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# taz.de -- Kritik am Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Ihr Fachkräfte, kommet
> Das 149 Seiten dicke Papier zum Einwanderungsgesetz sei zu bürokratisch,
> kritisiert die Opposition. Doch auch in der Union gibt es Bedenken.
Bild: Leute wie er werden dringend gebraucht
Berlin taz | Matiullah Hussainzai runzelt kurz die Stirn, als er nach den
richtigen Worten sucht. „Ich hoffe, in Deutschland bleiben zu können.
Deswegen versuche ich, alles richtig zu machen“, sagt der 27-jährige
Afghane. Er habe Deutschkurse besucht, Maßnahmen absolviert. Jetzt bereite
er sich mit einem Praktikum auf eine Ausbildung im „Kreuzberger Himmel“
vor. Er steht hinter dem Tresen des Berliner Restaurants, das sich auf die
Ausbildung und Beschäftigung von Geflüchteten spezialisiert hat, hinter ihm
stapeln sich Gläser mit eingelegten Zitronen.
Hussainzai ist einer der Männer, um die sich der politische Streit in den
vergangenen Tagen gedreht hat: Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde,
die aber dennoch weiter in Deutschland sind. Seit drei Jahren sei er nun in
Deutschland, erzählt Hussainzai. In seiner Heimat arbeitete er als Maler
und Lackierer – eine Ausbildung dafür gibt es in Afghanistan nicht.
In seinem Dorf in der Nähe von Dschalalabad habe man aus Angst vor den
Taliban eine Sicherheitsgruppe bilden wollen, erzählt Hussainzai, auch er
war dabei. Doch dann schnappten die Taliban einen von ihnen, und der trug
eine Liste mit allen Namen bei sich. „Einen Monat lang habe ich mich in
Kabul versteckt“, sagt Hussainzai. Dann habe er sich mit Hilfe von
Schleppern über die Balkanroute nach Deutschland durchgeschlagen.
Gegen die Ablehnung seines Asylantrags wehrt sich Hussainzai nun mit einem
Anwalt. Die Ausbildung im Kreuzberger Himmel würde für ihn in dieser
Situation mehr als nur einen Job bedeuten: Er bekäme eine
Ausbildungsduldung und damit die Sicherheit, während dieser dreijährigen
Duldung und für den Fall einer Anschlussbeschäftigung auch in den folgenden
zwei Jahren nicht abgeschoben zu werden.
## Ein „Riesenschritt, ein „historischer Tag“
Anders als zunächst geplant sollen Fälle wie der von Hussainzai künftig
nicht unter das [1][Fachkräfteeinwanderungsgesetz] fallen. Die
Ausbildungsduldung wird genau wie eine neu geschaffene
Beschäftigungsduldung in ein eigenes Gesetz ausgelagert – das erklärten am
Mittwochvormittag Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU),
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundeswirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU). Beide Gesetzentwürfe hatte das Kabinett am Morgen
beschlossen.
[2][Die Diskussion über ein deutsches Einwanderungsgesetz zieht sich seit
Jahren wie Kaugummi]. Von einem „Riesenschritt“ sprach Heil nun sichtlich
zufrieden. Ihm sei kein anderes Land weltweit bekannt, das ein „so modernes
und unbürokratisches“ Einwanderungsgesetz habe, triumphierte Seehofer. Und
Altmaier sprach gar von einem „historischen Tag“: „Wir lassen hiermit 30
Jahre ideologischer Debatte hinter uns.“
Das neue Gesetz soll mit seinen 149 Seiten nun Fachkräften aus
Nicht-EU-Ländern erlauben, zur Erwerbsarbeit nach Deutschland einzureisen.
Entsprechende Regelungen gibt es bereits für Akademiker*innen und
Engpassberufe. „Dem soll die berufliche Qualifikation nun gleichgestellt
werden“, sagte Seehofer. Für Niedrigqualifizierte sieht das Gesetz keine
Erleichterungen vor.
## Teilqualifikationen können nachgeholt werden
Die Minister betonten: „Wir wollen Einwanderung in den Arbeitsmarkt, nicht
in die Sozialsysteme.“ Konkret soll ein Visum bekommen, wer über eine mit
deutschen Standards vergleichbare Berufsausbildung verfügt, die deutsche
Sprache beherrscht und ein Jobangebot vorweisen kann.
