# taz.de -- Kommentar Streit um Italiens Haushalt: Sparen hilft nicht | |
> Die EU-Kommisson behandelt ihre Mitglieder ungerecht. Von Italien | |
> verlangt sie eine strengere Sparpolitik. Dabei heißt das Problem | |
> Stagnation. | |
Bild: Genervt, aber beharrlich: Italiens Innenminister Matteo Salvini | |
Die italienische Regierung ist zwar populistisch, aber ökonomischen | |
Sachverstand besitzt sie. Gnadenlos legen die Italiener offen, dass die | |
[1][EU-Kommission ihr Land viel härter anfasst als die anderen | |
Eurostaaten]. Jüngster Anlass: Der französische Präsident Macron plant | |
jetzt mit einem Haushaltsdefizit von über drei Prozent für 2019, was aber | |
in Brüssel niemanden aufregt. Italien hingegen wurden für ein angepeiltes | |
Minus von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung [2][Milliardenstrafen | |
angedroht]. Wie kann das sein? | |
Die Italiener wundern sich zu Recht, zumal nicht nur Frankreich die | |
Defizitregeln großzügig auslegt. Belgiens Haushalt, zum Beispiel, wies seit | |
der Finanzkrise 2008 ständig hohe Defizite auf, und auch dieses Jahr dürfte | |
das Minus bei knapp 6 Prozent liegen. Aber ein Defizitverfahren gegen die | |
Belgier gab es nie. | |
Trotzdem bleibt die EU-Kommission hart: Für die Italiener gälten andere | |
Regeln, da ihre Schulden schon so hoch seien! Rom müsse sparen, um diese | |
Last wieder abzubauen. Brüssel agiert, als wäre Italien mit Familie Mayer | |
in Dinslaken zu vergleichen. Die Mayers dürfen ja auch keine Schulden | |
machen, ohne sie zurückzuzahlen. | |
Es ist jedoch ein Missverständnis, dass Staaten wie Familien sparen | |
könnten, um Schulden zu reduzieren. Die Italiener sparen seit Jahrzehnten | |
vergeblich. Pro Einwohner hat der Staat seine Ausgaben seit 1991 kaum | |
erhöht, wie die [3][italienische Ökonomin Antonella Stirati in einem | |
taz-Interview] vorgerechnet hat. | |
## Ein Teufelskreis | |
1991 lagen Italiens gesamte Staatsausgaben – Sozialleistungen, Gehälter des | |
öffentlichen Dienstes, Investitionen, Zinszahlungen – bei 12.500 Euro pro | |
Kopf. Heute sind es 13.000 Euro. In Deutschland dagegen stiegen die | |
staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben von 11.800 auf 15.000 Euro, und in Frankreich | |
legten sie von 12.600 auf 18.000 Euro zu. | |
Italien spart seit fast dreißig Jahren, aber die Staatsschulden wurden | |
trotzdem nicht reduziert. Jeder Laie würde sofort erkennen, dass Sparen | |
nicht hilft. Nur die EU-Kommission hält unbeirrt an ihrem neoliberalen | |
Mantra fest, dass der Haushalt zu „konsolidieren“ sei. Italien hat aber gar | |
kein Problem bei den Ausgaben – sondern bei den Einnahmen. Die italienische | |
Wirtschaft stagniert seit zwanzig Jahren. Seit der Euro-Einführung ist sie | |
in der Summe fast nicht gewachsen, während die deutsche Wirtschaft | |
zeitgleich um etwa 30 Prozent zugelegt hat. | |
Hätten die Italiener ein Wachstum genossen wie die Deutschen, dann lägen | |
ihre Staatsschulden heute nicht bei 130 Prozent der Wirtschaftsleistung, | |
sondern nur bei 100 Prozent. Italien befände sich in einer Liga mit Belgien | |
und Frankreich und hätte seine Ruhe. Stattdessen steckt es in einem | |
Teufelskreis: Weil die Staatsschulden hoch sind, soll es sparen. Aber weil | |
es spart, kommt die Wirtschaft nicht in Gang – und die Staatsschulden | |
klettern weiter. | |
## Die Italiener sind nicht selbst schuld | |
Das Mitleid der anderen Eurostaaten ist jedoch begrenzt. Hartnäckig hält | |
sich der Eindruck, die italienischen Probleme seien „hausgemacht“. Doch das | |
ist ein Vorurteil. Die Italiener sind nicht selbst schuld, sondern Opfer | |
der Eurokrise. Der jüngste Rückschlag lässt sich genau datieren: Ab dem 21. | |
Juli 2011 schossen die Zinsen für italienische Staatskredite plötzlich in | |
unerträgliche Höhen, weil ein Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert | |
wurde. | |
Italien ist bekanntlich nicht Griechenland, aber das interessierte die | |
Investoren nicht mehr. Die EZB wartete ein Jahr lang ab, bevor sie die | |
Finanzpanik endlich stoppte. Für Italien war das zu lang, das Land rutschte | |
in eine schwere Rezession, von der es sich bis heute nicht erholt hat. | |
Jetzt hat die EU-Kommission zwischen den Zeilen wieder gedroht, die | |
Finanzmärkte von der Leine zu lassen und die italienischen Zinsen nach oben | |
zu treiben. Prompt sind die Italiener eingeknickt und werden ihren Haushalt | |
kürzen. Aber die Eurokrise ist damit nicht gelöst – sondern verschärft sich | |
weiter. | |
16 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Italienische-Schuldenpolitik/!5550452 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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