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# taz.de -- Gewerkschaften diskutieren über Hartz IV: Jetzt doch gegen Zwang
> DGB-Chef Hoffmann übt den Schulterschluss mit dem Ver.di-Kollegen
> Bsirske: Nun treten beide für eine sanktionsfreie Mindestsicherung ein.
Bild: Demonstrierten Einigkeit: Frank Bsirske und Reiner Hoffmann in der Bundes…
BERLIN taz | In der Diskussion über eine Transformation von Hartz IV
scheinen sich die gewerkschaftlichen Reihen wieder zu schließen. Bei einem
gemeinsamen Auftritt am Donnerstag in Berlin übten der DGB-Vorsitzende
Reiner Hoffmann und Ver.di-Chef Frank Bsirske den Schulterschluss. Beide
würden für eine sanktionsfreie Mindestsicherung eintreten. „Ja, das war
auch immer so“, versicherte Hoffmann.
Damit reagierte Deutschlands oberster Gewerkschafter auf [1][heftige
Irritationen], die er mit einem [2][Interview am vergangenen Wochenende]
ausgelöst hatte. Ob es gutgehen könne, dass die Grünen das Hartz-System
reformieren wollten, „indem sie Arbeitslose nicht mehr zwingen wollen,
Arbeit aufzunehmen“, war er von den Zeitungen der Funke Mediengruppe
gefragt worden. Seine Antwort: „Das ist keine gute Idee.“
Der DGB-Chef als Befürworter eines Zwangs zur Arbeitsaufnahme? Das hatte
auch in Gewerkschaftskreisen für einigen Unmut gesorgt. Doch Hoffmann fühlt
sich missverstanden. Aus gewerkschaftlicher Sicht müsse es darum gehen,
„Menschen die Chance zu geben, in Erwerbsarbeit zu kommen, und ihnen nicht
eine Prämie anzubieten, die sie von Erwerbsarbeit frei hält“, sagte er
jetzt. Deswegen sei es wichtig, sich die Intention der [3][verschiedenen
Vorschläge] zur Überwindung von Hartz IV genau anzuschauen. Das habe er nur
deutlich machen wollen.
Gleichwohl würden die Gewerkschaften „das System von Sanktionen im
Hartz-IV-Bereich massiv kritisieren“, beteuerte Hoffmann. Er habe da auch
persönlich „eine ganz klare Haltung“ und liege in dieser Frage mit dem
Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck „auch gar nicht groß auseinander“. Habe…
hatte [4][in einem Strategiepapier] in der vergangenen Woche für eine
Grundsicherung ohne Arbeitszwang und Sanktionen plädiert.
Die aktuelle Diskussion über Hartz IV sei „nur zu begrüßen“, sagte
Ver.di-Chef Bsirske. Das Ziel müsse ein sanktionsfreies, bedarfgeprüftes
und auskömmliches Mindestsicherungsniveau sein. Erforderlich sei ein
deutlicher Anstieg der Regelsätze. Ablehnen würden die Gewerkschaften
demgegenüber ein Sanktionssystem, das die Menschen unter das
Existenzminimum treibe. Da Hartz IV inklusive des Wohngelds genau dieses
Existenzminimum abbilden soll, „kann es nicht gekürzt werden“, sagte
Bsirske entschlossen – und unter kräftigem Kopfnicken Hoffmanns.
## DGB-Index „Gute Arbeit“ vorgestellt
Eigentlicher Anlass für das gemeinsames Erscheinen von Hoffmann und Bsirske
vor der Bundespressekonferenz am Donnerstag war die Vorstellung des
diesjährigen DGB-Index „Gute Arbeit“, einer seit 2007 durchgeführten
repräsentativen Umfrage unter Beschäftigten in Deutschland zu ihren
Arbeitsbedingungen.
Das zentrale Ergebnis der Befragung: Trotz positiver Konjunktur und guten
Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt bewerten die befragten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer ihre Arbeitsbedingungen kritisch.