In bestimmten Fällen sollen Teilqualifikationen auch in Deutschland
nachgeholt werden können. Die Vorrangprüfung, nach der zunächst geprüft
werden muss, ob für einen Job Deutsche oder EU-Bürger*innen zur Verfügung
stehen, soll entfallen. Fachkräfte, die ihren Lebensunterhalt selbst
bestreiten, dürfen zudem für sechs Monate zur Jobsuche einreisen. Unter
noch strengeren Bedingungen ist dies auch zur Ausbildungsplatzsuche
möglich.
Das zweite Gesetz soll eine bundeseinheitliche Umsetzung der
Ausbildungsduldung garantieren. Bisher wurde diese in verschiedenen
Bundesländern sehr unterschiedlich ausgelegt, Bayern etwa gilt als
besonders restriktiv. Künftig sollen diese Regelungen auch für Assistenz-
oder Helferausbildungen gelten, wenn sich eine Berufsausbildung anschließt.
## Anreiz, illegal nach Deutschland zu kommen
Für ausreisepflichtige Menschen, die seit mindestens 18 Monaten einer
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von mindestens 35 Stunden die
Woche nachgehen, deutsch sprechen, ihren Lebensunterhalt finanzieren, deren
Identität geklärt ist und die nicht straffällig geworden sind, soll es
zudem die Möglichkeit einer „Beschäftigungsduldung“ von 30 Monaten geben,
an die sich eine Aufenthaltserlaubnis anschließen kann. Die Voraussetzungen
seien bewusst sehr streng gewählt, sagte Seehofer.
Dieser Punkt war in der Debatte über den Referentenentwurf der wohl
umstrittenste – wohlgemerkt nicht zwischen Union und SPD, die sich
eigentlich eine noch liberalere Lösung gewünscht hatte. Es waren Stimmen
innerhalb der Union, die eine Beschäftigungsduldung selbst unter solch
strengen Voraussetzungen keinesfalls wollten.
Bis Dienstagnachmittag war unklar, ob der Entwurf am Mittwoch überhaupt ins
Kabinett könne. Als „aus fachpolitischer Sicht nicht zustimmungsfähig“
hatten CDU-Innen- und Wirtschaftspolitiker die Regelungen zu Duldung und
Ausbildungsplatzsuche zuvor in einem Schreiben genannt.
Die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU),
hatte im Merkur kritisiert, das Gesetz biete „Migrationswilligen“ weltweit
einen Anreiz, nach Deutschland zu kommen – auch illegal. Wohl auch als
Reaktion darauf sind die Beschäftigungsduldung sowie die Einreise zur
Arbeits- oder Ausbildungsplatzsuche zunächst zeitlich befristet.
## Seehofer: Diskussionen als „Nervenprobe“
In einem Schreiben an Seehofer und Altmaier betonten hingegen die Chefs der
verschiedenen Arbeitgeberverbände vergangene Woche, wie wichtig die
Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten sei.
Die bisherigen Diskussionen seien zeitweise eine „Nervenprobe“ gewesen,
sagte Seehofer am Mittwoch. Nun erwarte er „intensive Beratungen“ im
parlamentarischen Verfahren. In diesem müsse nun auch die SPD stärker
Position beziehen, fordert Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG
Migration in der SPD: „Was dieses Gesetz ausdrückt, ist nicht das
Willkommen, das es sein müsste.“ Es sei noch immer zu bürokratisch, [3][um
Deutschland für Fachkräfte attraktiv zu machen]. Geduldeten helfe es nur
punktuell. „Sobald es um Migration geht, setzen bei der Union leider
Vernunft und Verstand aus.“
Die Forderungen der Verbände, der Wirtschaft und der Unternehmen blieben
ungehört, kritisierte auch Filiz Polat von den Grünen. „Der schwarz-roten
Koalition fehlen Mut und Innovationskraft für einen großen Wurf in der
Migrationspolitik.“ Gökay Akbulut von der Linksfraktion konstatierte, wenn
es um Geflüchtete gehe, herrsche „unverändert ein ideologisch dominiertes
Abwehrdenken“. Die Liberale Linda Teuteberg bemängelte, angesichts der
voraussichtlich 3,9 Millionen benötigten Arbeitnehmer in den kommenden
Jahren sei das Gesetz „wirklich ein Tropfen auf den heißen Stein“.
19 Dec 2018
## LINKS
[1] /Fachkraefteeinwanderungsgesetz-steht/!5560255
[2] /Entwurf-gegen-Fachkraeftemangel/!5548753
[3] /Fachkraeftemangel-in-Deutschland/!5544958
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Einwanderungsgesetz
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Migration
Arbeitsmarkt
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