# taz.de -- Solidarisches Grundeinkommen: Genosse Gegenwind | |
> Michael Müllers Idee von einem solidarischen Grundeinkommen wird | |
> ausgerechnet vom SPD-Arbeitsminister ausgebremst. | |
Bild: Hartz IV überwinden? Pustekuchen! | |
Mit dem Vorschlag für ein „solidarisches Grundeinkommen“ erregte Michael | |
Müller viel Aufsehen. Seine Idee klang visionär; der Regierende verknüpfte | |
sie mit einer sehr grundsätzlichen Kritik an Hartz IV, sagte Dinge wie: | |
„Für die Hartz-Gesetze hat es nie eine gesellschaftliche Akzeptanz | |
gegeben.“ Oder: „Hartz IV werden wir nicht von heute auf morgen abschaffen. | |
Aber man muss mal irgendwo anfangen.“ Müller bekam dafür Applaus auch aus | |
der eigenen Partei, Visionäres wird in der SPD derzeit dringend gesucht. | |
Doch ausgerechnet ein Genosse lässt Müller nun auflaufen: | |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das Projekt nach taz-Informationen | |
nicht mit seinen Mitteln unterstützen. Mehr noch: Er ist offenbar gegen das | |
Vorhaben. Nach Berichten aus Parteikreisen kam es auf einer | |
Vorstandssitzung der SPD vor anderthalb Wochen zu einer Auseinandersetzung | |
zwischen Heil und Müller. Der Bundesarbeitsminister soll Müllers Ansatz | |
dabei als für die Partei schädlich bezeichnet haben. | |
Für den Senat bedeutet Heils Ablehnung: Berlin ist bei der Einführung des | |
sogenannten solidarischen Grundeinkommens finanziell weitgehend auf sich | |
gestellt. Zwar soll das Projekt weiter wie geplant mit 1.000 Stellen | |
starten, heißt es aus der Senatskanzlei. Anders als bisher mittelfristig | |
angedacht wird es vorerst aber nicht auf 4.000 Stellen ausgeweitet. Das ist | |
bitter für Müller: Aus seinem groß diskutierten Vorhaben wird real eine | |
recht überschaubare Beschäftigungsmaßnahme. | |
Seit einem Jahr wirbt Michael Müller für seine Idee eines | |
„[1][solidarischen Grundeinkommens]“. Mit einem bedingungslosen | |
Grundeinkommen hat das Modell nichts zu tun, tatsächlich geht es um | |
öffentlich geförderte Jobs. Langzeitarbeitslose sollen gemeinnützige | |
Tätigkeiten bei landeseigenen Unternehmen oder Sozialträgern verrichten, | |
etwa als Fahrgastbegleiter, als Concierge bei Wohnungsbaugesellschaften | |
oder als Integrationslotsen. Sie sollen nach Tarif, mindestens aber nach | |
dem Mindestlohn bezahlt werden. | |
Gut möglich, dass Hubertus Heil Müllers Vorschlag als Konkurrenz empfand: | |
Auch er entwickelte nach seiner Ernennung zum Arbeitsminister im März ein | |
Modell, um Langzeitarbeitslose in öffentlich geförderte Jobs zu bringen. | |
Ende letzter Woche hat der Bundestag das sogenannte Teilhabechancengesetz | |
beschlossen, im Januar tritt es in Kraft: 150.000 Arbeitsplätze sollen für | |
eine Dauer von bis zu fünf Jahren entstehen, 4 Milliarden Euro stehen dafür | |
zur Verfügung. | |
Von diesem Geld hätte der Senat gerne etwas für das „solidarische | |
Grundeinkommen“ abgekriegt. Allerdings unterscheiden sich beide Modelle: | |
Heil will Langzeitarbeitslose in Jobs bringen, die sechs oder mehr Jahre | |
ohne Arbeit sind. Müller dagegen möchte vor allem den Menschen Jobs | |
anbieten, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I in Hartz IV fallen | |
würden – also schon nach ein bis zwei Jahren Arbeitslosigkeit. Der Senat | |
verhandelte deshalb mit dem Bundesarbeitsministerium über eine | |
„Öffnungsklausel“, die auch die Beschäftigung von Menschen ermöglicht | |
hätte, die kürzer arbeitslos sind. | |
Daraus wurde nichts. „Das Teilhabechancengesetz soll jenen, die schon lange | |
vergeblich nach Arbeit suchen, eine neue Perspektive eröffnen“, schreibt | |
eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums auf taz-Anfrage. Müllers | |
Pilotprojekt verfolge dagegen das Ziel, „arbeitsmarktnahe Personen | |
dauerhaft gefördert zur Erledigung kommunaler Aufgaben einzusetzen“. Ein | |
Abweichen von Heils Vorgaben, „insbesondere hinsichtlich der vorgesehenen | |
Zielgruppe, kommt nicht in Betracht“. | |
Ülker Radziwill, stellvertretende Fraktionschefin der SPD im | |
Abgeordnetenhaus und sozialpolitische Sprecherin, kann sich Heils Reaktion | |
nicht erklären. „Viele in der Berliner SPD verstehen das nicht“, sagt sie. | |
Sie hätte mit starker Unterstützung aus dem Bundesarbeitsministerium | |
gerechnet. Die jetzige Lage bezeichnet sie als „sehr bedauerlich“. | |
Radziwill sagt: „Ich verstehe nicht, warum so viel Energie darauf | |
verschwendet wird, eine gute Idee zu verhindern, statt sie umzusetzen.“ | |
Für die Berliner Arbeitslosen heißt das: Beide Modelle werden nebeneinander | |
existieren. Wer schon länger ohne Job ist, könnte ab Januar über Heils | |
Gesetz einen öffentlich geförderten Job kriegen. Wie viele Stellen dabei | |
entstehen, werde noch geprüft, so eine Sprecherin der Senatsverwaltung für | |
Arbeit. | |
Im zweiten Halbjahr 2019 will der Senat dann das eigene Pilotprojekt des | |
„solidarischen Grundeinkommens“ starten und nach und nach 1.000 Stellen | |
aufbauen. Auch Bundeshilfen sollen dafür verwendet werden, den größeren | |
Teil der Kosten wird aber Berlin allein stemmen müssen: Bis zu maximal 30 | |
Millionen Euro könnte das Berlin pro Jahr kosten, heißt es aus | |
Senatskreisen. | |
Beschäftigungsmaßnahmen gab es in Deutschland schon viele, in Berlin | |
richtete zuletzt der rot-rote Senat von 2007 bis 2011 den öffentlich | |
geförderten Beschäftigungssektor ÖBS ein mit zeitweise über 7.000 Stellen. | |
Dagegen wirkt Müllers „solidarisches Grundeinkommen“ mit 1.000 Stellen | |
klein. Allerdings hat das Pilotprojekt aus Sicht der Erwerbslosen einen | |
klaren Vorteil: Die TeilnehmerInnen sollen unbefristete Arbeitsverträge | |
erhalten. Das wäre tatsächlich eine Neuerung. | |
14 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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