Demnach identifizieren sich zwar 84 Prozent der Beschäftigten in hohem oder
sehr hohem Maße mit ihrer Arbeit. Gleichwohl halten 45 Prozent ihr
Einkommen für gar nicht oder nur in geringem Maße angemessen. 37 Prozent
fühlen sich nicht rechtzeitig genug über Entscheidungen, Veränderungen oder
Pläne informiert, die für sie oder ihre Arbeit wichtig sind. Fast jede und
jeder Dritte klagt darüber, dass oft verschiedene Anforderung in sie oder
ihn gestellt werden, die schwer miteinander zu vereinbaren sind. Sehr
häufig oder oft am Wochenende müssen 28 Prozent arbeiten.
52 Prozent der Beschäftigten sehen sich sehr oft oder oft bei der Arbeit
gehetzt und unter Zeitdruck gesetzt. „Psychische Belastungen und
Arbeitsstress haben durch den digitalen Wandel zugenommen“, sagte Hoffmann.
Notwendig sei eine Trendumkehr: „Wir brauchen eine humane
Arbeitsgestaltung, die den Gesundheits- und Arbeitsschutz stärkt und die
Beschäftigten entlastet.“
Große Sorgen machen sich viele um ihre Alterssicherung. 45 Prozent der
Beschäftigten erwarten, dass ihre Rente nicht ausreichen wird, 36 Prozent
gehen davon aus, dass sie nur „gerade so“ reichen wird. Das seien die
bisher höchsten gemessenen Werte, sagte Hoffmann. „Wir müssen das Vertrauen
in die Altersvorsorge wiederherstellen“, forderte er. Das Rentenpaket der
Bundesregierung könne hier nur ein „erster Schritt“ sein, notwendig seien
„weitere Maßnahmen, die das Rentenniveau anheben und den Sinkflug der
gesetzlichen Rente dauerhaft stoppen“.
## Arbeit von Menschen an Menschen im Fokus
Ein besonderes Augenmerk legt der DGB-Index diesmal auf die
Interaktionsarbeit, also die Arbeit von Menschen an anderen Menschen.
Immerhin 63 Prozent aller ArbeitnehmerInnen arbeiten regelmäßig mit
KundInnen, PatientInnen oder KlientInnen. „Dies stellt hohe Anforderungen
an ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten, etwa bei der Kindererziehung
oder der Alten- und Krankenpflege“, sagte Bsirske. „Fakt ist aber, dass
ausgerechnet diese gesellschaftlich wichtigen Tätigkeiten zu geringe
Wertschätzung erfahren.“
Dabei ist die große Mehrzahl der in diesen Bereichen Beschäftigten
überzeugt, mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu
leisten: Mit 74 Prozent liegt hier der Anteil derjenigen, die ihre Arbeit
in hohem oder sehr hohem Maße für gesellschaftlich nützlich halten, weitaus
höher als bei den Erwerbstätigen mit wenig oder keinem KundInnenkontakt (57
Prozent).
Allerdings haben etliche der interaktiv Arbeitenden oft belastende
Erlebnisse – vom Gefühl, nur unzureichend helfen zu können, über das
Miterleben von Krankheit oder Elend bis hin zu tätlichen Angriffen etwa auf
MitarbeiterInnen des öffentlichen Dienstes. Von solchen Erlebnissen sind
insgesamt 17 Prozent der Beschäftigten sehr häufig oder oft betroffen.
Besonders hoch ist der Anteil im Sozialwesen mit 41 Prozent.
„Am deutlichsten wird die fehlende Wertschätzung bei der Bezahlung“, sagte
Bsirske. So empfänden 78 Prozent der Befragten ihr Einkommen bei den
durchweg hohen Anforderungen an ihre Tätigkeit mit Menschen als zu gering.
Nötig sei eine deutliche Aufwertung dieser Berufe und Tätigkeiten, eine den
Aufgaben angemessene Personalausstattung und eine erheblich bessere
Bezahlung.
22 Nov 2018
## LINKS
[1] /Kommentar-Gewerkschaften-fuer-Hartz-IV/!5548654
[2] https://www.morgenpost.de/politik/article215815093/DGB-Chef-Hoffmann-lehnt-…
[3] /Antworten-auf-Hartz-IV/!5548404
[4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-11/die-gruenen-robert-habeck-a…
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Reiner Hoffmann
Hartz IV
Frank Bsirske
DGB
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Arbeitslosigkeit
Bedingungsloses Grundeinkommen
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Hartz IV
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