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# taz.de -- Italienische Schuldenpolitik: Italien ist nicht Griechenland
> Die Regierung in Rom will die EU mit ihrem Haushalt erpressen. Eine
> Gefahr für die EU? Eher eine für Italiens Privathaushalte.
Bild: Ist die Sitzgruppe für die Gläubiger schon gerichtet? Italien taktiert …
Das Duell [1][zwischen Italien und Europa] geht in eine neue Runde. Nach
einem angespannten Schlagabtausch über Italiens Haushaltspläne hat die
Europäische Kommission am 21. November den italienischen Haushalt abgelehnt
und sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte für ein Defizitverfahren
[2][gegen einen Mitgliedsstaat ausgesprochen]. Die italienische Regierung
strebte im vorgelegten Haushalt für 2019 eine Neuverschuldung von 2,4
Prozent an. Damit lag sie um 1,5 Prozentpunkte über dem Prozentsatz der
Neuverschuldung, den Europa mit der Vorgängerregierung vereinbart hatte.
Italien will neue Schulden machen, um die Versprechen in die Tat
umzusetzen, die [3][der rechten Lega] und der [4][Fünf-Sterne-Bewegung] im
Sommer 2018 die Wählergunst zuspielten. Ein „Grundeinkommen“ wurde da
vollmundig angepriesen, das in seinem Entwurf allenfalls einer sozialen
Grundabsicherung, ähnlich dem deutschen Hartz IV, entspräche. Unternehmen
wurden mit Steuergeschenken gelockt, die einer Flat Tax gleichkommen
sollen.
Vor diesem Hintergrund hatte die Europäische Kommission bereits Ende
Oktober Widerstand angekündigt. Die italienische Regierung ließ sich davon
nicht beirren und suchte die Auseinandersetzung mit Brüssel. Ganz Italien
spricht seitdem über lo spread. Gemeint ist der Risikoaufschlag für den
[5][Kauf von italienischen Staatsanleihen] im Verhältnis zu deutschen
Bundesanleihen. Seit Anfang Oktober liegt der Spread bei über 3 Prozent.
Seit fünf Jahren waren die Zinsen nicht so hoch, war das Vertrauen der
Märkte in das Abtragen der italienischen Staatsschuld so gering.
Der Vertrauensverlust kommt Italien teuer zu stehen. Wer die italienischen
Staatsanleihen kauft, will nun auch mehr Zinsen für das aufgenommene
Risiko. Zinsen auf große Fragen wie: Was, wenn Italien scheitert? Was, wenn
die Rechtsaußen-Regierung – ihrem populistischen Habitus treu – unter
Salvini die Leitung nach Europa kappt, den Staatsbankrott erklärt und zur
Lira zurückkehrt?
„Ein Haushalt, der couragiert wichtige Punkte anvisiert“, erklärte Stefano
Fassina, Abgeordneter der Liberi e Uguali (LeU, frei und gleich), einer
Oppositionsgruppierung der parlamentarischen Linken. Von 2013 bis 2014 war
Fassina Vizewirtschafts- und -finanzminister der PD. „Das Misstrauen der
Märkte ist verständlich, schließlich steht die italienische
Haushaltspolitik im Gegensatz zur schweren Ausbeutung der Arbeit, zur
Bevorzugung der Exportindustrie und der Finanzmärkte.“
## Salvini wird gestärkt
Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen
Bundestag, sieht das ähnlich. [6][Dem „Deutschlandfunk“ sagte Wagenknecht],
dass es wenig Sinn habe, einem Staat, der sich seit zehn Jahren in einer
schweren wirtschaftlichen Krise befinde, einen Sparzwang aufzuerlegen. Der
italienische Haushalt enthalte auch sinnvolle Maßnahmen wie Verbesserungen
an der Arbeitslosenversicherung oder der Frühverrentung. Und schlussendlich
mahnt Wagenknecht, ein Nein böte einer „halb faschistischen Partei wie der
Lega und Staatschef Salvini eine extreme Möglichkeit, sich zu profilieren“.
„Natürlich wird auf diese Weise Salvini gestärkt“, erklärt Sven Giegold,
finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, der taz. „Die
Europäische Kommission hat allerdings keine Alternative. Sie kann einen
Staat nicht machen lassen, was er will. Sie muss zwangsläufig eingreifen.
Jetzt muss aber ein Kompromissraum gefunden werden. Die EU muss mit Italien
verhandeln. Die 2,4 Prozent Neuverschuldung sollen temporär akzeptiert,
eine Überschreitung allerdings ganz entschieden ausgeschlossen werden.
