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# taz.de -- Merkels geplanter Ausstieg aus der Politik: Ein Abgang mit Würde
> 1999 hat Angela Merkel die CDU in die Befreiung von Kohl geführt. 2018
> befreit sie ihre Partei von sich.
Bild: Amen
Berlin/Wiesbaden/Dresden taz | Man muss vorsichtig sein mit derlei
Zuschreibungen. Aber was sich am Montagmittag im Berliner
Konrad-Adenauer-Haus ereignet, wird in die Geschichte der
Christlich-Demokratischen Union Deutschlands eingehen. Der Rückzug von
Angela Merkel vom Parteivorsitz, ihre minutenlange Erklärung zu ihren
Beweggründen, nicht erneut beim Parteitag Anfang Dezember anzutreten,
Angela Merkels geschminktes Gesicht, ihr durchaus gelöster Ton – alles
atmet Geschichte.
Bundespolitisch könne die CDU nach der desaströs verlaufenen Hessen-Wahl
nicht zur Tagesordnung übergehen, hebt Merkel also an. Den gestrigen
Wahltag werte sie als Zäsur für die Arbeit der Bundesregierung, alles müsse
nun auf den Prüfstand gestellt werden. „Ich rede darüber, dass es
eigentlich ein Treppenwitz der Geschichte wäre, wenn man schon nach gut
sechs Monaten den Stab über diese Bundesregierung brechen müsste, nur weil
sie sich nicht in der Lage sieht, so zu arbeiten, dass es die Menschen
nicht abstößt.“ Aus all diesen Gründen habe sie sich ihre eigenen Gedanken
gemacht – und eben diese wolle sie nun vortragen.
Das Amt der Parteivorsitzenden sei für sie persönlich „eine tägliche Ehre�…
sie habe aber das sichere Gefühl, es sei an der Zeit, „ein neues Kapitel
aufzuschlagen“. Für sie heiße das, nach achtzehn Jahren beim
Bundesparteitag Anfang Dezember in Hamburg nicht erneut als Vorsitzende zu
kandidieren. Zudem wolle sie nach dem Ende der Legislaturperiode nicht noch
einmal für das Amt der Bundeskanzlerin kandidieren. Wie sie überhaupt
danach keine weiteren politischen Ämter anstrebe. Rumms.
Bis zum heutigen Tage hatte Angela Merkel stets betont, dass sie eine
Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz nicht für machbar halte. Nun
sagt sie, dass dies „für eine begrenzte Zeit“ durchaus möglich sei. Es sei
jetzt wichtig, dass sich die CDU mit einer neuen Führungsmannschaft auf die
Zeit nach ihr einstelle.
## Nach 18 Jahren ist Schluss
Die Entscheidung, sagt Merkel, habe sie schon vor der parlamentarischen
Sommerpause getroffen. Ihren Parteigremien habe sie das eigentlich Anfang
November bei der CDU-Vorstandsklausur mitteilen wollen. Aber nun, da sowohl
in Bayern als auch in Hessen die Unionsparteien derart eingebrochen seien,
habe sie sich entschlossen, dies schon an diesem Montag zu tun.
Deutlich ist: Es ist dies eine von Angela Merkels ganz grundsätzlichen
Entscheidungen. Wie der Ausstieg aus der Atomkraft nach dem Reaktorunglück
in Fukushima 2011. Oder ihre Entscheidung vom Spätsommer 2015, die Grenzen
für Flüchtlinge nicht zu schließen. Oder ihr Gastbeitrag in der Frankfurter
Allgemeinen Ende 1999, damals noch als CDU-Generalsekretärin. Damals hat
sie sich nach langem Abwägen entschlossen, ihre Partei zu retten und gegen
ihren politischen Förderer Helmut Kohl anzutreten. Sie schrieb: „Wir kommen
nicht umhin, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.“
Die CDU, so die damals 45 Jahre alte Angela Dorothea Merkel, könne nun ohne
ihren Übervater Helmut Kohl „laufen lernen“. Die Partei müsse sich „wie…
der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen und wird trotzdem immer
zu dem stehen, der sie ganz nachhaltig geprägt hat – vielleicht später
sogar wieder mehr als heute.“
Nach 18 Jahren ist Merkel nun bereit, selbst den Parteivorsitz abzugeben.
