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# taz.de -- AfD und der Verfassungsschutz: Im Visier
> Die AfD steht unter Druck. Nicht nur wegen der Spendenaffäre – ihr droht
> auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Bild: Watching you
Magdeburg, Berlin taz | Thomas Haldenwang sitzt am Freitag im Saal 4900 des
Bundestags, rote Krawatte, schwarzer Anzug. Es läuft die Anhörung der
Geheimdienstchefs, ein noch neues, jährliches Format. Für Haldenwang ist es
der erste offizielle Auftritt als neuer Verfassungsschutzpräsident. Und der
58-Jährige lässt aufhorchen. Er werde künftig „bestimmte Akzente“ anders
setzen, mehr auf den Rechtsextremismus schauen. Eine seiner ersten Aufgaben
dabei: Muss sein Amt die AfD beobachten?
„Sehr sorgfältig und korrekt“ werte man dazu momentan Material aus, führt
Haldenwang aus. Zum Jahreswechsel werde man eine Entscheidung treffen. „Und
damit arbeiten wir dann.“
Erst am Donnerstag war [1][Haldenwang als neuer Verfassungsschutzpräsident]
ernannt worden. Vorausgegangen waren Wochen des Aufruhrs für sein Amt, als
Vorgänger Hans-Georg Maaßen die rechten [2][Chemnitz-Krawalle relativierte]
und sich offen gegen die Kanzlerin stellte.
Nun soll Haldenwang, zuvor fünf Jahre Vize des Dienstes, wieder für Ruhe
sorgen – und muss gleich eine Grundsatzfrage klären, die für viel Unruhe
sorgen dürfte: Haben die Rechtspopulisten von der AfD schon den Schritt hin
zu offenen Verfassungsfeinden gemacht? Kann das Amt eine Partei ins Visier
nehmen, die inzwischen in allen Landesparlamenten und im Bundestag sitzt?
Ja, muss er?
## Nervosität offensichtlich
Schon seit Wochen sammeln die Geheimdienstler dazu Material. Kommt die
Beobachtung, wäre es ein massiver Einschnitt für die AfD: Die Partei würde
sich bei der NPD oder den Republikanern einreihen. Das Schmuddel-Image wäre
perfekt. In der AfD ist die Nervosität darüber offensichtlich. An diesem
Wochenende will sie auf dem Parteitag in Magdeburg ihre Europaliste wählen.
Am Freitagnachmittag aber gibt es in den Gängen der Messehalle neben der
Spendenaffäre von Fraktionschefin Alice Weidel vor allem ein Thema: die
drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Immer wieder zücken
Parteivertreter ihre Handys, ein Bericht der Stuttgarter Nachrichten macht
die Runde: „Verfassungsschutz beobachtet AfD-Jugendorganisation im Land.“
Es ist der dritte Landesverband der Jungen Alternative, der nun unter
Beobachtung steht. Dass es bald auch die AfD in Gänze treffen könnte, sorgt
hier viele.
Dabei hatte die Partei die Verfassungsschützer zuletzt geradezu
herausgefordert. In Chemnitz zogen Funktionäre mit Pegida und Neonazis
durch die Stadt. Parteichef Alexander Gauland relativierte das NS-Regime
als „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte, forderte nicht mehr nur einen
Wechsel der Regierung, sondern des ganzen „Systems“. Partei-Rechtsaußen
Björn Höcke sieht Deutschland „im letzten Degenerationsstadium“ der
Demokratie und denkt über die Rettung durch einen starken Mann nach.
Und immer wieder ätzt die Partei über eine angebliche „Umvolkung“, einen
„Volkstod“ oder Flüchtlinge als „Invasoren“. Noch im Frühjahr sah der
Verfassungsschutzverbund für eine Beobachtung der AfD „keine ausreichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte“. Es schien vor allem das Bundesamt unter
Maaßen, das abblockte. Einige Landesämter hatten schon damals eine
„Neubewertung“ gefordert.
