# taz.de -- Interview zu Hartz-IV-Sanktionen: „Das ist schwarze Pädagogik“ | |
> Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger verstärken die Tendenz zur prekären | |
> Beschäftigung, sagt Arbeitslosenberater Frank Steger. Er würde ihre | |
> Abschaffung begrüßen. | |
Bild: „Wenn dieses Geld auch noch gekürzt wird, geht es ans Eingemachte“ | |
taz: Herr Steger, nach der Linkspartei fordern jetzt auch SPD und Grüne, | |
die Sanktionen bei Hartz IV ganz oder teilweise abzuschaffen. Eine gute | |
Idee? | |
Frank Steger: Ich halte das schon lange für notwendig. Die Sanktionen | |
bedeuten einen massiven Eingriff in das Existenzminimum der Leute. Sie | |
bekommen ja ohnehin nur eine Mindestsicherung. Wenn dieses Geld dann auch | |
noch gekürzt wird, geht es ans Eingemachte. | |
Wer etwa zu einem Termin nicht erscheint, bekommt für drei Monate 10 | |
Prozent des Regelsatzes gestrichen. | |
Man spricht dabei von einem „Meldeversäumnis“. Drei Viertel aller | |
Sanktionen werden nach Meldeversäumnissen verhängt. Wer einen zumutbaren | |
Job ablehnt, bekommt den Regelsatz drei Monate lang sogar um 30 Prozent | |
gekürzt. Das führt häufig dazu, dass sich die Menschen in dieser Zeit | |
schlechter ernähren. Viele leihen sich im Bekanntenkreis Geld, sie | |
verschulden sich. Die Leute geraten auch in eine soziale Isolation: Ins | |
Kino oder in eine Gaststätte zu gehen ist schon vom Regelsatz nicht oft zu | |
machen. Nach einer Kürzung um 30 Prozent ist so was gar nicht mehr möglich. | |
Wie wirken sich die Sanktionen denn Ihrer Erfahrung nach auf die Motivation | |
der Betroffenen aus, einen neuen Job zu finden? | |
Das ist sehr unterschiedlich. Einige brechen den Kontakt zum Jobcenter | |
schlicht ab. Bei jungen Menschen unter 25 Jahren wird ja besonders streng | |
sanktioniert: Wenn sie einen als zumutbar geltenden Job ablehnen, kann | |
ihnen das Jobcenter gleich den ganzen Regelsatz kürzen, nur die Miete wird | |
dann noch bezahlt. Eine Studie hat gezeigt: Vor allem diese jungen | |
Erwerbslosen entziehen sich dem Jobcenter nach Sanktionen häufig. | |
Wovon leben sie stattdessen? | |
Sie gehen in die Schattenwirtschaft und regeln ihre Verhältnisse selbst. | |
Andere passen sich an, geben dem Druck nach. Sie nehmen zum Beispiel eine | |
Arbeit an, die sie ohne Androhung von Sanktionen nicht gemacht hätten. | |
Genau das wird ja bezweckt. | |
Wenn man die Leute in den Niedriglohnsektor treiben will, kann man das | |
richtig finden. Viele nehmen Jobs an, die schlecht bezahlt sind. Trotz | |
Arbeit ist Armut dann vorgezeichnet: Die Entgelte sind häufig zu gering, um | |
davon leben zu können, die Menschen kommen später mit ihrer Rente nicht | |
über das Niveau der Grundsicherung hinaus. Die Sanktionen verstärken also | |
die Tendenz zur prekären Beschäftigung. Wollen wir das? Oder wollen wir als | |
Gesellschaft dazu beitragen, dass Arbeit auskömmlich ist und die Menschen | |
damit zufrieden sind? Ich halte es grundsätzlich für problematisch, die | |
Leute in Jobs zu zwingen, die sie eigentlich nicht machen wollen. | |
Wenn es keinen Zwang mehr gibt, zu Terminen zu kommen, an Weiterbildungen | |
teilzunehmen, besteht dann nicht die Gefahr, dass manche sich gar nicht | |
