# taz.de -- Politologe Butterwegge über AfD-Jahrestag: „Gefahr droht ihr von… | |
> Politikwissenschaftler Butterwegge hat die AfD in ihrem ersten Jahr im | |
> Bundestag beobachtet. Sein Fazit: Es hat sie kaum diszipliniert. | |
Bild: „Die AfD bringt jedes Thema mit Zuwanderung in Verbindung“, sagt Chri… | |
taz: Herr Butterwegge, die AfD sitzt jetzt ein Jahr im Bundestag, Sie haben | |
dazu gerade mit zwei KollegInnen ein Buch veröffentlicht. Was hat sich in | |
den Jahr mehr verändert: Die AfD-Fraktion oder der Bundestag? | |
Christoph Butterwegge: Eindeutig der Bundestag. Die AfD-Fraktion hat sich | |
viel weniger verändert, als man das bei Parteien, die neu in den Bundestag | |
einziehen, gewöhnt ist. Normalerweise wirkt dieser Einzug ja | |
disziplinierend – das hat man zum Beispiel bei den Grünen gesehen. Dies | |
scheint bei der AfD aber nicht der Fall zu sein. Offenbar stehen die | |
AfD-Abgeordneten unter einem stärkeren Druck ihrer Basis, zu zeigen, dass | |
sie im Bundestag genauso radikal und rabiat auftreten wie sonst. Umgangston | |
und soziales Klima im Bundestag haben sich sehr verändert. | |
[1][Am Anfang gab es dort vor allem moralische Empörung über die AfD], dann | |
hieß es, man müsse ihre Abgeordneten inhaltlich stellen. Gelingt das? | |
Was die Reden im Bundestagsplenum betrifft, könnte man sich argumentativ | |
überzeugender mit der AfD auseinandersetzen. Das passiert häufig nicht oder | |
nur sehr inkonsequent. Zum Teil verweigern sich die Mitglieder der anderen | |
Fraktionen, indem sie beispielsweise keine Zwischenfragen von | |
AfD-Abgeordneten zulassen. Dabei ließen sich deren zum Teil von wenig | |
Sachkenntnis zeugenden Beiträge gut widerlegen. Es hilft alles nichts: Man | |
muss mit ihnen reden, ohne allerdings wie sie zu reden. | |
Die Begründung lautet in diesen Fällen oft: Wir wollen der AfD keine Bühne | |
bereiten. Keine gute Idee? | |
Das klingt vernünftig, fraglich ist nur, ob diese Verweigerungshaltung bei | |
einer Partei noch als Gegenstrategie funktioniert, die ab dem kommenden | |
Wochenende in allen deutschen Parlamenten vertreten sein wird, was über | |
einen längeren Zeitraum hinweg nur Union und SPD gelungen ist. Über das | |
Frühstadium, in dem man eine Partei nicht ernst nehmen muss, sind wir, | |
glaube ich, bei der AfD längst hinaus. Sie ist dabei, ein fester | |
Bestandteil des deutschen Parteiensystems zu werden, und keine | |
Außenseiterin mehr, der man mit Ignoranz begegnen kann. Jetzt kommt es | |
vielmehr auf überzeugende Argumente an. | |
Was würden Sie empfehlen? | |
Die demokratischen Fraktionen müssen gemeinsam das parlamentarische System | |
verteidigen, das die AfD verachtet und verächtlich macht. Sie müssen es | |
jedoch vermeiden, die zwischen ihnen fortbestehenden Unterschiede und | |
inhaltlichen Gegensätze zu verwischen. Wenn der Eindruck entsteht, dass die | |
AfD als einzige oppositionelle Kraft im Bundestag einem monolithischen | |
Block der übrigen Parteien gegenübersteht, wird sie noch stärker. | |
Wo sehen Sie inhaltliche Angriffsfelder? | |
Eine Schwachstelle der AfD bildet, dass sie die Partei der kleinen Leute | |
sein will, im Parlament aber ständig als Partei des großen Geldes in | |
Erscheinung tritt. Nicht nur hinsichtlich ihrer finanziellen Quellen, die | |