## Die Entscheidung ist heikel
Nach Chemnitz haben einige Länder aber Fakten geschaffen: Anfang September
erklärte der Thüringer Verfassungsschutz den dortigen AfD-Landesverband um
Höcke zum „Prüffall“. In Bremen, Niedersachsen und jetzt Baden-Württembe…
werden die AfD-Jugendverbände beobachtet, in Bayern drei
Landtagsabgeordnete der Partei.
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz forderte nun aus den Ländern
Material an, vergangene Woche lieferte auch Sachsen, das zuvor rechtliche
Bedenken angemeldet hatte. Manche Länder übermittelten wenige Seiten,
andere mehrere Hundert. Alles stammt aus offener Sichtung: Redeabschriften,
Zeitungsartikel, Internetpostings. Im Bundesamt wird all das von einer
17-köpfigen Expertengruppe bewertet.
Klar ist schon jetzt: Die Entscheidung ist heikel. Die Hürde, eine Partei
zu beobachten, ist hoch. Der AfD muss nachgewiesen werden, dass sie
zielgerichtet und im Gesamten gegen die demokratische Grundordnung kämpft.
Zudem ist die AfD längst keine Splitterpartei mehr wie die NPD. Sie könnte
2019 bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft werden – und
dann unter Geheimdienstaufsicht stehen?
„Wir bewegen uns auf äußerst vermintem Gebiet“, heißt es aus den Reihen …
Verfassungsschutzes. Und längst versucht die AfD gegenzusteuern. So hat der
Bundesvorstand eine Arbeitsgruppe um Fraktionsvize Roland Hartwig
eingesetzt, der früher Chefjustiziar bei Bayer war. Ein Gutachten empfiehlt
der Partei, künftig vieles zu unterlassen: die „pauschale Diffamierung“ von
Muslimen etwa oder die Verwendung „extremistischer Reizwörter“ wie
„Umvolkung“ und „Überfremdung“.
## Das Material ist nicht ohne
Es soll Handreichungen geben, wie man diese Klippen rhetorisch umschiffen
kann. Die AfD hat ihre Unvereinbarkeitsliste um „Pro Chemnitz“ erweitert,
der niedersächsische Verband der Jungen Alternative wurde aufgelöst.
Problematische Mitglieder müssten die Partei möglichst verlassen. Und die
AfD droht: Komme es zu einer Beobachtung, werde man klagen.
Verfassungsschützer mahnen auch deshalb zur Vorsicht. Schon die Linkspartei
hatte sich in den letzten Jahren erfolgreich gegen Überwachungen vor
Gericht gewehrt. Eine weitere Schlappe im Fall AfD zu erhalten sei wenig
hilfreich.
Das Material ist allerdings nicht ohne. Thüringens Verfassungsschutzchef
Stephan Kramer wurde zuletzt deutlich, als er in Erfurt den AfD-„Prüffall“
verkündete: Die Abgrenzung der Partei von rechtsextremen Gruppen
„erodiere“, ihr Sprachgebrauch werde „zunehmend rechtsextremistisch“. B…
den Unvereinbarkeitsbeschlüssen der Partei müsse man prüfen, ob diese „mit
den faktischen Realitäten überhaupt noch in Einklang stehen“.
So kippte die AfD zuletzt offen ihr Auftrittsverbot von Parteimitgliedern
bei Pegida. Die Verfassungsschützer notierten dies aufmerksam – haben sie
doch einige Pegida-Anführer bereits als Rechtsextremisten im Visier. In
Chemnitz standen AfDler dann mit bekennenden Neonazis auf der Straße –
„ohne jede Distanzierung“, wie ein Verfassungsschützer bemerkt. Auch die
Kontakte der AfD zu den Identitären stehen im Fokus der Geheimdienstler.
Letztere werden bereits beobachtet.