Sie spürt, dass nun sie es ist, ohne die ihre CDU „laufen lernen“ muss. Die
Vorsitzende, so viel gestehen ihr auch die Gegner zu, hat immer die
Interessen der Partei über ihre eigene Person gestellt. Ihr Credo: „Erst
das Land, dann die Partei, dann erst die Person.“
Dass es diesmal so lange bis zur Analyse gedauert haben soll, passt nicht
in das Bild von der analytischen Sachpolitikerin. Beinahe hätte Angela
Merkel ihr Sensorium für die Notwendigkeiten der Politik, für fällige
Erneuerungen im Stich gelassen. Vielleicht gerade noch rechtzeitig ist sie
zu dem Schluss gekommen, dass ihr Verharren an der Spitze der Partei eher
schadet denn nützt.
Was nun folgt, ist eine Operation am offenen Herzen, ein Umbau bei
laufendem Betrieb in politisch extrem angespannten Zeiten.
Zwei Stunden vor Merkels Pressekonferenz war die Eilmeldung von Merkels
Verzicht auf eine neue Kandidatur gerade erst raus, da meldete sich auch
schon die Bild-Zeitung mit dem Nachfolgekandidaten des Springer-Verlags.
Friedrich Merz, in den zurückliegenden 16 Jahren als nützlicher
Merkel-Antipode medial aufgebaut, sei bereit, für den CDU-Vorsitz zu
kandidieren. Der 62 Jahre alte Jurist war von 2000 bis 2002 Fraktionschef
der Union – bis Merkel ihn von dem Posten verdrängte. Die Unionsjungs
hatten der Chefin das nie vergessen.
Kurz vor dem Beginn der Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus warfen dann
auch die beiden CDU-Kräfte ihre Hüte in den Ring, mit denen jedeR gerechnet
hatte: Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Präsidiumsmitglied
Jens Spahn erklärten, beim Parteitag antreten zu wollen. Zuvor hatte sich
im Parteivorstand einmal mehr erwiesen, wie weit her es bei den
Konservativen mit dem sonst gern eingeforderten Anstand ist. Nachdem Angela
Merkel ihren Rückzug erklärt hatte, gab es zuerst Applaus. Dann stehenden
Applaus.
## Der Wettbewerb ist eröffnet
Nur einige wenige meinten, der Vorsitzenden nach 18 Jahren den Respekt
verweigern zu müssen; sie blieben sitzen und blätterten ostentativ in ihren
Akten. Mit den Kandidaturen von Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer
ist der Wettbewerb zwischen Liberalen und Altkonservativen, zwischen Team
Merkel und Team Anti-Merkel eröffnet. Wird AKK, wie die Generalsekretärin
genannt wird, die nächste Parteivorsitzende, findet der Politikstil Angela
Merkels eine Fortsetzung. Das muss nicht falsch sein; Streit und Reibereien
hatte die Unionisten im letzten halben Jahr ausreichend.
Die 56 Jahre alte Saarländerin hat zudem für den Job der Generalsekretärin
ihr gerade erst errungenes Amt der Ministerpräsidentin fahren lassen. Wird
sie nicht zur Vorsitzenden gewählt, steht Kramp-Karrenbauer ohne Rückhalt,
ohne Amt da.
Der 38 Jahre alte Jens Spahn gilt schon lange als Merkel-Kritiker. Seinen
Unterstützern dürfte jedoch auch aufgefallen sein, wie geschmeidig Spahn
arbeitet, seit Angela Merkel ihn zum Gesundheitsminister gemacht hat. Er
gilt als scharfzüngig, überreizt aber auch zuverlässig mit seinen auf
Pointen gebürsteten Äußerungen.
Spahns anderes Problem trägt den Namen Friedrich Merz. Wie er kommt der
Gesundheitspolitiker aus Nordrhein-Westfalen; der dortige Ministerpräsident
Armin Laschet hatte zuletzt dafür gesorgt, dass Merz
Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft Köln/Bonn wurde. Spahn
hingegen hat sich noch stets in Opposition zum leutseligen Laschet
gebracht. Und nebenbei: Mehr als einen NRWler ließe schon der
CDU-Länderproporz nicht zu.
## „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren“
Natürlich hagelte es während der Merkel-Pressekonferenz Fragen zu ihrer
Präferenz bei der Nachfolge. Merkel lächelte darauf fein und antwortete so,
wie es sich für eine Frau gehört, die kurz zuvor noch erklärt hat, ihr sei
eines stets bewusst gewesen: „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren.“ Eine
Präferenz habe sie nicht, antwortet sie. Sie könne diese Frage nicht klären
und wolle das auch nicht. „Ich bin ein Mensch, der mit ziemlich vielen
Menschen sehr gut zusammenarbeiten kann.“
Als Kanzlerin werde sie auf ein vertrauensvolles Verhältnis zu der oder dem
Parteivorsitzenden angewiesen sein. In der CDU gebe es nun die Chance auf
eine offene Debatte. „Die hatten wir 18 Jahre nicht“, sagt sie lächelnd.