im Dunkeln liegen. Sondern auch in Bezug auf ihre Steuerpolitik, ihre | |
Beschäftigungspolitik, ihre Sozialpolitik und ihre Rentenpolitik, ja selbst | |
ihre Familienpolitik. Da soll nicht die Familie als solche geschützt | |
werden, sondern nur die deutsche Familie als Keimzelle des Volkes, das | |
angeblich mehr Kinder braucht, um nicht auszusterben. Wenn die Familien- | |
zur Bevölkerungspolitik verkommt oder Sozial- und Rentenpolitik so gut wie | |
gar nicht stattfinden, kann man die AfD inhaltlich stellen. | |
Also weniger über Migrationspolitik, sondern über andere Felder sprechen? | |
Die AfD bringt jedes Thema unweigerlich mit Zuwanderung und Flucht in | |
Verbindung. Das ist ihre Grundausrichtung. Wenn man diese Art der | |
Verknüpfung von Diskursen mitmacht, wie das zum Beispiel monatelang in | |
TV-Talkshows geschehen ist, dann hat man schon verloren. Man muss zwar | |
durchaus akzeptieren, dass es im Kernbereich der AfD-Propaganda viele | |
Probleme gibt, aber man darf ihn sich nicht als Schlüsselthema aufdrücken | |
lassen, um das sich alles dreht. Stattdessen muss man die übrigen Themen | |
davon entkoppeln. Für jede Partei, die sich als links versteht, gilt: Statt | |
wie die AfD die soziale mit der nationale Frage zu verbinden, sollte sie | |
die demokratische mit der sozialen Frage verbinden. Sie müsste also | |
vermitteln, dass nicht Migration die Mutter aller politischen Probleme ist, | |
wie Bundesinnenminister Seehofer meint, sondern soziale Ungleichheit. | |
Die AfD hat bei der Bundestagswahl gerade 12,6 Prozent der Stimmen | |
bekommen. Wie viel Einfluss hat sie damit? | |
In bestimmten Politikbereichen ist der enorm: Flucht und Migration gehören | |
dazu, Innere Sicherheit und Kriminalität auch. Da beeinflusst die AfD die | |
parlamentarischen Entscheidungen und auch die Regierungsarbeit stark. Denn | |
sie hat den öffentlichen Diskurs nach rechts verschoben. Und das ist ihr | |
wichtigstes Zwischenziel. Sie will im Diskurs hegemonial werden, das Denken | |
der Bevölkerung soll sich also in dem von der AfD gesteckten Rahmen | |
anpassen. | |
Machen [2][AfD-Abgeordnete überhaupt klassische parlamentarische Arbeit]? | |
Ja, das trifft für einen Teil der Landesparlamente und weitestgehend für | |
den Bundestag zu. Da wird in den Ausschüssen professionell mitgearbeitet. | |
Es gibt eine Doppelstrategie der AfD, die auf der parlamentarischen Ebene | |
als seriöse Kraft auftritt, aber in Chemnitz oder Dortmund mit Neonazis | |
marschieren und Druck auf der Straße machen lässt. In denjenigen Landtagen, | |
wo der völkisch-nationalistische Flügel dominiert, also vor allem in | |
Ostdeutschland, geht es aber weniger um echte Parlamentsarbeit. Da bildet | |
vor allem der Plenarsaal mit seinen Debatten die Bühne. Im Bundestag stimmt | |
die AfD je nach Thema aber durchaus qualifiziert ab – nicht etwa gegen | |
alles, weil es von den „Altparteien“ kommt. Bei der Diskussion um die | |
Abschaffung des Solidaritätszuschlags zum Beispiel gab es interessante | |
Konstellationen. Die AfD will ihn sofort abschaffen, die FDP 2019/20 und | |
die Große Koalition bis 2021 erst mal zu 90 Prozent, danach aber ganz. | |
In der AfD-Fraktion ist das aber durchaus umstritten: Jürgen-Pohl, | |
