erste schwedische Originalproduktion von Netflix, in dem nach
einer Massenschießerei an einem Gymnasium, eine Schülerin plötzlich wegen
Mordes vor Gericht steht.
Die Berlinale setzte bei ihrer diesjährigen Serienauswahl neben den Remakes
auch sonst auf Altbewährtes. So lief die dritte Staffel der dänischen Serie
„Follow the Money“, von den Macher*innen von „Borgen“ und „The Killin…
Schon die erste Staffel feierte ihre Premiere auf der Berlinale, nun wurde
ein Spin-Off im Banken- und Drogenmilieu gezeigt. Ein Krimi, wie man ihn
aus Dänemark erwartet: eine vielschichtige Storyline, doch es kommt das
Gefühl auf, man müsste mit jeder skandinavischen Serie noch eins
draufsetzen. Statt mit einem Toten, beginnt die Serie gleich mit fast einem
Dutzend. Auch „False Flag“, eine israelische Thrillerserie, lief auf der
diesjährigen Berlinale in der zweiten Staffel.
Mit „Acht Tage“, der dritten Eigenproduktion von Sky Deutschland, gab es
dann doch noch etwas Neues zu sehen. In der Miniserie rast ein Asteroid auf
die Erde zu, es bleiben nur noch acht Tage, bis Europa ausgelöscht wird. In
diesem Weltuntergangsszenario müssen sich nun alle überlegen, was sie tun.
Doch so richtig glaubwürdig erscheint daran nichts. Auf dem
Supermarktparkplatz sieht es zwar ein bisschen chaotisch aus, doch
ansonsten läuft der Alltag acht Tage vor der Apokalypse ziemlich rund in
Berlin.
Bis auf einmal alles ganz schnell geht: Wie wild wird ermordet, gefeiert
und geflohen. Auch wenn die Handlung durchaus guten Serienstoff liefert,
ist die Umsetzung von Rafael Parente nicht überzeugend. Fast wünscht man
sich, die Apokalypse würde schon ein bisschen früher eintreffen.
Dass es in diesem Jahr keine US-amerikanische Serie zu sehen gibt, sei
keine Intention gewesen, sagt Solmaz Azizi, die Leiterin der Seriensektion.
„Dennoch lässt sich an der Programmauswahl ablesen, wie stark die
europäische Serienbranche mittlerweile geworden ist und was für eine
Evolution sie auch erlebt hat.“ Für Filmschaffende ist es in jedem Fall–
auch dank der Streaminganbieter – eine große Chance auch außerhalb von
Hollywood arbeiten zu können. Ob ihre Miniserien auf diesem Weg auch ein
internationales Publikum erreichen werden, hängt auch davon ab, wie viel
die Anbieter in gute Synchronisation investieren.
16 Feb 2019
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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