Aber die CDU müsse die Möglichkeit vielleicht nicht ganz so häufig haben
„wie andere Parteien“. Bei der SPD werden sie bei diesen Worten finster
gelächelt haben.
Eine andere Frage der JournalistInnen im Konrad-Adenauer-Haus drehte sich
um Bundesinnenminister Horst Seehofer. Der CSU-Vorsitzende hatte mit seinen
politischen und privaten Kapriolen samt diverser Rücktrittsdrohungen die
Große Koalition mehrfach an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Ja,
erklärte Merkel, sie habe sowohl Seehofer als auch SPD-Chefin Andrea Nahles
vor der Pressekonferenz in Kenntnis gesetzt. Fragen nach Seehofers
Entlassung wich sie jedoch aus.
Tatsächlich könnte sich das Schicksal des Innenministers nun schnell
entscheiden. Denn Angela Merkel wird durch ihre Beschränkung auf ihr Amt
als Kanzlerin samt eingepreistem Ablaufdatum spätestens 2021 zur lame duck,
zur „lahmen Ente“ also, wie das ein Journalist wenig feinfühlig auf der
Pressekonferenz formulierte.
Zugleich aber kann sie ab jetzt frei aufspielen und – endlich – ihr Amt als
Regierungschefin kraftvoll ausfüllen. Selbst unliebsame
Personalentscheidungen könnten von Nutzen sein: KandidatInnen für den
Vorsitz würden mit ihrer Kanzlerinnenkritik an Profil gewinnen. Und Horst
Seehofer dürfte endlich nach Hause gehen.
## Rufe nach Erneuerung
Die Nachricht vom absehbaren Ende der Ära Merkel war noch nicht bestätigt,
da meldeten sich schon die ersten Parteikollegen, das Wort „Freunde“
scheint sich hier zu verbieten, mit ihren Ratschlägen. Horst Seehofer, der
angeschlagene Innenminister von der CSU, der über drei Jahre nichts
unversucht gelassen hat, um die CDU-Chefin und Kanzlerin zu demontieren,
hob an, im Moment sei „das Bedauern im Vordergrund“. Schließlich habe man
lange Zeit fruchtbare Politik gemacht. Seehofer sagte: „Wir haben uns
manche Diskussionen geleistet, aber es war immer eine vertrauensvolle, vom
gegenseitigen Respekt getragene Zusammenarbeit.“ Wenn er da nicht an sich
selbst gedacht hat.
Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, gegen den ausdrücklichen Willen
Merkels installiert, lobte, dass Merkel „ihr Amt als Bundeskanzlerin weiter
ausüben will“.
Ehrlicher gaben sich da schon die Spitzen der sächsischen CDU, also des
Landesverbands, aus dem schon länger Stimmen nach einer Wende nach rechts
kommen. Dies sei „das richtige Signal“, sagte der neue Vorsitzende der
CDU-Landtagsfraktion, Christian Hartmann. „Es braucht jetzt die personelle
Erneuerung an der Spitze.“ Hartmann ist zugleich Vorsitzender des
CDU-Kreisverbandes Dresden, der sich zuletzt im Juni sehr kritisch
insbesondere gegenüber Merkels Flüchtlingspolitik geäußert hatte. Hartmann
hatte damals „klare Restriktionen“ beim Grenzregime gefordert.
Einigermaßen sprachlos gaben sich dagegen die CDU-Wahlverlierer aus Hessen,
abgesehen von Ministerpräsident Volker Bouffier, der Merkels Erklärung in
Berlin life beiwohnen durfte. „Wir haben der Bundeskanzlerin viel zu
verdanken“, sagte in Wiesbaden CDU-Generalsekretär Manfred Penz. Den
Rückzug Merkels vom Parteivorsitz wollte er nicht kommentieren.
