# taz.de -- Kommentar Parteien und die Hessenwahl: Die Lust am Untergang | |
> CDU und SPD verlieren erneut Prozentpunkte. Vielleicht wäre es das Beste, | |
> offen zuzugeben, dass man nicht mehr alle Wähler erreichen kann. | |
Bild: Thorsten, Willy und Andrea: Für die ehemaligs stolze SPD gibt es kaum no… | |
So, so, [1][das Ergebnis der Hessenwahl] ist allein auf den Bundestrend | |
zurückzuführen. Auf den ersten Blick spricht ja einiges dafür: Beide | |
Regierungsparteien haben verloren, alle Oppositionsparteien gewonnen. Die | |
Verlierer zeigen nun nach Berlin, wo man sich zerknirscht gibt und bessere | |
Politik gelobt. Und selbst die Gewinner inklusive der Grünen wagen es kaum, | |
sich selbstbewusst auf die Brust zu schlagen. Wenn allerdings die großen | |
Parteien in Bayern wie in Hessen in ähnlichem Umfang nach links und rechts | |
verlieren, dann deutet das auf ein strukturelles Problem hin. | |
Wenn nicht der Bundestrend verantwortlich ist, warum verlieren CDU, CSU und | |
SPD in zwei aufeinander folgenden Landtagswahlen gleichmäßig etwa zehn | |
Prozentpunkte? Weil nicht der Bundestrend, sondern der Trend als solcher | |
gegen Union und SPD ausschlägt. Das erklärt, warum CDU und CSU in Bayern | |
und Hessen verloren haben, obwohl sie sich maximal unterschiedlich zur | |
Bundesregierung im Allgemeinen und Angela Merkel im Besonderen positioniert | |
haben. | |
Wenn auch die SPD auf die Regierungsverantwortung in Berlin verweist, | |
klingt das etwas wohlfeil. Schließlich haben die Genossen in Hessen 19 | |
lange Jahre opponiert und sollten genug Gelegenheit gehabt haben, aus den | |
Versäumnissen der schwarz-grünen Koalition ein wenig Honig zu saugen. | |
Die Berliner Koalition gibt ein desolates Bild ab, obwohl sie durchaus | |
substanzielle Vorhaben auf den Weg bringt. Warum ist das so? Nein, es liegt | |
nicht nur [2][an der Spätphase Merkel], nun offiziell eingeläutet durch | |
ihren Verzicht auf den Parteivorsitz. Die SPD kennt schließlich nur Früh- | |
und Spätphasen ihrer Vorsitzenden. Die Krise hinter der Krise liegt darin | |
begründet, dass Union und SPD mit den großen Streitthemen unserer Zeit | |
(Migration, Klimaschutz) [3][wenig anfangen können], weil die Linien mitten | |
durch sie hindurch verlaufen. | |
Dies wiederum erklärt, warum Union und SPD so hoffnungslos zerstritten | |
sind. Deshalb hängt der SPD die Entscheidung über die Agenda 2010 aus dem | |
Jahr 2003 wie ein Mühlstein um den Hals. Deshalb wird in der Union so | |
unerbittlich über Merkels „Grenzöffnung“ (die keine war) gestritten. Und | |
deshalb ist der Streit über die Einwanderung zwischen CDU und CSU in | |
grotesker Weise eskaliert. | |
## Die Wahrheit zugeben | |
Die Lust am Untergang in den vormaligen Volksparteien rührt daher, dass die | |
heutigen politischen Konflikte so wenig mit den Zielen zu tun haben, aus | |
denen heraus Union und SPD eigentlich gegründet wurden. Die SPD musste sich | |
in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz um keine Ratingagenturen kümmern | |
und die Union formierte sich in einer Zeit, zu der Einwanderung nach | |
Deutschland von außerhalb Europas undenkbar schien. Die SPD musste nach | |
2003 schmerzlich lernen, dass man sozialistische Blütenträume unter den | |
Bedingungen der Globalisierung nur bedingt umsetzen kann. Solche Feinheiten | |
können der Linkspartei egal sein. | |
Die Union – oder zumindest die CDU – weiß, dass Grenzschließungen das | |
Schengen-System und damit den Binnenmarkt in der EU gefährden, dessen | |
größter Profiteur Deutschland ist. Das sind wiederum Feinheiten, die der | |
AfD herzlich egal sind. Die Parallelen zwischen der Hartz IV-Gesetzgebung | |
und der Aufnahme von Flüchtlingen im September 2015 sind evident. | |
Beide Male haben SPD und Union in einem je nach Sichtweise heroischen oder | |
paranoiden Akt der Selbstaufopferung eine letzte große Entscheidung | |
getroffen, an der sie sich seitdem aufreiben. Jetzt verhalten sich SPD und | |
Union wie der sprichwörtliche Klempner, der die Ursache des tropfenden | |
Rohrs nicht findet und immer fester dreht. Mit der Konsequenz, dass das | |
Malheur seinen Lauf nimmt. | |
Was also tun? Wahrscheinlich wäre es für SPD und Union das Beste, offen | |
zuzugeben, dass man nicht mehr alle Wähler erreichen kann – zumindest sich | |
selbst gegenüber. Das würde auch den aggressiven Umgang miteinander | |
abmildern. Die Große Koalition hat, wenn sie den SPD-Vorschlag eines | |
Zeitplans aufnimmt, noch immer eine Chance, die für Union und SPD besser | |
ist als jedes Neuwahlszenario. Zwei Bedingungen sind dafür nötig: Der | |
Zeitplan muss einhaltbar sein und eingehalten werden und man muss willens | |
sein, sich wechselseitig etwas zu gönnen. Voraussetzungsvoll, ja, aber | |
machbar. | |
## Grüne Angst vor der Trendwende | |
Kommen wir zu den anderen Parteien. Beim großen Wahlsieger, den Grünen, | |
geht die Angst um, dass der Trend sich auch wieder gegen sie wenden könnte, | |
insbesondere wenn die Partei Regierungsverantwortung übernimmt. Diese Sorge | |
ist recht unbegründet, denn die jüngere Vergangenheit gibt keinerlei Anlass | |
zu der Vermutung, dass eine weitreichende politische Reform (oder deren | |
Scheitern) in der näheren Zukunft zuvorderst den Grünen angelastet wird. Zu | |
schlecht ist das Bild der Mitkonkurrenten. | |
Das bringt uns zur FDP: Christian Lindner stößt mit seiner Aussage am | |
Wahlabend, seine Partei stehe zwischen denjenigen, die alle ins Land lassen | |
wollten und denen, die niemanden ins Land lassen wollten, alle Mitbewerber | |
vor den Kopf und unterstreicht so, dass die FDP für eine konstruktive | |
Zusammenarbeit auf Bundesebene nicht zur Verfügung steht. Das reicht für | |
sechs bis acht Prozent und damit haben wir eigentlich auch gleich die | |
Linkspartei abgehandelt. | |
Die AfD kann weiterhin auf ihr Image als Bollwerk gegen die Migration bauen | |
und musste bislang niemandem erklären, wie eigentlich eine Grenzschließung | |
mit dem EU-Binnenmarkt vereinbar ist. Dass diese Frage sich eines Tages | |
stellt, darin liegt die Hoffnung der Union. Für die SPD gibt es keine. | |
29 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Michael Koß | |
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