Gleichzeitig sollte die Kommission überprüfen, ob die geplanten Ausgaben
sinnvoll für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind.“
Es besteht das Risiko, dass die Maßnahmen, die mit der Neuverschuldung
finanziert werden sollen, einen Geldregen auslösen, der die Wähler zwar
kurzfristig befriedigt, aber nicht imstande ist, Italiens Wirtschaft
wiederzubeleben. „In jedem Fall muss diese Auseinandersetzung zwischen
Italien und Europa ein Ende finden. Je intensiver sie aneinandergeraten,
desto höher steigen die Zinsen, desto mehr verschuldet sich Italien, was
jede weitere steuerpolitische Maßnahme im Keim vereitelt“, erklärt Giegold.
„Das bedeutet nicht, dass das System, das dem Euro zugrunde liegt, nicht
reformiert werden muss. Der Stabilitätspakt untersagt es den verschuldeten
Ländern, die eigene Wirtschaft über Investitionen anzukurbeln. Der
Konfrontationskurs, den Italien einschlägt, hilft nicht, politische
Änderungen herbeizuführen. Leider haben sowohl die Lega als auch die
Fünf-Sterne-Bewegung nie engagiert an den entsprechenden Diskussionen in
Brüssel teilgenommen.“
Immer offensichtlicher wird, dass dem Duell zwischen Italien und der
Europäischen Kommission eine Erpressung zugrunde liegt. Italien [7][ist
nicht Griechenland], sondern die drittstärkste Volkswirtschaft der
Eurozone, sagen sich die Politiker, die in Rom die Zügel in der Hand haben.
Und bräche Italien unter Schulden zusammen, zwänge das ganz Europa in die
Knie. Die populistische Regierung Italiens ist überzeugt, dass Brüssel
früher oder später nachgibt, um eine Ansteckung des ganzen europäischen
Finanz- und Wirtschaftsapparats durch den „Patienten Italien“ zu
vermeiden.
## Italiener werden die Rechnung bezahlen
„Nichts ist illusorischer“, erklärt Mario Seminerio, italienischer
Wirtschaftsexperte und Kritiker der italienischen Regierung, der taz. „Eine
Ansteckungsgefahr besteht nicht, denn Europa hat seit Jahren ein
‚Sicherheitsnetz‘ um Italien abgesteckt. Die Erpressung wird wirkungslos
sein, weil jede italienische Krise die schwersten Auswirkungen auf
nationaler Ebene hätte.“ Seminerio ist überzeugt, dass Italien nicht aus
dem Euro aussteigt.
Ein Ausstieg wäre desaströs für Italien und für die Regierung unter
Salvini. „Es wird auch keinen Staatsbankrott geben, denn wenn der Spread
ein ähnliches Niveau wie 2011 erreicht (5,74 Prozent; Anm. d. Red.), wird
die italienische Regierung im letzten Moment zurückrudern und in einer
Blitzaktion – wie in der Vergangenheit oft angewandt – die Vermögen
italienischer Konten, Investitionen, Wohneigentum besteuern.“
Im Unterschied zu den Griechen verfügen die Italiener über ein Vermögen von
schätzungsweise 10.600 Milliarden Euro: Das entspricht dem 4,6fachen der
Staatsverschuldung des Landes. Die Vermögen der Italiener sind eine
implizite Garantie, die der enormen Verschuldung des Staats
gegenüberzustellen ist.
„Falls der Spread die nationale Wirtschaft gefährden sollte, wird die
Regierung kapitulieren. Sobald dieser Fall eintrifft, wird man die
Zahlungsfähigkeit Italiens durch das Ansetzen neuer Steuern, vor allem der
Vermögensteuer, garantieren. Der Spread wird sinken, und wer vorher
Anleihen gekauft hat, wird davon profitieren.“ Oft seien es ausländische
Investoren, die so Gewinne abschöpften, während die Italiener die Rechnung
über die Besteuerung zahlten.
24 Nov 2018
## LINKS
[1] /Italiens-Haushaltsdefizit/!5549873
[2] /Kommentar-EU-Budgetstreit-mit-Italien/!5549775
[3] /Lega/!t5507233
[4] /Fuenf-Sterne-Bewegung/!t5027431
[5] /Italiens-Haushaltsdefizit/!5552214
[6] https://www.deutschlandfunk.de/linken-politikerin-zu-italiens-budget-die-it…
[7] /Schwerpunkt-Krise-in-Griechenland/!t5008625
## AUTOREN
Mauro Meggiolaro
Claudia Apel
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