## Eine überzeugende Fürhungskraft
Das tat dafür Ulrich Künz, seines Zeichens Bürgermeister der hessischen
Kleinstadt Kirtorf im mittelhessischen Vogelsbergkreis. „Merkel hat in der
Situation, in der sich die CDU derzeit befindet, die richtige Entscheidung
getroffen“, sagte der dienstälteste hauptamtliche Bürgermeister
Deutschlands der taz. Das Direktmandat in Künz’Wahlkreis hat die CDU
verteidigt, doch auch hier musste die Partei herbe Verluste einstecken. Wie
so viele sieht Künz die Ursache der Niederlage in der zerstrittenen
Bundespartei. „Ich habe schon immer gesagt: Wo die politische Führung sich
nicht einig ist, da geht das Vertrauen der Leute verloren.“
Und anders als die zögerliche hessische CDU-Spitze hat Künz auch schon
einen Lieblingsnachfolger für Merkel: Friedrich Merz sei ein „Fachmann hoch
drei“ und eine „absolut überzeugende Führungskraft“.
Am anderen Ende der Republik, ganz im Osten, gilt die CDU im konservativ
geprägten Erzgebirge schon lange als kritisch gegenüber Angela Merkels
liberalem Politikstil. Der dortige CDU-Landtagsabgeordneter heißt schon
seit 28 Jahren Thomas Colditz. Er hält die von Merkel beabsichtigte
Trennung zwischen Parteivorsitz und Kanzlerschaft für eine „begrüßenswerte
Entwicklung“. Ihr mittelfristiger Rückzug sei eine „angemessene Reaktion
auf das Wahlergebnis“, dürfe aber nicht nur ein symbolischer Akt bleiben.
Vielmehr müsse die CDU in ihrem ursprünglichen Konservatismus wieder
erkennbarer werden. Hier habe man „Grundpositionen vermisst“ und auch
Merkels „Starrsinn“ beobachtet, weshalb eine „gewisse Resignation“
eingetreten sei.
## Die Kandidaten:
## Friedrich Merz
Das war gut gesetzt: Kaum war die Nachricht draußen, wonach Angela Merkel
auf eine weitere Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz verzichtet, lieferte
die Bild-Zeitung die Neuigkeit: „Exklusiv: Merz zur Kandidatur für
CDU-Vorsitz bereit.“
Friedrich Merz – war das nicht der Unions-Fraktionschef, der 2004 beleidigt
zurücktrat und seit 2009 nur noch gut bezahlte Geschäfte und Privatpolitik
betreibt? Richtig. Der soll nun wieder Chancen auf einen möglichen
Kanzlerposten haben? Was für viele überraschend klingt, begleiteten Bild
und Welt schon seit Monaten. Sie ließen Merz immer wieder in ihrer
Berichterstattung durchs Bild laufen.
Der Sauerländer aus Brilon entstammt dem nordrhein-westfälischen
Landesverband und wurde im Januar 2018 von Ministerpräsidenten Armin
Laschet (CDU) in seine Nähe geholt. Als ehrenamtlicher
„Brexit-Beauftragter“ hilft Merz der schwarz-gelben Landesregierung. Der
Bild sagte Merz dazu, er wolle gern „professionelle Hilfe leisten“. Das sei
aber „absolut kein Comeback als Politiker“.
Merz, der als Erzfeind Angela Merkels gilt und Steuererklärungen auf
Bierdeckelgröße abgeben will, gehörte stets zu den Politikern mit den
höchsten und meisten Nebeneinkünften im Bundestag. Er ist unter anderem für
den US-Investor BlackRock tätig. Er schrieb Bücher wie „Mehr Kapitalismus
wagen“ und „Was jetzt zu tun ist“ – gemeinsam mit dem einstigen
Sozialdemokraten Wolfgang Clement. Gesellschaftspolitisch erzkonservativ,
wirtschaftspolitisch marktradikal – als Projektionspfosten für eine
inhaltliche Debatte über die Rückbesinnung der CDU zu ihren kohlschen
Zeiten taugt er demnach allemal.
Was dem inzwischen 62-jährigen Merz persönlich wie politisch eine gewisse
Nähe zu Springers Chefetage verschafft, ist seine Rolle als Vorsitzender
der „Atlantik-Brücke“, der auch Springer-Chef Mathias Döpfner angehört. …
sich Friedrich Merz letztlich allerdings tatsächlich zu kandidieren traut,
oder ob er nur als Projektionspfosten dient, der das Kampffeld nach rechts
aufreißen soll, wird sich erst noch erweisen müssen. Martin Kaul
## Annegret Kramp-Karrenbauer
Obwohl Merkel am Montag keine Wahlempfehlung für Annegret Kramp-Karrenbauer
abgegeben hat, ist klar: Die 56-Jährige ist Merkels Favoritin für die
Nachfolge als CDU-Vorsitzende und demzufolge auch als künftige
Kanzlerkandidatin. Und ein anderer Weg als der an die Spitze steht AKK, wie
sie im Politsprech heißt, auch kaum noch offen. Die CDU-Generalsekretärin
hat alles aufgegeben, als sie Anfang des Jahres dem Ruf Merkels nach Berlin
folgte und auf dem Parteitag mit fast 99 Prozent zur Generalsekretärin
gewählt wurde.
