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# taz.de -- Serienkolumne Couchreporter: Vom unglücklichen Büro-Panda
> „Aggretsuko“ stammt aus der gleichen Feder wie Hello Kitty, ein schlauer
> Coup von Netflix also, sich die Animeserie zu sichern.
Bild: Retsuko hat das Zeug zur antikapitalistischen Ikone
Retsuko ist wie du und ich. Sie steigt morgens müde in die überfüllte
U-Bahn, fährt in ein graues Bürogebäude, lässt sich von ihrem sexistischen
Schweinechef degradieren und sehnt sich nach einer romantischen Beziehung.
Nur, dass ihr Chef sich nicht nur wie ein Schwein benimmt, sondern wirklich
eines ist. Und Retsuko ein Panda.
Mit „Aggretsuko“ hat Netflix 2018 einen grandiosen Coup gelandet. Die
Animeserie um den auslaugenden Büroalltag eines niedlichen Tierensembles
in Tokio scheint dem internationalen Publikum geradezu aus der Seele zu
sprechen. Die Publikumsreaktionen: euphorisch. Die Kritik: hingerissen.
Kein Wunder, wenn man sich Retsukos Background anschaut. Denn der
schüchterne Panda ist nicht irgendwer – und sein Erfolg nicht gerade dem
Zufall überlassen.
Die Protagonistin von „Aggretsuko“ stammt nämlich aus der Feder der
japanischen Produktionsfirma Sanrio, [1][deren berühmtestes Maskottchen
Hello Kitty] noch vor Micky Mouse, Star Wars und Winnie Puh auf Platz zwei
der umsatzstärksten Medienfranchises aller Zeiten gelistet ist (nur Pokémon
ist erfolgreicher). Nun macht sich also Panda Retsuko auf die Reise ins
Franchise-Business und wird direkt von Netflix gekrallt.
Witzig vor allem, weil Retsuko Zeug zur antikapitalistischen Ikone hat.
Fleißig und unterwürfig ist die Buchhaltungsangestellte, ja, aber das macht
sie weder glücklich, noch beschert es ihr eine Karriere, die mehr als
mittelmäßig ist. Gequält von ihrer Einsamkeit und Mobbing am Arbeitsplatz
flüchtet Retsuko in Fantasien einer traditionellen Ehe.
## Wutausbruch in der Karaokekabine
Oder in die Karaokekabine. Und da kommt es in jeder der 15-minütigen Folgen
zum heftigen Wutausbruch: Retsuko gröhlt Death-Metal-Songs über den
zurückliegenden Arbeitstag, brüllt sich in den Rausch, verteufelt Kollegen
und Chefs und das System, verwandelt sich in ein Monster, kippt sich Bier
rein, bis sie wieder leise und höflich nach Hause schleicht.
Klar, klingt nicht gerade nach einer Revolutionärin. Aber gerade deshalb
ist es so leicht, sich in der Antiheldin wiederzufinden: Nach außen spielt
Retsuko die gewissenhafte, liebenswürdige Kollegin. Privat lässt sie die
Sau raus, kotzt über alles ab und wünscht sich in eine andere Realität ohne
Lohnarbeit. Während Hello Kitty mit ihrer riesigen Schleife auf dem Kopf
infantil genug war, ohne einen Mund auszukommen, trägt Retsuko Blazer,
Bluse und muss bei einem Date den Schmerz runterschlucken, als ihre feinen
Ausgehschuhe zu kneifen beginnen.
Auch ihre Kolleg*innen finden Ebenbilder im Alltag eines jeden Betriebs: da
ist die klatschsüchtige Nilpferdin mittleren Alters Kabae, die nichts für
sich behalten kann; die manipulative Gazelle Tsunoda, die nur für
Instagram-Likes lebt; oder die todschicke Gorilla-Lady Director Gori, die
sich im Büro höchstseriös gibt und nach Feierabend ihrem verflossenen
Liebhaber nachweint.
Nach einer Weinachtsspezial-Folge, in der es um die perfekte
Social-Media-Inszenierung eines geselligen (!) Fests trotz
[2][Single-Dasein] ging, soll 2019 noch eine zweite Staffel von
„Aggretsuko“ folgen. Wie schön, denn mit Retsuko ist es nach Feierabend
weniger einsam.
6 Jan 2019
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!5052036
[2] /Ploetzlich-wieder-Single/!5555395
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Die Couchreporter
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