# taz.de -- Semesterstart in Berlin: Studieren wird Luxus | |
> Die Stadt wird immer voller, auch die Student*innenzahlen steigen seit | |
> Jahren. Die Folgen spüren vor allem Studierende aus ärmeren Familien. | |
Bild: Wenn die Wohnungssuche mehr Zeit als das Studium einnimmt | |
Zwar hat die offizielle Vorlesungszeit noch gar nicht begonnen, doch wuseln | |
bereits unzählige Studierende durch das Foyer der Silberlaube, des | |
Hauptgebäudes der Freien Universität in Dahlem. Vor dem Eingang der Mensa | |
erklärt ein Student höheren Semesters einer Gruppe von | |
Studienanfänger*innen, wie die Cafeteria funktioniert. | |
Doch die Erstsemester sind weniger an den Details des Speiseplans | |
interessiert – sie nutzen die Zeit, um sich kennenzulernen und | |
auszutauschen. Neben dem obligatorischen „Woher kommst du?“ geht es um | |
Stundenpläne, Fächerwahl und die Frage, wie anstrengend das Studium | |
tatsächlich wird. „Ich habe jetzt schon Prüfungsangst“, sagt eine angehen… | |
Studentin der Bildungswissenschaft und lacht dabei. | |
Knapp 190.000 Menschen studierten im Wintersemester 2017/18 an Berliner | |
Hochschulen – über 50.000 mehr als noch zehn Jahre zuvor. 36.714 davon | |
waren laut dem Statistischen Landesamt Studienanfänger*innen im ersten | |
Hochschulsemester. Für das aktuelle Semester gibt es noch keine Zahlen. | |
Orientierungswochen wie an der TU sollen den Studienanfänger*innen die | |
Unsicherheiten nehmen, die der noch unbekannte Studienalltag mit sich | |
bringt. Doch alle Probleme können sie nicht lösen. | |
## Das Bafög reicht nicht | |
Marlen Schäfer orientiert sich lieber alleine. Die künftige | |
Politikstudentin aus Nordhessen steht vor dem digitalen Lageplan in der | |
Silberlaube und versucht, den Weg zu einem Raum mit der kryptischen | |
Bezeichnung JK 320 zu finden. Nach einiger Zeit wird ihr der auf dem großen | |
LCD-Monitor angezeigt: Der Raum befindet sich am anderen Ende des in den | |
70er Jahren erbauten Gebäudekomplexes. | |
Bis sich die 20-Jährige ohne Hilfe hier zurechtfinden wird, wird es | |
erfahrungsgemäß wohl noch eine Weile dauern. Aber Marlen Schäfer plagen | |
sowieso gerade andere Sorgen: Sie hofft vor allem darauf, „dass mein | |
Bafög-Antrag schnell bewilligt wird“. Zudem müsse sie sich bald einen Job | |
suchen, um ihr Studium zu finanzieren. Die Neu-Berlinerin zahlt allein 450 | |
Euro Warmmiete für ihr WG-Zimmer, da wäre selbst der Bafög-Höchstsatz von | |
735 Euro kaum ausreichend. | |
Andere der Studienanfänger*innen auf dem FU-Campus haben noch nicht einmal | |
eine Wohnung gefunden. Marie Grau ist schon seit Anfang September | |
erfolglos auf der Suche. Zurzeit schläft die 19-Jährige auf der Couch von | |
Bekannten einer Nachbarin aus ihrer Heimatstadt Köln. „Als Studierender hat | |
man in Berlin auf dem Wohnungsmarkt nur wenige Chancen“, sagt sie. Oftmals | |
stehe schon in den Vermietungsanzeigen „nicht WG-geeignet“. | |
„Die Vermieter wollen Pärchen und Besserverdienende“, ist Grau überzeugt. | |
Mit ihrem Budget von 450 Euro pro Monat sei dagegen kaum auch nur ein | |
WG-Zimmer zu finden. | |
## Überfüllte Wohnheime | |
So wie ihr geht es vielen Studienanfänger*innen. Allein das Studentenwerk | |
zählt im Oktober 4.279 Studierende auf der Warteliste für seine | |
Wohnheimplätze. Und das dürfte nur ein Bruchteil derer sein, die zu | |
Semesterbeginn noch auf der Suche sind. Denn bei Wartezeiten von zwei bis | |
drei Semestern für einen Platz in einem Studentenwohnheim machen sich viele | |
gar nicht erst die Hoffnung, noch rechtzeitig einen Platz zu finden. | |
Trotz explodierender Mietpreise hat die Berliner Politik es über Jahre | |
versäumt, bezahlbaren Wohnraum für Studierende zu schaffen. Bei jährlich | |
steigenden Immatrikulationszahlen wurden entgegen großspurigen | |
Ankündigungen kaum neue Wohnheimplätze geschaffen. Die Zahl der | |
Bewerber*innen hat sich daher in den vergangenen drei Jahren mehr als | |
verdoppelt. | |
„Die Situation ist natürlich sehr unbefriedigend“, so Jana Judisch, | |
Sprecherin des Studentenwerks. Immerhin befinden sich zurzeit zwei neue | |
Wohnheime mit insgesamt 150 Plätzen im Bau, die nächstes Jahr eröffnet | |
werden sollen, weitere Projekte sind in Planung. Auch die landeseigenen | |
Wohnungsbaugesellschaften wollen mehr für Studierende tun. | |
Die Gewobag baut gerade zwei Wohnheime in der Amrumer Straße und will | |
längerfristig 500 weitere Plätze schaffen. Dies dürfte aber nur der | |
sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein sein. Denn schon jetzt gibt es | |
für die Neubauprojekte sowohl des Studentenwerks wie der Gewobag mehr | |
Interessent*innen als Plätze. | |
## Job neben dem Studium | |
Den vielen, die auch dabei leer ausgehen werden, bleibt nur der private | |
Wohnungsmarkt, und der ist bekanntermaßen äußerst ruppig. Laut einer Studie | |
des Moses-Mendelssohn-Instituts sind die Preise für ein WG-Zimmer in Berlin | |
in den vergangenen fünf Jahren um 25 Prozent gestiegen – besonders fatal | |
für finanziell benachteiligte Gruppen wie etwa Studierende, die nicht mit | |
finanzieller Unterstützung der Eltern rechnen können, Alleinerziehende oder | |
ausländische Student*innen. | |
Angesichts solcher existenzieller Sorgen rücken Prüfungsangst und | |
Orientierungsprobleme auf dem Campus schon mal in den Hintergrund: „Ich hab | |
Angst, dass ich Arbeit und Studium nicht zusammen schaffe“, sagt Ilona | |
Shevchuk. Die 21-jährige Koreanistikstudentin muss ihr Studium komplett | |
selbst finanzieren. „Kann sein, dass mir das alles zu viel wird.“ | |
Mehr zum Thema Studieren in Berlin am Samstag in der gedruckten taz. | |
13 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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