Für den Job der Krisenmanagerin verließ sie das Ministerpräsidentinnenamt
im Saarland, welches sie nach spektakulärer Wiederwahl im vergangenen Jahr
erneut erobert hatte. Seit damals trägt die Vertraute der Kanzlerin das
unsichtbare Schild „potenzielle Nachfolgerin“. Die gläubige Katholikin und
Mutter von drei Kindern wäre eigentlich die ideale Besetzung für die
Volkspartei CDU: Sie vereint ein konservatives Weltbild mit
sozialpolitischen, eher linken Forderungen, wie der nach einer Frauenquote
und einem Mindestlohn.
Auf dem glitschigen Terrain der Flüchtlingspolitik gilt Kramp-Karrenbauer
zwar als treue Merkel-Unterstützerin, was sie aber nicht daran gehindert
hat, im Saarland eine rigide Abschiebepolitik zu praktizieren und eine
verbindliche Altersfeststellung von minderjährigen Geflüchteten zu fordern.
Insofern findet sie sowohl im liberalen als auch im konservativen Flügel
Anklang.
Auch die Tatsache, dass sie Erfahrung als Regierungschefin in gleich zwei
Bündnissen vorweisen kann, hat sie ihren Mitbewerbern voraus. Im Saarland
führte sie 2011 zunächst eine Jamaika-Koalition, die allerdings an
Personalquerelen innerhalb der FDP scheiterte. Danach regierte sie fünf
Jahre mit der SPD. Doch ihr großer Bonus ist auch ihr Fluch: Sie gilt eben
als Merkels Favoritin. Anna Lehmann
## Jens Spahn
Politisch instinktlos oder wagemutig und erfrischend? Immer wieder achtete
Jens Spahn, 38, in den letzten Monaten darauf, mit Rechtsaußenauslegern im
Bild zu sein, und setzte damit einen Trend. Seine Nähe zu Österreichs
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sowie zum Trump-vertrauten
US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, nutzte Spahn dazu, öffentlich
seine Zugänge zu demonstrieren. Wie Friedrich Merz verfügt er über einen
direkten Draht und politische Nähe in die Chefredaktion der Bild.
Als Gesundheitsminister Spahn zuletzt unabgestimmt in die USA reiste, ließ
er sich dort symbolträchtig von US-Sicherheitsberater John Bolton im Weißen
Haus empfangen, traf sich allerdings nicht mit dem US-Gesundheitsminister.
Das sorgte auch in der Bundesregierung für Erstaunen. Zur Gesichtswahrung
erzählte er später, es sei beim Gespräch um „Bioterrorismus“ gegangen.
Diese Art, sich in Position zu bringen, steht für seinen
populismusanfälligen Politikstil.
Spahn nutzt politische Zugänge auch gern privat: Von 2006 bis 2010 war er
an einer Lobbyagentur für Pharmaklienten beteiligt und gleichzeitig
Mitglied im Gesundheitsausschuss. 2017 stieg der damalige Staatssekretär im
Finanzministerium und Start-up-Beauftragte der Bundesregierung in eine
Firma ein, die Software für Steuererklärungen anbietet. Damals griff er
auch staatliche Zuschüsse ab – rechtlich okay, politisch fragwürdig.
Seit Langem lässt sich Spahn, der auch die „Pasta-Connection“ aus CDU- und
Grünen-Abgeordneten managte, höhere Ambitionen nachsagen. Mit 38 Jahren ist
er aber noch sehr jung. Zwar genießt er die Unterstützung der Jungen Union
sowie das Wohlgefallen des CDU-Granden Wolfgang Schäuble. Ministerpräsident
eines Bundeslandes war er aber noch nie. Mit NRW-Ministerpräsident Armin
Laschet liegt er über Kreuz – ungut, denn: Beide entstammen demselben
Landesverband. Am Montag erklärte Spahn, für den Parteivorsitz zu
kandidieren. Martin Kaul
29 Oct 2018
## AUTOREN
Dinah Riese
Christoph Schmidt-Lunau
Anja Maier
Michael Bartsch
## TAGS
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werden.
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