mehr rühren? | |
Ich habe ein anderes Menschenbild. Wir wissen aus unserer Beratung, dass | |
die Leute arbeiten wollen. Aber sie haben auch Ansprüche an Arbeit, und das | |
ist gut so. Für mich sind die Sanktionen schwarze Pädagogik. Dahinter | |
steckt ja die Idee: Wenn jemand etwas nicht will, dann setze ich ihn so | |
unter Druck, dass er am Ende doch spurt. Bei der Erziehung unserer Kinder | |
würden wir so nicht vorgehen, da arbeiten wir mit Zuwendung und Zuspruch. | |
Was hieße das, auf die Jobcenter übertragen? | |
Die Mitarbeiter dort müssten stärker ihren gesetzlichen Pflichten | |
nachkommen; dazu gehört auch die Beratung der Betroffenen. Sie müssten sich | |
genug Zeit nehmen, mit ihnen auf Augenhöhe sprechen und ihre Bedürfnisse | |
bei der Jobsuche berücksichtigen. Viele Arbeitslose klagen, sie würden | |
nicht wie „Kunden“ – so heißen sie ja im Jobcenter –, sondern wie | |
Bittsteller behandelt. Die Abschaffung der Sanktionen wäre da sicherlich | |
hilfreich. | |
Darüber reden jetzt ja viele. Wenn man Hartz IV verändert, sind die | |
Sanktionen das drängendste Problem? | |
Nein, in unsere Beratungen kommen die Menschen überwiegend mit anderen | |
Anliegen. Am meisten bedrücken die Leute die hohen Mieten. Auch die | |
niedrigen Regelleistungen sind ein Dauerthema oder die Frage, was übrig | |
bleibt, wenn sie etwas dazuverdienen. Trotzdem sind die Sanktionen ein | |
brennendes Problem: Sie sollen abschrecken und die Menschen gefügig machen. | |
Dieser Druck schwingt bei den Leuten immer mit. Insofern ist es gut, dass | |
SPD und Grüne, die Hartz IV im Jahr 2005 eingeführt haben, daran jetzt | |
etwas ändern wollen. | |
21 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
## TAGS | |
Bedingungsloses Grundeinkommen | |
Schwerpunkt Armut | |
Hartz IV | |
Arbeitslose | |
Linkspartei | |
Hartz IV | |
Reiner Hoffmann | |
Hartz IV | |
Arbeitslosengeld II | |
Michael Müller | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kipping und Lauterbach zur Sozialreform: „Hartz IV ist ein Gespenst“ | |
Katja Kipping (Linke) und Karl Lauterbach (SPD) sind sich einig: sie wollen | |
Hartz IV abschaffen, Reiche stärker besteuern und Neiddebatten beenden. | |
Gastkommentar Sanktionen und Hartz IV: Sozialstaat ist kein Freibier | |
Ohne das Prinzip von Leistung und Gegenleistung geht es nicht. Das Problem | |
sind nicht unwillige Arbeitslose, es mangelt an Unterstützung. | |
Gewerkschaften diskutieren über Hartz IV: Jetzt doch gegen Zwang | |
DGB-Chef Hoffmann übt den Schulterschluss mit dem Ver.di-Kollegen Bsirske: | |
Nun treten beide für eine sanktionsfreie Mindestsicherung ein. | |
Diskussion um Reform von Hartz IV: Wo Sanktionen wirken | |
Funktioniert Hartz IV ohne Druck? Eine Studie zeigt, dass bestrafte | |
Arbeitslose eher einen Job annehmen. Doch es gibt auch andere Erkenntnisse. | |
Kommentar Arbeitslosengeld II: Was SPD und Grüne bei Hartz IV trennt | |
SPD und Grüne haben verschiedene Perspektiven auf Hartz IV. Wichtiger ist | |
jedoch der sich abzeichnende Wechsel im Denken. | |
Solidarisches Grundeinkommen: Genosse Gegenwind | |
Michael Müllers Idee von einem solidarischen Grundeinkommen wird | |
ausgerechnet vom SPD-Arbeitsminister ausgebremst. |