| # taz.de -- Wohnungsnot bei Studierenden: Vom Feldbett in den Hörsaal | |
| > Zum Semesterstart haben viele Studierende noch keine Bleibe gefunden. In | |
| > Frankfurt hat der Asta deshalb eine Notunterkunft eingerichtet. | |
| Bild: Niklas, 20, kam fürs Studium aus NRW nach Frankfurt – und übernachtet… | |
| FRANKFURT taz | Theresa wollte auf Nummer sicher gehen. Schon vor der | |
| Zusage für ihr Studium an der Frankfurter Goethe-Universität begann sie mit | |
| der Wohnungssuche, durchforstete Angebote, ließ sich auf die Warteliste des | |
| Studierendenwerks setzen. Dort steht die 20-Jährige immer noch. In | |
| Frankfurt gibt es für mehr als 63.000 Studierende 4.400 Wohnheimplätze – | |
| rund 3.000 Bewerber*innen stehen auf der Warteliste. Heute, einige Monate | |
| und viele Besichtigungstermine später, sitzt Theresa auf einem bunten Sofa | |
| im Studierendenhaus. Mit dem Studienplatz in Englisch und VWL hat es | |
| geklappt. Mit einer Bleibe bislang nicht. | |
| Zum Semesterbeginn ist der Castingmarathon in vielen Unistädten nicht | |
| vorbei. In Frankfurt hat der Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) | |
| deshalb Feldbetten aufgestellt – für alle, die wie Theresa zum Studium | |
| gekommen sind, aber noch kein Zimmer haben. „Dieses Angebot ist aus der Not | |
| geboren, als vor sieben Jahren plötzlich Studierende bei uns im | |
| Sozialreferat standen und nicht wussten, wohin“, erzählt die | |
| Asta-Vorsitzende Kyra Beninga. Seit 2011 veranstaltet der Asta deshalb | |
| immer zum Wintersemester ein „Indoor Camp“ – eine Mischung aus Protest, | |
| Party und Matratzenlager. | |
| Heute sitzt Theresa mit einem Dutzend Leidensgenossen zwischen | |
| Protestplakaten und Tischkickern. Neben ihr hat Celina Platz genommen, auch | |
| sie ist neu in Frankfurt. Die 18-Jährige will Medizin studieren und hat | |
| sich etliche Zimmer angeschaut. Einmal wollte ihr der Vermieter nicht mal | |
| einen Mietvertrag ausstellen. Doch die 18-Jährige hatte Glück. „Ich habe ab | |
| Mitte Oktober etwas bei einer Familie gefunden, die ihr Obergeschoss | |
| vermietet.“ Da horcht Niklas auf. „Ach, da habe ich mich doch auch | |
| beworben.“ „Sorry“, sagt Celina. Beide lachen. Der 20-Jährige Niklas kam | |
| aus NRW nach Frankfurt, weil er hier Japanologie und Geschichte auch mit | |
| Fachhochschulreife studieren kann. Nun ist er auf Wohnungssuche. „Alles | |
| bisher war extrem klein und sehr teuer.“ Also schläft auch er erst einmal | |
| beim Asta. | |
| Direkt neben dem Stuhlkreis sind die improvisierten Schlafsäle. In vier | |
| Räumen stehen insgesamt 30 Feldbetten, daneben Rollkoffer und Rucksäcke. | |
| Auf dem Linoleumboden liegen Luftmatratzen, von der Decke scheint grelles | |
| Neonlicht. 30 Studierende schlafen hier, im Laufe der Woche könnten noch | |
| mehr dazukommen, vermutet Kyra Beninga. Und dann? Was passiert, wenn der | |
| Asta am Freitag die Feldbetten abbaut? „Keine Ahnung“. Theresa schüttelt | |
| den Kopf. „Hoffentlich klappt es bei einem Besichtigungstermin.“ | |
| ## Nur in sechs Städten reicht die Wohnpauschale | |
| Im September untersuchte das Moses Mendelssohn Institut (MMI) die | |
| Wohnsituation an allen 96 deutschen Hochschulstandorten mit mehr als 5.000 | |
| Studierenden. Das Ergebnis: Die Wohnungssuche für Studierende ist zum | |
| Semesterstart schwieriger als je zuvor. 2008 lag die Zahl der Studierenden | |
| bundesweit bei gut 2 Millionen, heute sind es über 2,8 Millionen. | |
| Gleichzeitig steigen die Mieten vielerorts rasant an. So liegt der | |
| Durchschnittspreis für ein WG-Zimmer laut MMI heute bei 363 Euro Warmmiete | |
| – 2014 waren es noch 323 Euro. | |
| Immerhin: Wer wie Celina Bafög erhält, kann eine Wohnpauschale von 250 Euro | |
| monatlich beantragen. Damit lässt sich laut MMI-Studie aber in gerade mal | |
| sechs Unistädten eine Bleibe finden, in Chemnitz, Cottbus, Wismar, Ilmenau, | |
| Freiberg und Mittweida. Ein WG-Zimmer in Chemnitz kostet 230 Euro, in | |
| Frankfurt sind es im Schnitt 480 Euro – vor fünf Jahren waren es hier noch | |
| 400 Euro. | |
| Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks | |
| (DSW), drängt deshalb auf ein Umdenken: „Der Staat sagt bedürftigen | |