## Einzelfall – oder Kern der Partei
Haldenwang selbst berichtete zuletzt hinter verschlossenen Türen im
Bundestag von „zahlreichen“ Kontakten zwischen beiden Gruppen. Identitäre,
so formulierte es ein anderer im Geheimdienst, verfolgten eine „dezidiert
ausländer- und islamfeindliche Agenda“, ihr Konzept des Ethnopluralismus
sei „nur eine gut verpackte Form von Rassismus“. Tatsächlich hat sich dies
auch die AfD selbst angeeignet, der AfD-Abgeordnete Jens Maier etwa warnt
vor „Mischvölkern“.
Niedersachsen begründete seine Beobachtung der AfD-Jugend auch damit, dass
der Verband Flüchtlinge „systematisch abwerte“ sowie insgesamt eine
„antipluralistische Zielsetzung“ verfolge, in Bremen attestierte
SPD-Innensenator Ulrich Mäurer dem Jugendverband „teils Rassismus pur“. Oft
unterscheidet sich die Rhetorik der AfD kaum mehr von der der NPD: Von
einer „verfaulten Demokratie“ ist die Rede, von „Quotennegern“, türkis…
„Kameltreibern“ oder „messernden“ Flüchtlingen.
Die Frage für die Verfassungsschützer ist: Sind das Ausfälle von Einzelnen
– oder stehen die Aussagen für den Kern der Partei? Immer wieder fällt
dabei der Name Björn Höcke. „Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden
nicht ausreichen“, vermerkte der Thüringer jüngst in seinem neuen Buch.
„Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die
Sache gründlich und grundsätzlich angehen.“
Höcke ist Anführer des rechten Parteiflügels. Bei dem Versuch, ihn aus der
Partei auszuschließen, knickte der Bundesvorstand ein. Und sein
Landesverband wählte ihn als Landeschef wieder, für die Wahl 2019 ist er
Spitzenkandidat. Der Landesverband habe sich damit im Grunde Höckes
Äußerungen zu eigen gemacht, so wertet es der Thüringer Verfassungsschutz.
## Haldenwang wird entscheiden
Druck kommt verstärkt auch aus der Politik: Bundesjustizministerin Katarina
Barley (SPD) warf der AfD zuletzt vor, Demokratieverachtung anzuheizen.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) nannte die Partei „staatszersetzend“.
Verfassungsschutzchef Haldenwang beharrt auf einer „ergebnisoffenen“
Prüfung.
Gut möglich, dass diese am Ende nicht zu einer Beobachtung der Gesamt-AfD
führt, sondern nur von Teilen der Partei: Zu unterschiedlich ticken die
Landesverbände, von den radikalen Thüringern bis hin zum vergleichsweise
moderaten Hessen. Treffen könnte es dann die AfD-Jugend oder die
Patriotische Plattform, ein Sammelbecken weit rechter AfD-Mitglieder, die
die Verfassungsschützer schon länger im Visier haben. Die Gruppierung
drängte die AfD immer wieder zu rechten Weichenstellungen und plädierte
offen für einen Bund mit den Identitären. Es gebe „gewichtige Anhaltspunkte
für eine verfassungsfeindliche Bestrebung“, heißt es unter
Verfassungsschützern.
Ende September kündigte die Plattform ihre Auflösung an, die bis heute
nicht vollzogen ist. Man wolle kein „Angriffsziel“ bieten, teilte der
Vorstand mit, und habe sein Ziel längst erreicht: „Wir können alles, was
wir sagen wollen, auch in der AfD sagen.“ Andere in der AfD wollen sich
nicht einschüchtern lassen. Die Angst vor dem Geheimdienst sei „politische
Bettnässerei“, sagte Höcke. Hartwig und seine Arbeitsgruppe werden in
Teilen der Partei als „Großinquisitor“ und „Stasi 2.0“ diffamiert.
Am Ende wird es auch Thomas Haldenwang sein, der entscheidet.
17 Nov 2018
## LINKS
[1] /Nachfolger-von-Hans-Georg-Maassen/!5547367
[2] /Nach-Aeusserungen-zu-Chemnitz-Video/!5535363
## AUTOREN
Konrad Litschko
Sabine am Orde
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