AfD-Sozialpolitiker aus Thüringen, will den Soli eigentlich behalten. | |
Der Soli trifft vor allem Menschen mit hohen Kapitalerträgen und große | |
Konzerne, weil er nicht bloß auf die Einkommensteuer ab einer bestimmten | |
Höhe, sondern auch auf die Kapitalertrag- und die Körperschaftsteuer | |
erhoben wird. Mit ihrer Forderung nach seiner Abschaffung macht die AfD | |
neoliberale Politik, was nicht allen gefällt. Noch eher steht die AfD in | |
der Rentenpolitik vor einer Zerreißprobe. Es gibt den | |
völkisch-nationalistischen Flügel, der sich zu einem „solidarischen | |
Patriotismus“ bekennt, und eine offen wirtschaftsliberale Strömung. In | |
Ostdeutschland kehrt die AfD ihr soziales Gesicht heraus. Aber wenn es zum | |
Schwur kommt, macht der völkisch-nationalistische Flügel bei der sozialen | |
Demontage mit: Björn Höcke zum Beispiel hat in einem Interview erklärt, | |
dass mit Blick auf die demographische Entwicklung ein weiterer Abbau des | |
Sozialstaates unausweichlich sei. | |
Manche hoffen immer noch, dass sich die AfD am Ende doch selbst zerlegt. | |
Wie wird sich die Partei weiter entwickeln? | |
Das innerparteiliche Kampffeld wird im kommenden Jahr sicher die | |
Sozialpolitik sein. Dazu soll es ja einen Sonderparteitag in Ostdeutschland | |
geben. Es ist schwer einzuschätzen, wie das ausgehen wird. Die AfD hat in | |
Ostdeutschland hat zwar wenige Mitglieder, ist aber bei Wahlen stark. Und | |
weil es dort 2019 in drei Bundesländern Wahlen gibt, inszeniert sie sich | |
als „soziale Heimatpartei“, wie das auch die FPÖ in Österreich mit großem | |
Erfolg macht. Anderseits sind die westdeutschen Landesverbände der AfD nach | |
ihrer Mitgliederzahl stärker und könnten neoliberale Positionen wie die der | |
Fraktionsvorsitzenden Weidel oder des Parteivorsitzenden Meuthen | |
durchstimmen. Aber es gibt auch inhaltliche Berührungspunkte, zum Beispiel | |
beim Rentenkonzept. Kinderlose benachteiligen – das wollen alle in der AfD. | |
Was heißt dieser Konflikt für die Zukunft der AfD? | |
Die AfD hat sich etabliert. Gefahr droht ihr am ehesten von innen. Es hat | |
bereits zwei Spaltungen und Radikalisierungsschübe gegeben, 2005 mit der | |
demütigenden Abwahl von Bernd Lucke und 2017 mit dem Abgang von Frauke | |
Petry. Wenn sich der völkisch-nationalistische Flügel durchsetzt und der | |
Radikalisierungsprozess fortschreitet, könnten weitere Abspaltungen folgen. | |
Gleichwohl besteht die Gefahr, dass die AfD in einer Wirtschaftskrise | |
weiter zulegt. So war das beim Aufstieg der NSDAP, ohne dass ich beide | |
Parteien gleichsetzen will, und bei der NPD nach der Rezession 1966/67. | |
Der nächste logische Schritt wäre eine Regierungsbeteiligung auf | |
Landesebene. Würde das der AfD nutzen oder sie entzaubern, wie manche | |
meinen? | |
Sie wird das zuerst in Sachsen anstreben. Und die Rechtslastigkeit der | |
sächsischen CDU lässt das möglich erscheinen. Ich glaube aber nicht, dass | |
eine Regierungsbeteiligung die AfD entzaubern würde, wie selbst manche | |
Linke hoffen. Das hat sich im Falle der FPÖ auch nicht bewahrheitet. Ich | |
befürchte im Gegenteil: Das würde die AfD am Ende stärken. | |
24 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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