| Studierenden: 250 Euro fürs Wohnen müssen reichen. Dann muss Wohnraum auf | |
| diesem Mietniveau staatlich gefördert und auch mit staatlichen Mitteln | |
| erhalten werden.“ Statt einer Erhöhung der Wohnpauschale, die vor allem an | |
| Vermieter weitergereicht würde, setzt man beim DSW auf Neubau und | |
| Sanierung: Bundesweit sollen mindestens 25.000 preisgünstige, staatlich | |
| geförderte Wohnheimplätze entstehen. | |
| Mit erforderlichen Sanierungen belaufen sich die Kosten auf 2,9 Milliarden | |
| Euro – je die Hälfte solle vom Staat und von den Studierendenwerken kommen. | |
| „Wir brauchen statt mehr Markt im Wohnungsbau wieder mehr Staat, mehr | |
| politischen Willen zur Gestaltung – für Studierende, aber letztlich auch | |
| für all jene in unserer Gesellschaft, die auf preisgünstigen Wohnraum | |
| angewiesen sind.“ | |
| ## Das Visum in Gefahr | |
| „Besonders für Ausländer ist die Wohnungssuche hier total schwer“, erzäh… | |
| Sara, die vor einem Jahr aus dem Iran nach Frankfurt kam. „Alles hing an | |
| dieser Wohnungsgeberbestätigung.“ Dieses Wort kann sie längst im Schlaf | |
| buchstabieren. „Ohne Wohnsitz kann man sich nicht bei der Uni einschreiben | |
| oder sich versichern.“ | |
| Auch die Verlängerung ihres Visums war in Gefahr. „Das haben die Vermieter | |
| ausgenutzt.“ Sara zahlte 600 Euro „für einen Lagerraum“. Inzwischen hat … | |
| ein günstiges Zimmer gefunden und studiert Jura. Heute ist sie wegen ihrer | |
| Freundin Lisa zum Asta gekommen. Die beiden erzählen von Vermietern, die | |
| Zimmer an Meistbietende versteigern. | |
| Fast alle hier suchen nach WG-Zimmern, denn sonst muss man noch tiefer in | |
| die Tasche greifen – und neben dem Studium noch mehr arbeiten. Laut dem | |
| örtlichen Mietspiegel sind die Nettomieten in Frankfurt seit 2004 um mehr | |
| als 35 Prozent gestiegen. Frankfurt gilt nach München als zweitteuerste | |
| deutsche Stadt. Wer am Main eine neue Bleibe finden will, zahlte laut dem | |
| privaten Forschungsinstitut empirica 14 Euro pro Quadratmeter – netto. In | |
| Stuttgart sind es im Schnitt 13,70 Euro, in Berlin 12,32 Euro. | |
| Entscheidend zur Wohnungsnot beigetragen hat der Rückzug des Staates: | |
| Allein in Westdeutschland gab es 1987 noch über vier Millionen | |
| Sozialwohnungen, 2017 waren es nur noch 1,2 Millionen. In Frankfurt hat | |
| sich der Bestand in dieser Zeit auf heute gut 30.000 geförderte Wohnungen | |
| halbiert. Während 68 Prozent der Bürger Anspruch auf eine geförderte | |
| Wohnung hätten, entstehen überall Luxuswohnungen – mit Kaufpreisen von bis | |
| zu 20.000 Euro pro Quadratmeter. | |
| ## Bürgerentscheid könnte kommen | |
| Direkt gegenüber dem Studierendenhauses steht das Philosophicum, einst Sitz | |
| der Frankfurter Philosophen. Nach dem Teilumzug der Uni ins benachbarte | |
| Westend wollte eine Bürgerinitiative dort preisgünstige Wohnungen schaffen. | |
| Der Deal platzte, die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG verkaufte das | |
| Gebäude an einen privaten Investor. Heute werden im „The Flag“ auch | |
| „Student Apartments“ angeboten: 26 Quadratmeter für 630 Euro Kaltmiete. | |
| Inzwischen steuert die Stadt vorsichtig entgegen. Der neue | |
| SPD-Planungsdezernent verordnete der AGB einen Mietpreisstopp und will im | |
| Norden einen neuen Stadtteil bauen. Bei neuen Bauvorhaben sollen 30 Prozent | |
| der Wohnfläche für geförderte Wohnungen reserviert werden. „Das sind gute | |
| Ansätze, aber es geht nicht weit genug“, sagt Sebastian Schipper, der als | |
| Humangeograf an der Goethe-Uni zu Stadtentwicklung forscht. „Wer hier | |
| studieren will, braucht immer mehr Geld. Manche Bewerber sagen wegen der | |
| hohen Mietpreise wieder ab.“ | |
| Gemeinsam mit anderen hat Schipper den „Mietentscheid“ ins Leben gerufen. | |
| Die ABG soll dazu verpflichtet werden, nur noch geförderten Wohnraum zu | |
| schaffen und die Mieten für ärmere Mietende auf das Niveau einer | |
| Sozialwohnung abzusenken. Sollten die nötigen 15.000 Unterschriften | |
| zusammenkommen, könnte es zu einem Bürgerentscheid kommen. Vielleicht muss | |
| der Asta dann keine Feldbetten mehr aufbauen. | |
| 9 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Timo Reuter | |
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